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WIEN/Werk X/die Oswaldgasse: FICUS SPRICHT von Gerhard Schedl/ RADAMES von Peter Eötvös

Ein „zweiteilig – abstruser Opernabend“ der NEUEN OPER WIEN

16.06.2018 | Oper


„Ficus: Laura Schneiderhan, Dieter Kschwendt-Michel, Wolfgang Resch. Copyright: Armin Bardel

Wien/Werk X, Die Oswaldgasse: Gerhard Schedl: FICUS SPRICHT / Peter Eötvös: RADAMES – Ein „zweiteilig – abstruser Opernabend“  der NEUEN OPER WIEN

16.6. 2018 – Karl Masek (Die Premiere war am 14.6.)

Die Theater-Location „Werk X“ befindet sich im 12. Wiener Bezirk, in den ehemaligen Kabelwerkgründen. Man bezeichnet sich dort selbst als das „Theater am Arsch der Welt“.

Aber hallo! Da muss doch einer heftig widersprechen, der 15 Jahre seines beruflichen Lebens in unmittelbarer Nähe (pädagogisch arbeitend praktisch in derselben Gasse) verbracht hat. Das „Werk X“ ist Teil eines der sicher gelungenen Beispiele modernen Wohnbaus der Stadt Wien mit sensibler denkmalschützerischer Berücksichtigung der ursprünglichen Bausubstanz (gerade im selben Bezirk fällt mir da als Gegenbeispiel eine besonders hässliche Bettenburg aus den achtziger Jahren, nur eine U-Bahn-Station entfernt, ein). Also von Arsch der Welt dort keine Spur. So, das wäre damit gleich einmal klargestellt!

Erschreckend aktuell in vielerlei Hinsicht die beiden Werke. In Zeiten ausufernder Gewinnmaximierung in etlichen Bereichen regiert in etlichen anderen Bereichen erbarmungslos der Sparstift. In der Kunst geht es immer offensichtlicher um Quantität statt Qualität, um Quote, um Umwegrentabilität gewährter Subventionen, um die Sicherheit des gut Verkäuflichen (und damit Ewiggleichen) unter dem Deckmäntelchen der Befriedigung eines (breiten) Publikumsgeschmacks.Im Falle „Radames“ die beißende Kritik an Auswüchsen des Regie-Theaters, das im Extremfall durch Selbstdarstellung, von Bloßstellung bis hin zu knallhartem Machtmissbrauch Sänger/innen während einer Probenarbeit kaputt machen kann. Fast prophetisch auch eine #metoo-Debatte vorwegnehmend (das Werk entstand in den siebziger Jahren).

Die Neue Oper Wien unter der langjährigen Intendanz von Walter Kobéra schwimmt da seit den neunziger Jahren unbeirrt und verdienstvoll gegen den Strom eines Zeitgeists der ausgetretenen Repertoire-Pfade und erweckt mit zeitgenössischer Oper, Raritäten und (manchmal späten) Ausgrabungen immer wieder spezielles Interesse. Besonders hervorzuheben neuerdings auch eine tolle Zusammenarbeit der Neuen Oper Wien mit der jungen oper wien (Konzeption: Axel Petri-Preis) eine Musiktheatervermittlung, die seit 2012 Künstler/innen mit Jugendlichen aus Wiener Pflichtschulen mit Musisch-kreativem Schwerpunkt in einen lustvoll-kreativen Austausch bringt. Erst vor wenigen Wochen (am 4.5.) konnte ich da eine gelungene Präsentation des Projektes „EINANDER“ mit Studierenden der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und Kindern einer dritten Klasse der NMS Johann Hoffmann-Platz samt tollen Synergie-Effekten sehen. Das kann im Übrigen eine ganz andere Umwegrentabilität zur Folge haben. Was man in kreatives Potenzial von Menschen, zumal von Kindern und Jugendlichen investiert, spart (davon bin ich überzeugt!) für später Sozialkosten…

Die dritte Produktion der Saison 2017/18 brachte zwei skurrile Einakter von Gerhard Schedl („Ficus spricht“) und von Peter Eötvös („Radames“).

Gerhard Schedl (geboren 1957 in Wien, im Jahr 2000 aus dem Leben geschieden) soll zu einem seiner letzten Werke (Entstehung 1998) zitiert sein:

„Es ist eine Farce, ein Nonsens, ohne dramaturgische Syntax und Semantik … Ironie führt hier das Zepter, …von Dada beeinflusst … wortreich sprachlos … mit Quintessenz des letzten Satzes: ‚Gehns, hörns auf!“

Hier begegnen einander auf einer Probebühnen-Situation (der absurde Text: Franzobel) zwei Menschen (Dieter Kschwendt-Michel als Ficus und „A“, Laura Schneiderhan als Blumenmädchen und „B“), die mit Fortdauer des Abends ihre zunehmende Sprachverarmung (zuletzt dominieren Sprachfetzen) mit großem Körpereinsatz zelebrieren. Begleitet werden die beiden von einem „Volkssänger“  (souverän der Bariton Wolfgang Resch mit der Ballade „Das Glück des einen ist des anderen Pech“, ein Bariton mit tenoralem Potenzial und, hervorragend geführt vom Regisseur Leonard Prinsloo mit leichtfüßiger Körpersprache). Insgesamt hinterlässt diese Farce eher ratlos – und das Ende ist der Startmoment für den Theaterregisseur bei Eötvös, Alexander Kaimbacher.


Der Counter, von drei Regisseuren malträtiert: Alexander Kaimbacher, Tim Severloh, Laura Schneiderhan und Dieter Kschendt-Michel. Foto: Armin Bardel

Dieser setzt, im Publikum sitzend, zu einer Wutbürgerrede, würde man heute sagen, an. Er schimpft (in wütendem Kärntnerisch) auf das bisher Gebotene, schmeißt den Dirigenten Walter Kobéra und den Großteil des Ensembles (das tolle amadeus ensemble-wien) hinaus („Brauchen gar nicht wiederzukommen!“). Übrig bleiben für Eötvös (Gipfel der Sprarmaßnahme) ganze drei Musiker (Saxophon, Horn, Basstuba) und die Pianistin und Repetitorin (Anna Sushon, die fortan auch dirigiert). Nicht geplantes amüsantes Detail: Einer aus dem Publikum ruft in Richtung dieses „Störenfrieds“, e r möge doch rausgehen. Mit Verspätung erkennt auch er, dieser Regie-Gag gehört zum Stück…

Kaimbacher war an diesem Abend (dann auch mit anspruchsvollen sängerischen Aufgaben) der Theaterregisseur, der ein Feuerwerk anKomödiantik abzog, das in ausdrucksstarker Mimik und Körpersprache, mit fulminanter Bühnenpräsenz, glatt für drei Personen gereicht hätte. Abgesehen davon, dass man sich bei seinem parodistischen Talent verschiedenste reale Vorbilder vorstellen konnte. Gut, sein Schal war rot, der z.B. des Regiealtmeisters aus Krefeld ist halt schwarz und getupft.

Es gibt eine Aida-Probensituation. Der einzig unkündbare Sänger ist: ein Countertenor. Die können Brustregister wie Kopfregister gleichermaßen einsetzen, und – die Skurrilität der Situation wird auf die Spitze getrieben – man spart bei den Sängern ein, die Sterbeszene Aida/Radames soll der Counter allein bewältigen und beide Rollen singen. Dafür gibt’s drei Regisseure, die den armen Counter malträtieren und mit ihrer eitlen, aggressiven Selbstdarstellung zum Wahnsinn treiben. Neben dem Theaterregisseur, der während dieser Probensituation glatt einen Doppelliter Wein auszwitschert, machen eine Opernregisseurin (Laura Schneiderhan mit permanentem Redeschwall, der nichts als moltocantabilemorendomezzavocedramaticolirico… enthält und einem amerikanischen Filmregisseur der nichts als Staccato-Anweisungen bellt (Dieter Kschwendt-Michel als tumber Klischee-Ami mit Baseballkappe und Kaugummibewegungen in Permanenz nebst seiner Riesenkamera), dem armen Counter das Probenleben zur Hölle.

Tim Severloh bewältigt diese Rolle mit unnachahmlich ausdrucksvoll-ausdruckslosem Gesicht und der Körpersprache eines, der überall Opfer ist, so auch auf dem Theater. Bis er (der Theaterregisseur erstickt ihn schlussendlich mit seinem Schal, denn er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass Tenöre, wenn sie solange vom Tod singen, wirklich sterben) das Zeitliche segnet.

Drastisch vorgeführt von Leonard Prinsloo, der eine klug durchgearbeitete Inszenierung abliefert, freilich dabei auch Klischees nicht ausspart, was aber dem Amüsement sehr zuträglich ist.  Bewusst billig gehalten die Ausstattung (Su.Pitzek), gekonnt das Lichtdesign (Norbert Chmel).

Peter Eötvös bewies auch mit diesem Werk aus dem Jahr 1976 Theaterpranke wie (schwarzen) Humor – und diese späte Ausgrabung  war lohnend.

Der Abend wurde temperamentvoll vom Publikum akklamiert. Eine Aufführung gibt es noch am 18.6. Die nächste Produktion der Neuen Oper Wien im September: „Julie und Jean“ von Gerhard Schedl (mit Anna Maria Pammer und Adrian Eröd).

Karl Masek

 

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