WIEN / Volkstheater:
DIE COMEDIAN HARMONISTS
Von Gottfried Greiffenhagen und Franz Wittenbrink
Premiere: 28. September 2012
Es ist von einem Premierentriumph am Wiener Volkstheater zu berichten, und dieser wird nicht kleiner, wenn man einräumen muss, dass es der Abend dem Publikum extrem leicht macht. Jeder musikalische Mensch wird die Lieder der „Comedian Harmonists“ lieben, weil sie erstens brillante Unterhaltungsmusik sind und zweitens in einem unverwechselbar-originellen Stil vorgetragen werden, der den Ruhm der Gruppe in der Zwischenkriegszeit ausmachte. Der wirklich exzellente Film von Joseph Vilsmaier hat 1997 (zumal in optimaler Besetzung) viel dazu beigetragen, das Schicksal dieser Sängergruppe und ihre individuellen Persönlichkeiten zum umreißen. Damals schrieb auch Gottfried Greiffenhagen das Stück, auf welches das Volkstheater nun zurückgreift: Franz Wittenbrink, der dergleichen kann, hat dafür gesorgt, dass an diesem Abend kein „Hit“ des Comedian Harmonists fehlt.
Und darum geht es ja letztendlich: um die Lieder. Es war nicht viel mehr zu tun (und es wurde auch nicht mehr getan), als ein Gerüst zu zimmern, innerhalb dessen man so viel wie möglich singen kann. Das läuft sanft oberflächlich dahin und reicht für den Zweck, weil die Ansprüche an das Stück nicht hoch sind: Ein russischer Jude will 1927 in Berlin ein Vokalensemble gründen, fünf Männer gesellen sich zu ihm, ein Bulgare, ein Pole, drei Deutsche. Von diesen sechsen sind drei Juden, und die Nazis stehen vor der Tür. Die tatsächliche Karriere der „Comedian Harmonists“ in dieser Formation währte also nur bis 1935. Was danach folgte, waren Versuche, die nicht an das Original heranreichten und auch nicht mehr behandelt werden.
Hier reicht das Geschehen nur bis zu einem reichlich sentimentalen letzten Konzert, und davor hat man auch nicht viel mehr erlebt als das Zusammentreffen der Männer, die Proben, die nötig waren, den spezifischen Stil der Gruppe zu finden, die Auftritte, die Erfolge, die Nazis, das Ende. Die Spannungen zwischen den so multi-kulti verschiedenen Persönlichkeiten und schließlich das Auseinanderklaffen von Juden und Nichtjuden ist etwa im Stil eines schlichten Fernsehfilms behandelt. Gänzlich ausgespart ist das Privatleben der Sechs bis auf minimale Hinweise (da konnte der Film doch etwas tiefer schürfen): So war die einzige Dame, die an diesem Abend auf der Bühne stand, Kostümbildnerin Erika Navas – und das nur beim Verbeugen.
Was soll’s, es ist kein Stück, es ist ein Handlungsrahmen. Innerhalb dessen wird gesungen – und wie. Das Volkstheater verdankt so gut wie alles seiner Besetzung. Jetzt einmal abgesehen davon, dass sie sechs Herren (und ein siebenter als Mann für alle anderen Rollen) als Persönlichkeiten erstklassig sind. Sie singen vor allem, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als sich in den Stil der Vorbilder einzufühlen. Diese ironische Art und Weise, als Kollektiv immer im Grunde piano oder höchstens mezzavoce zu singen, den Effekt des singenden „Plauderns“ erzielend, wo dann die eine oder andere Stimme hervortritt, dazu die ungeheuer reizvollen rhythmischen und harmonischen Schattierungen, mit der hier erzielten Leichtigkeit. Es ist „a capella mit Klavier“, wo die akustische Schönheit und die intellektuelle Frechheit eine nur dieser Gruppe so eigene, unverkennbare Qualität ergibt.
Und das bieten die Herren auf der Bühne, alle wahre Schnipfer, wenn sie die „Schöne Isabella aus Kastilien“ ansingen, wenn sie versichern „Veronika, der Lenz ist da“ oder „Liebling, mein Herz lässt Dich grüßen“, wenn sie einen in die „Bar zum Krokodil“ mitnehmen oder ihren „kleinen grünen Kaktus“ preisen – wie gesagt, Wittenbrink sorgt dafür, dass nichts Wichtiges fehlt, nicht der „Der Onkel Bumba aus Kalumba“, nicht die „Liebe der Matrosen“ oder „Wochenend und Sonnenschein“ – und, wie gesagt, man kann sich nicht satthören.
Das Kunststück, diese Schauspieler zu diesem Sängertrupp zusammen geschweißt zu haben, hat einer von ihnen, Patrick Lammer, vollbracht, ein wahrer Riese (besonders possierlich, wenn er neben dem doch eher kleinen Matthias Mamedof steht). Lammer, der so prächtig bis ins Falsett hinauf trällert (und bei dieser oder jeder Gelegenheit beweist, dass er auch fulminant klavierspielen kann, aber an diesem Abend eben hauptsächlich singen muss), hat den Stil der Comedian Harmonists belebt, und das war wahrlich keine einfache Sache. Im übrigen spielt er mit Zungenschlag den aggressiven Bulgaren, der am Ende in der „glücklichen“ Lage ist, kein Jude zu sein…
Als jener Harry Frommermann, der auf die Idee kam, dieses Gesangsensemble zu gründen, brilliert Marcello de Nardo, der auf die echte Solidarität der Gruppe hofft (schließlich singen sie auch „Ein Freund, ein guter Freund“), aber schließlich erkennen muss, dass sie nur eine Interessensgemeinschaft sind, die keinen wirklich loyalen Zusammenhalt kennt.
Die witzigste Figur ist Matthias Mamedof als Erich Collin, immer einen jüdischen Witz bei der Hand (vermutlich könnte er einen ganzen Abend damit bestreiten), ein toller Sänger, hier als Persönlichkeit einfach das possierliche Element der Gruppe, während Patrick O. Beck als Roman Cycowski, der dritte Jude, etwas von der Verkrampftheit des Menschen hat, der entdecken muss, dass ihn die anderen absolut nicht so sehr als „Deutschen“ betrachten, wie er selbst es tut.
Der „echte Deutsche“, Bassist, vielleicht ein bisschen Rassist und den Nazis dann doch nicht abgeneigt, ist Robert Biberti, von Thomas Kamper blond, etwas humorlos und berechnend hintergründig gespielt. Und auch dem Pianisten ist die eigene Haut immer näher als das Gruppeninteresse, zumal, wenn die Juden anfangen zu stören: Alexander Lutz spielt das hervorragend, und wenn er auch nicht mitsingen darf, so hat er doch besonders großen Anteil am musikalischen Erfolg des Abends: Ohne sein virtuoses, immer stringentes Klavierspiel würden die einzelnen Lieder nicht annähernd so stark wirken.
Jeder von ihnen steht fest in seiner Rolle – dass Alexander Lhotzky an diesem Abend „alle anderen“ sein darf, nützt er nach Herzenslust, nicht nur in den Akzenten (berlinernd, jüdelnd, sächselnd), sondern auch in den Figuren, in die er oft blitzartig umsteigt: der pfiffige jüdische Agent, der schmierige Conferencier, der aneilnehmende Garderober, der kühle Nazi und viele mehr. Sein Erfolg stand dem der anderen nichts nach, und sie alle wurden vom Publikum mit dem höchstmöglichen Enthusiasmus überschüttet. Verdient, völlig verdient.
Wie Marcello de Nardo / Michael Schottenberg sich übrigens die gemeinschaftlich verantwortete Regie (in der praktischen und auch stimmungsvollen Ausstattung von Hans Kudlich) aufteilten, wissen nur sie, jedenfalls haben sie sich beim Verbeugen geradezu leidenschaftlich abgeküsst, und offenbar teilen sie gerne den verdienten Erfolg.
Renate Wagner