WIEN / Volkstheater:
MEIN FREUND HARVEY von Mary Chase
Premiere: 14. Juni 2013,
besucht wurde die Vorstellung am 18. Juni 2013
Auch heuer setzt das Volkstheater zu Saisonende auf Heiterkeit, die man spielplantechnisch gar nicht ausschöpfen kann – dafür amüsiert man das Publikum dann zu Saisonbeginn damit, wo am Haus ohnedies vor allem schwere Kost vorgesehen ist… „Harvey“ also, zu Deutsch von Übersetzer Alfred Polgar „Mein Freund Harvey“ genannt, die Komödie, von der man glaubt, dass sie ununterbrochen gespielt würde.
Tatsächlich sind es aber auch schon wieder 20 Jahre her, dass Helmuth Lohner mit seinem imaginären weißen Hasen über die Bretter der Josefstädter Kammerspiele getänzelt ist. Vermutlich verdankt das Stück von Mary Chase, dem freundlichen Muttchen aus Denver, Colorado, die nie etwas Erfolgreicheres geschrieben hat als diese Geschichte, seinen immerwährenden Ruhm doch der Verfilmung mit James Stewart. Er hat der dem „spinnerten“ (wie man in Wien sagt) Elwood P. Dowd jene schlaksige Selbstverständlichkeit und unwiderstehliche Liebenswürdigkeit gegeben, die nun auch Till Firit im Volkstheater für die Rolle mitbringt.
Das Stück kann so flach oder auch so tiefgründig gelesen werden, wie die Interpreten es wollen. An sich ist es das Hohelied der „Spinner“, derjenigen, die anders denken und handeln, ohne jemandem damit weh zu tun, und die sich davon nicht abbringen lassen. In der Volkstheater-Aufführung hat Regisseurin Katrin Hiller viele verschiedene Töne (vielleicht ein bisschen zu divergierend) angeschlagen, aber Elwoods Eigentümlichkeit gelingt dankt Firit ganz außerordentlich – wenn er von seinem Harvey schwärmt, dann gibt es neben der Aufforderung zu lachen ganz berührende Elemente, wo klar wird, dass ein sensibler Mensch, der mit den „Echtmenschen“ nicht zurechtkommt (immerhin bezeichnet die Autorin diese als „schäbiges Gesindel“, und so ganz Unrecht hat sie nicht), sich in Harvey, dem weißen Hasen, den idealen Gefährten geschaffen hat, den seine Seele braucht – so wie Kinder sich Freunde erfinden, weil diese sie nicht enttäuschen werden wie die echten…
Sehr schön auf der menschlichen Schiene spielt auch Inge Maux Elwoods Schwester Veta Louise Simmons, weil sie nie eine wirklich böse Person aus ihr macht (wie es beispielsweise Rosemarie Fendel an der Seite von Helmuth Lohner tat): Sie wird von Ratlosigkeit getrieben, weil Elwoods Außenseitertum gesellschaftliche Ausgrenzung bedeutet und das vor allem für eine unverheiratete Tochter schlimm ist. Köstlich die Szene, wo Inge Maux mit einer Gesellschaftsreporterin telefoniert, ihr alle möglichen Lügen auftischt und dabei an sämtliche „Seitenblicke“-Damen der Wiener Society erinnert… Wenn sie Elwood ins Sanatorium abschieben will, fühlt sie sich gar nicht wohl in ihrer Haut, was sie ehrt, und am komischsten ist sie, wenn sie ganz „zernepft“ aus der Klinik entkommt, wo man sie für die Irre hielt und nicht den Bruder… was Du nicht willst, dass Dir man tu – im Theater gibt es eben etwas wie poetische Gerechtigkeit.
Am schrillsten verfährt die Autorin mit dem schönen Vorurteil, dass alle Psychiater ohnedies selbst verrückt sind, und da nützt Ronald Kuste alle Chancen, die er als der wirre Dr. Chumley hat, zumal auch ihn am Ende die große Sehnsucht nach einem „Harvey“ überkommt, mit der ja alle Zuschauer heimgehen sollten: Dazu komponiert die Regisseurin dann auch ein schrecklich kitschiges Ende mit Musik, Tanz und Sternenhimmel, und mein Gott, dann ist man ja fast gerührt, weil dies wiederum den Theaterzauber von „alle Macht der Poesie“ beschwört.
Allerdings bleibt das Geschehen auf der schrillen Schiene auch ziemlich undifferenziert schrill – Claudia Sabitzer als Myrtle Mae ist eine sehr späte, sehr aufdringliche Tochter (war keine jüngere Dame im Ensemble aufzutreiben?), die sich in Christoph F. Krutzler als Sanatoriums-Gorilla einen schrägen Partner sucht. Matthias Mamedof darf als nur zweiter Irrenarzt nicht so viel geben, aber er bekommt die blond gelockte und gar nicht so nette Schwester Kelly in Gestalt von Andrea Bröderbauer. Gleich zwei ältere Damen sind Johanna Mertinz amüsant anvertraut, Alexander Lhotzky als Familienanwalt leistet Ensembledienste, und Thomas Bauer darf am Ende die „Moral von der Geschicht’“ so deutlich verkünden, dass absolut jeder sie versteht.
Die Ausstattung bei ziemlich verengtem Bühnenrahmen stammt von Friedrich Eggert und verwandelt zwischen den beiden Szenen (zuhause bei Elwood und im Sanatorium) mit versenkbarem Mobiliar und drehbaren Wänden hin und her, was dann auch für Harvey-Geisterspäße vergnüglich einzusetzen ist. Das Publikum, das in der Pause untereinander maulte, dass man den Hasen nicht zu Gesicht bekäme (!), war am Ende aber sehr zufrieden mit dem Gebotenen…
Renate Wagner