Alle Fotos: © Lalo Jodlbauer
WIEN / Volkstheater:
DIE VÖGEL von Aristophanes
In einer Fassung von Thomas Schulte-Michels
Premiere: 14. September 2014,
besucht wurde die Generalprobe
Aristophanes, im 5./4. Jahrhundert vor Christus anzusiedeln (fast zweieinhalbtausend Jahre, das bedenke man einmal!), ist unter der Maske des Komödienautors einer der frechsten, trefflichsten politischen Schreiber der Theatergeschichte. Wie punktgenau er eine Geschichte der brutalen Machtübernahme zeichnete, das bietet das Volkstheater nun als erste Premiere der letzten Spielzeit von Michael Schottenberg als Direktor des Hauses.
Thomas Schulte-Michels hat diesmal nicht nur als Regisseur, sondern auch als Bearbeiter eine bemerkenswerte Leistung vollbracht – wenngleich das fünfaktige Original zur rund 80minütigen Essenz des Stücks zusammen gedampft wurde. Aber solcherart konzentriert sich die Aussage – zumal Schulte-Michels auch keine Scheu hatte, sprachlich und gedanklich direkt in unsere Zeit zu „übersetzen“.
Pisthetairos und Euelpides, das miese Menschen-Gesocks, das Aristophanes da auf die Bühne bringt, flieht seine Heimat nicht nur wegen Schulden, sondern auch wegen Überfremdung, die beiden wüten gegen Migranten und Sozialschmarotzer und suchen für sich ein Plätzchen, wo sie es gut haben können. Nd finden es bei den unschuldsvollen Nachbarn in den Lüften – den Vögeln. Überreden die dortigen dümmlichen Machthaber mit süffigen Versprechungen und indoktrinieren das dumme Vogelvolk schnell mit einer Mischung aus Schmeichelei, Drill und eingängigen Sprüchen, die nachgeplappert, aber nicht hinterfragt werden.
Schließlich werden die Vögel überredet, eine ummauerte Stadt zu bauen (das „Wolkenkuckucksheim“ – die Komödie wurde auch unter diesem Namen bekannt), sich einerseits abzuschotten, andererseits einen nicht zu umgehenden Machtblock zwischen Menschen und Göttern darzustellen…
Euelpides erweist sich als das Macher, der sich auch die Hände schmutzig macht, Pisthetairos als der „Führer“, der nach der Sicherung seiner Machtübernahme ohne das geringste Zögern daran geht, nach innen die eigenen Leute (sprich Vögel) zu schlachten, nach außen mit Drohungen zu verhandeln, bis… ja, bei Aristophanes steht es anders, bei Thomas Schulte-Michels schwingt am Ende Pisthetairos den Blitz des Zeus – er hat’s geschafft. Was der griechische Dichter einst schrieb, um vor der Aufweichung der Demokratie in Athen, vor dem „starken Mann“ zu warnen, sieht man im Volkstheater als ziemlich deutliche Hitler-Parabel, ohne dass man dafür Hakenkreuze bräuchte.
Vielmehr hat der Regisseur, der sich selbst als Bühnenbild wieder nur eine Treppe baute (wie einst im „Revisor“, nur hier, da es sich ja um ein abstraktes Gleichnis handelt, viel einsichtiger), wohl erkannt, dass die Geschichte für das Theater wohl kaum funktionierte, wenn man sie trocken als die theoretische Machtparabel aufblätterte. In einer bunten Vogelwelt, wo der 28köpfige Chor aussieht wie eine einzige, popige Variation von Papageno und Papagena (Kostüme: Tanja Liebermann), wo es einen reichen, amüsanten und wohlklingenden Musikanteil gibt, der in exakt einstudierten Chören prunkt (Musik: Patrick Lammer) und wo vor allem das Vogel-Gehupfe mit einer exakten Choreographie vor sich geht (Teresa Rotemberg), ist auch der Unterhaltungsfaktor bedient, ohne dass der Regisseur das Thema verschenkte – die naive Dummheit der einen, die Perfidie und gnadenlose Rücksichtslosigkeit der anderen ist immer exakt zugespitzt.
Günter Franzmeier als Pisthetairos wirkt nie harmlos, er ist durch und durch von enormer krimineller Energie erfüllt. Und Till Firit als Euelpides ist nie Mitläufer allein, sondern erster, aktiver Mittäter, nachdem er die „Führer“-Rolle nach kurzer Überlegung dem anderen überlassen hat. Zwei, die zeigen, wie eine Handvoll Demagogen leider alles erreichen kann, wenn man nicht ganz gewaltig aufpasst.
Die anderen sind die Vögel, die meisten unter ihren Schminkmasken nicht zu erkennen, wobei Thomas Kamper als Wiedehopf zögerlicher, Alexander Lhotzky als Marabu schneller bereit ist, das böse Spiel mitzumachen und Nachtigal (Patrick Lammer singend) und Bettelpoet (Thomas Bauer) ihre Funktionen erfüllen. Aristophanes führt dann noch jene Menschen vor, die sich schmarotzend an das neue System anbiedern wollen (Ronald Kuste mit eindeutig verbrecherischen Absichten, Günther Wiederschwinger als Verwaltungs- und Gesetzes-Macher-Mensch, den man hier nicht brauchen kann). Und schließlich erweisen sich die „Götter“ als töricht genug, was Rainer Frieb, Erwin Ebenbauer und Patrick O. Beck in ein paar köstlichen Parodien zeigen, während Haymon Maria Buttinger (er ist auch nur ein Triballer, die galten ja als nichts Besonders) nur Furze beisteuern muss.
Nicht viel hat Annette Isabella Holzmann zu vermelden, was sie mit Charme tut, und im Ganzen ist der Abend unbedingt eine Leistungsschau einer Handvoll erster Schauspieler des Hauses, auf die Schottenbergs Nachfolgerin hoffentlich nicht leichtfertig verzichtet (im Moment sieht es nämlich danach aus).
Im Volkstheater gingen, hieß es in dem Fernsehfilm, den man zum 125-Jahr-Jubiläum des Hauses gedreht hat, die Leute wegen der Stücke ins Theater. Diesmal werden sie mit Stück und Aufführung gleich gut bedient.
Renate Wagner