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WIEN / Volkstheater: NORA³

13.09.2015 | KRITIKEN, Theater

Volkstheater_Nora-Plakat~1

 

WIEN / Volkstheater:
NORA³ von Henrik Ibsen/Elfriede Jelinek
Übernahme vom Düsseldorfer Schauspielhaus
Wiener Premiere: 12. September 2015

Anna Badora hat sich in Wien in dem nun von ihr verantworteten Volkstheater mit einem echten Hattrick eingestellt, drei Premieren innerhalb einer Woche, und es wurde immer besser. Wenn auch nur der erste Abend für Wien direkt erarbeitet wurde, so hat sie doch mit den Übernahmen aus Graz bestens und aus Düsseldorf exzellent gegriffen. Regisseur Dušan David Pařízek hat eine „Nora hoch drei“ geboten, die Ibsen mit Elfriede Jelinek „ummantelt“ und echtes Theaterfeuer versprüht.

„Nora“, die Heldin, die ihrem Dichter selbst unsympathisch war: Da hat Henrik Ibsens eines der ersten Emanzipationsstücke der Weltliteratur geschrieben, konnte aber eigentlich nicht billigen, dass Nora ihren Mann verlässt. Macht nicht, dass sie es tut, ist seither tausendfach in alle Richtungen interpretiert worden, ohne dass man der Sache je müde würde.

Elfriede Jelinek hat das Thema weitergedacht: „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften“ war ihr allererstes Theaterstück im Jahr 1979. Damit setzt der „Dreifach-Nora“-Abend auch ein. Aber dann hat wieder das Düsseldorfer Schauspielhaus seinerseits weitergedacht und sich gefragt, was Elfriede Jelinek heute dazu sagen würde. Also entstand der Text „Nach Nora“, der das Ende des Stücks bildet. Alle drei Texte – Jelinek, Ibsen, Jelinek – ziemlich gekürzt, damit man auf eine (pausenlose) knapp zweieinhalbstündige Spieldauer kommt. Aber am Ende ein kompakter Theaterabend, wie man ihn sich nur wünschen kann.

Da steht sie, die Nora, in Gestalt von Stefanie Reinsperger, im kurzen Kleidchen und Kunstpelz, und spricht uns an. Dem Gatten davongelaufen, die Kinder zurück gelassen, nun möchte sie sich bitte selbst finden. In der Arbeitswelt, an der Maschine in der Fabrik, was einem eher naiv vorkommt. Und bei der Jelinek gleich in lebhafte Auseinandersetzungen führt – bei Pařízek nicht zuletzt ein erheiternder Tanz der deutschsprachigen Dialekte und Mundarten, Nora darf mit „Meidlinger L“ immer wieder ins schlimmste Wienerisch verfallen, eine der Damen ist sehr, sehr Schweizerisch im Ausdruck, mit den anderen deutschen Akzenten tut man sich als Österreicher nicht so leicht, sie zu verorten, aber es funktioniert wie dergleichen immer. Die Jelinek hat ihre Querelen in der Arbeitswelt ja auch noch nicht so bitterernst gemeint wie manches, das sie später schrieb.

Als Theater auf dem Theater wird dann eine Kurzfassung von Ibsens „Nora“ auf leerer Bühne geboten, die drei Damen, drei Herren, die für die Jelinek im Zuschauerraum des Theaters verteilt waren und allerlei Hälserecken verursacht haben, kommen auf die Bühne und spielen minimalistisch auf den Punkt, mit einigen Brutalitäten (ein wütender Torvald Helmer prügelt auf Gattin Nora ein) und Exzentrizitäten (Frau Linde, unter der züchtigen Brave-Frau-Fassade mit Spitzenhöschen, und Krogstad wälzen sich im Beischlaf), aber nichts, was im Stück nicht möglich sein könnte. Dabei ist die Intensität, mit der Stefanie Reinsperger ihre Nora als egozentrische Überzeugungstäterin geradezu dampft, faszinierend.

„Nach Nora“ ist dann ein Text, in dem sich die heutige Elfriede Jelinek spiegelt, die sich immer die Wirtschaft aufs Korn nimmt, den Brutalo-Kapitalismus mit nimmermüden Wortkaskaden umkreist. Wie da ein billiges kleines T-Shirt zum Anlassfall wird, um über verbrecherische Produktion und miese Verkaufsstrategien zu ätzen, bewegt sich wieder einmal auf der Höhe ihrer sprachlichen Einsichten und Bosheiten. Und der Regisseur lässt seine Darsteller diese Anklage geradezu ins Publikum bellen.

Ganz besonders wichtig ist in diesem Fall, dass sich das ganze Ensemble rund um seine Hauptdarstellerin mühelos auf Augenhöhe mit ihr bewegt: Sarah Hostettler, die scheinbar so intellektuell, Bettina Ernst, die so emotional schnattert (wobei die Rollen bei Ibsen und Jelinek doch ziemlich verschieden sind), Rainer Galke (Noras Gatte), Michael Abendroth (Dr. Rank), Jan Thümer (Krogstad) als Typen so verschieden, als Interpreten so überzeugend.

Das ist rasantes, brillantes, herrlich böses Theater. Eine Freude. Und überdies steht eines fest: Damit ist Stefanie Reinsperger nicht nur für „Theater heute“ die „Schauspielerin des Jahres“, sondern für Wien die Schauspielerin des Tages.

Renate Wagner

 

 

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