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WIEN / Volkstheater-Bezirke: FRÄULEIN JULIE

20.11.2013 | Theater

Volkstheater Frauelein Julie x
Foto: Volkstheater

WIEN / Volkstheater in den Bezirken:
FRÄULEIN JULIE von August Strindberg
Premiere: 20. November 2013,
besucht wurde die Voraufführung

Dieses Stück ist über die Maßen berühmt – und noch viel schwieriger, als man annehmen möchte. Strindberg schildert in „Fräulein Julie“ am Beispiel der Grafentochter und des Dieners ihres Vaters das Sozialgefälle, das durch die Sexualität aufgehoben werden kann. Moralischer Untergang des Fräuleins und zynischer Aufstieg des Domestiken gehen gewissermaßen Hand in Hand. Darüber hinaus verlangt Strindbergs Einakter in dauernden, hektischen Stimmungsumschwüngen seinen Darstellern alles ab. Dieses Stück sollte man nur spielen, wenn man zwei Virtuosendarsteller bei der Hand hat, die nach diesen Rollen schreien und die Rollen nach ihnen.

„Fräulein Julie“ einfach anzusetzen, weil es ein „praktisches“ Stück ist, das in eineinhalb Stunden mit drei Schauspielern in einer Dekoration abgewickelt werden kann – das mag schief gehen. Das Volkstheater hat sich für seine Außenbezirksvorführung vermutlich nicht aus den richtigen Gründen für diesen Strindberg-Seiltanz entschieden, wodurch der Absturz kaum zu vermeiden war…

Eine neue junge Schauspielerin als Julie: Felicitas Madl, aus Deutschland kommend, ist jung, schlank, dunkelhaarig, sexy (ein bisschen ein Ruth-Brauer-Typ) und überzeugt auf Anhieb im Mutwillen der Grafentochter, die in einer Mittsommernacht in überdrehte Gefühle hineinwirbelt, weil der Kammerdiener des Papa so erotisch auf sie wirkt. Aber man muss auch noch den Rest des Stücks spielen, und da offenbart sich dann die Überforderung: Julie, die ihre Jungfräulichkeit verloren hat und daraus glaubt, noch allerlei altmodische Konsequenzen ziehen zu müssen (das Stück stammt von 1889), gerät in einen Katarakt der Gefühle, die oft im Sekundentakt umkippen. Hier geht ein Mensch, der seines Bodens beraubt ist, unter und schlägt wahnsinnig um sich. Das darf nicht einfach vom Blatt gespielt, das muss begründet gespielt werden – und das gelingt im hilflosen Rundumschlag der willkürlichen Töne absolut nicht.

Wie weit da auch Regisseur René Medvešek gescheitert ist (die schlichte Küche lieferte Attila Plangger, den roten Rock für Julie Aleksandra Kica), mag man nicht zu sagen, denn die Probleme mit Thomas Reisinger in der Rolle des Jean liegen ähnlich: Er hat es zwar leichter als Julie, ist zwischen seiner Domestikenseele und seinen hilflosen Herrschaftsgelüsten leichter zu packen, aber auch hier hat der Darsteller nicht die Kraft, diesen Jean wirklich in seiner ganzen gnadenlosen Schäbigkeit zu „entpuppen“. Ähnlich hilflos wie seine Partnerin, bekommt er die Rolle nicht zu fassen. Die Unsicherheit, die die Figuren auf der Bühne verströmen, ist nicht jene von Strindbergs Gestalten, sondern die ihrer Interpreten.

Nur der Dritten des Abends gelingt es, ganz fest in ihrer Figur zu stehen: Gewiss, die Köchin Christine hat’s vergleichsweise leicht, diese Frau hat ihre Parameter des Verhaltens, die ihr eine selbstgefällige Geradheit des Denkens und Tuns geben – aber auch das muss mit darstellerischer Selbstverständlichkeit ausgefüllt werden, und das gelingt Jaschka Lämmert als einziger an diesem Abend.

Anzunehmen ist, dass ein Teil des Bezirke-Publikums dem Stück zum ersten Mal begegnete. Und packend genug ist es ja, um den nötigen Beifall zu gewinnen.

Renate Wagner

 

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