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WIEN / Volkstheater: DER MARIENTHALER DACHS

26.09.2015 | KRITIKEN, Theater

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WIEN / Volkstheater:
DER MARIENTHALER DACHS von Ulf Schmidt
Uraufführung
Premiere: 25. September 2015

Also, die historischen „Arbeitslosen von Marienthal“ bei Wien, über die man in Wikipedia nachlesen kann, sind es nicht, aber was für die dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts galt, wo man ihre „Befindlichkeit“ wissenschaftlich untersuchte, stimmt auch heute: Arbeitslosigkeit untergräbt im allgemeinen das menschliche Selbstwertgefühl.

Und Arbeitslosigkeit als heutiges Problem ist auch der Ausgangspunkt für das Stück „Der Marienthaler Dachs“ von Ulf Schmidt (der seiner Selbstdefinition auch die Bezeichnung „Blogger“ hinzufügt). Diese Uraufführung ist die vierte Premiere der Ära Anna Badora, allerdings erst die zweite „echte“ (der Rest waren Übernahmen). Man wollte damit sehr hoch springen und hat einen gewaltigen Bauchfleck hingelegt. Dreieinhalb Stunden Theorie und Demagogie, Kabarett und schlechtes Theater – das war’s.

Ulf Schmidt schrieb „Der Marienthaler Dachs“, Untertitel: „Zuletzt stirbt endlich die Hoffnung“, als Mischung von Lehrstück und kruder Unterhaltung, Regisseur Volker Lösch reicherte die simpel gleichnishafte Geschichte mit einem Chor von (echten) Arbeitslosen an, die durchaus ihre echten Geschichten und am Ende – wenn’s dann ans Fordern und Beschimpfen geht – auch ihre echten Meinungen einbringen durften. Nur, um dies gleich einmal zu sagen: Theater bleibt es immer noch, was das Volkstheater da vorsetzt, wenn es auch teilweise wieder ein Stück zum Wahlkampf des Bürgermeisters ist (mit der nachdrücklichen Forderung, Strache dürfe man nicht wählen. Wenn nun das Burgtheater von der Bühne verkündete, Häupl dürfe man nicht wählen – was da wohl passierte?).

Theater hat jedenfalls seine Form. Nichts ist schwieriger, als eine Gruppe Menschen nicht nur als Choreinheit agieren, sondern auch sprechen zu lassen. Keine Ahnung, wie viele Monate Chorleiterin Christine Hartenthaler noch benötigt hätte, ihre Laien zu einer wirklich akustisch verständlichen Truppe zu formen. Tatsache ist jedenfalls, dass man nur einen kleinen Teil der Attacken versteht, dass sie lange dauern und ermüden. Und nicht viel bringen.

Bühnenbildnerin Carola Reuther taucht das Geschehen in Mannerschnitten-Rosa und findet für „Marienthal“ im Hintergrund auch denselben Schrifttyp: Schleichwerbung oder Attacke auf einen Konzern – einer von vielen, der wie die Banken und Politiker beschimpft werden. Dagegen hat man ja nichts, das tut man selbst. Auf den Zusammenhang kommt es an.

Im fiktiven Marienthal des Stücks gibt es also die Arbeitslosen als permanenten Chor, und wozu sie zu Beginn einen „Dachs“ brauchen, der nichts anderes ist als der bekannte DAX, der Deutsche Aktienindex, Leitfaden und Symbol für Börse, Wirtschaft und Kapitalismus, ist nicht ganz klar. Vielleicht wollen auch die Ärmsten der Armen reich sein – das „Medium“, der für die Medien steht, interpretiert den „Dachs“ für die breite Öffentlichkeit jedenfalls mit absolut nichts sagenden Sprüchen, und dennoch hängt alle Welt zittrig an den Vorhersagen. Die, die sich – wohl mit Recht – beschweren, arbeitslos und arm zu sein, was wollen sie? Dumme Frage…

Und da ist die unheilige Familie: Vater Staat, so unfähig, wie man nur sein kann, Mutter Konzern rührig, aber natürlich nicht um Menschen besorgt, Tochter Gesellschaft töricht und „der kleine Mann“ im Dauerschlaf (anscheißen darf er sich auch, das gehört heutzutage dazu). Herr Knecht und das Milchmädchen wollen finanziell abschöpfen, Hauptmann Bleiberecht verkörpert die Staatsgewalt, von der man nicht sicher ist, wie gefährlich sie werden kann, Herr Bürgermeister Dieter Oben (sprich: Die da oben!) wird zur Pause aufgehängt und baumelt unangenehm lang in der Bühnenmitte (man weiß ja, dass ihm wohl nichts passiert dabei, außer dass er sich schlimmstenfalls den Hals verrenkt, aber solche Bühneneffekte kommen schon der Menschenquälerei in die Nähe).

Mit diesem Personal, zu denen sich noch viermal „A“ gesellen (sprich: Arbeitslose, mit denen man alles machen kann, sie mutieren später auch zu Killern), hat man die perfekte Kabarett-Mannschaft, und der dazugehörige Text erhebt sich nie über dieses Niveau, bleibt sogar darunter, wenn man daran denkt, was manche politische Kabarettisten heute können.

Dann geht es an die Wahl: Die Siegrid aus Hagen hat eine Frisur wie Muttchen Merkel und kurbelt den Kapitalismus auf die übelste Weise an („Schulden machen, morgen zahlen“), während der Andi Arbeit (sprich: An die Arbeit!) mit seinen kommunistischen Solidaritätssprüchen (mit denen höchstens ein abgeschiedener Stamm im entlegenen Bergland von Papua-Neuguinea funktionieren könnte) chancenlos bleibt.

Der Abend zieht sich und zieht sich, könnte x-mal schon aus sein und geht immer weiter, will immer noch und noch etwas sagen, ohne sich darum zu kümmern, wie rezipierbar das ist, was der Autor da aus Ökonomie, Soziologie, Politologie und Psychologie des Massenverhaltens in einen Topf wirft und wild umrührt. Man kann ihm allerdings versichern: So viel Text wie möglich so schnell wie möglich dreieinhalb Stunden lang in den Zuschauerraum zu brüllen, das ist Theater-Harakiri. Im zweiten Teil stiegen zwei Schauspieler dann kurzfristig auch aus ihrem Text-Gehetze aus – taten es aber nicht ohne Humor, als sie nach dem Souffleur suchten…

Als Resümee steht die Forderung nach Grundsicherung für jedermann, verbunden mit dem Recht auf Faulheit, der Wut auf den Brutalo-Kapitalismus gegenüber, dessen Früchte wahrscheinlich die meisten ganz gerne genießen würden. Wenn der Autor irgendetwas, das es zu den angeschnittenen Themen an Banalem zu sagen gibt, übersehen hat, kann es sich nur um einen Irrtum handeln.

Am Ende werden dann die Arbeitslosen erschossen, der Kleine Mann erwürgt den Medienmann, der noch lange strampelt und zuckt (der zweite Mord auf der Bühne), setzt sich dessen Strahlekranz auf und sieht ins Publikum. So etwas nennt man einen verhauten Schluß. Vor diesem sind in Agitprop-Manier noch alle „Bösen“ per Namen genannt worden, von Michael Jeannee bis Heinz-Christian Strache, noch ein paar Minister dazwischen. So sieht der (laut Programmheft) „soziographische Versuch“ einer Regiearbeit für Volker Lösch aus…

Vom alten Volkstheater-Ensemble sind – ohne an die Höhen früherer Leistungen anzuschließen – Günter Franzmeier und Claudia Sabitzer dabei, auch Haymon Maria Buttinger kennt man von früher, ebenso Lilly Prohaska (aus der freien Szene). Die „Neuen“ überzeugen teilweise, Gábor Biedermann ist für die zentrale Rolle des „Mediums“ ein zu schlechter Sprecher, besser packen Sebastian Klein, Kaspar Locher und Jan Thümer ihre Figuren, ebenso Evi Kehrstephan als wild zur Karriere entschlossenes Milchmädchen. Und Steffi Krautz als Politikerin mit dem schönen Namen „Siegrid aus Hagen“ (was hat die arme Ruhrgebiet-Stadt denn angestellt?) ist gelegentlich beängstigend nahe an der Realität. Was dem Abend sonst so gut wie gar nicht passiert.

Mühseliger ist krause Belehrung und wacklige Unterhaltung selten geworden. Ein Abonnementpublikum wird sehr viel guten Willen mitbringen müssen, diese dreieinhalb Stunden zu überstehen.

Renate Wagner

 

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