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WIEN/ Volksoper/ Staatsballett: EIN REIGEN – ein Dutzend großer Persönlichkeiten auf der Suche nach der eigenen Identität. Uraufführung

30.04.2014 | Ballett/Tanz, KRITIKEN

29.4.: „EIN REIGEN“ – ein Dutzend großer Persönlichkeiten auf Suche nach der eigenen Identität

 Wen treffen wie hier nicht an großen Persönlichkeiten auf der Bühne der Volksoper? Künstlergrößen aus diesen Jahren rund um 1900, als sich im Endstadium der Habsburger Monarchie die österreichische Kultur im Zustand einer unglaublichen Aufbruchsstimmung befand – in einer heftig umfehdeten, in einer für die meisten Künstler beschämenden und extrem angefeindeten Konstellation. Frei nach Arthur Schnitzler freizügigen „Reigen“–Dialogen in ihrer erotischen Offenheit (1903, und prompt wurde das Buch von der Zensur verboten) ist das neue Stück des Wiener Staatsballetts nun „Ein Reigen“ betitelt. Dieser neue Ballettabend bietet ein buntes Karussell, in dem die meisten Zuseher wohl nach einem plausiblen Handlungsfaden suchen werden. Mit seinem munter durcheinander gemischten Musik-Bilder-Literatur-Konglomerat hat der prominente englische Choreograph Ashley Page eine etwas wirre und verwirrende, jedenfalls aber eine tänzerisch ansprechende und handwerklich sehr gekonnt gestaltete Uraufführung in der Volksoper abgeliefert.

 Schon interessant, wie sich da nun diese legendären Alt-Österreicher aus längst verklungenen Jahren auf der Bühne in Episoden vorstellen. Nicht so genau der Reihe nach, aber präsent und elegant wirken sie bei ihren Auftritten: Gustav Mahler (getanzt von Eno Peci), Sigmund Freud (Kamil Pavelka), Oskar Kokoschka (Kirill Kourlaev), Peter Altenberg (András Lukács), Arnold Schönberg (Roman Lazik), Egon Schiele (Mihail Sosnovschi), Gustav Klimt (Christoph Wenzel), Alexander Zemlinsky (Alexis Forabosco), Richard Gerstl (Denys Cherevychko). Sie alle liefern ihre expressiven Tänzchen ab, und in einem Reigen fein gestalteter Pas de deux finden sie ihre Kurzzeit-Liebschaften. Fehlt da nicht noch jemand? Doch, Arthur Schnitzler (Robert Gabdullin) muss dazu sonderbarerweise auch in die Rolle des Todes schlüpfen und den Selbstmörder Gerstl oder den dahinsiechenden Schiele in das Reich des Schweigens geleiten. 

 Ashley Page, früher führender Solist des Londoner Royal Ballet und bis vor kurzem Leiter des Scottish Ballet, ist durch seine choreographischen Einlagen für die Philharmoniker–Neujahrskonzerte (2013 sehr spritzig, 2014 eher diffus) nach Wien geschwemmt worden. Gemeinsam mit dem arrivierten Londoner Ausstatter Antony McDonald (große Stellwände mit expressiven Schiele–Kokoschka–Klimt–Reproduktionen im Farben- und Wechselspiel auf der Bühne und höchst attraktive Kostüme) hat er sich auf die Suche nach Wiener Jahrhundertwende-Atmosphäre aus britischer Sicht begeben. Nun, so viele Kapazitäten auf einmal vorgestellt, alle zusammen, locker gemischt, bitte, kann das gut gehen? Und dazu noch Ashley Pages Statement über diese verflossene Wiener Kultur: „…. welche wir für uns als Dekadenz neu entdecken.“

 Klar, so muss es wohl auch in der Darstellung bei Schlagworten bleiben. In beliebiger Reihenfolge der Szenen etwa: Schnitzler und Freud diskutieren Albträume. Im Trubel des Defilees auf der Ringstraße entwickelt sich nichts, dafür hat Bertha Zuckerkandls Salon einiges an weiblichen Reizen anzubieten. Peter Altenberg hält im Café Central Hof und in der Praxis von Sigmund Freud erleben wir Egon Schieles Tod. Schwungvolle Ensembleszenen sind dazwischen eingestreut, wenn Kokoschka und Kollegen in solch einem unübersichtlichen Gewirr nach ihrer eigenen Identität suchen. 

 Leichter, viel leichter haben es bei Darstellung und Personenbeschreibung die Tänzerinnen. Teils Lustobjekte, dochj überwiegend starke Charaktere. Und blendend sehen sie aus, die Damen der verflossenen Wiener Gesellschaft: Schönbergs Gattin Mathilde (Nina Poláková), Alma Mahler (Ketevan Papava), Bertha Zuckerkandl (Dagmar Kronberger), Emilie Flöge (Eszter Ledán), das „Süße Mädel“ (Alice Firenze), Schieles Wally (Maria Alati) oder Madame d´Ora (Ioanna Avraam). Und einmal mehr ist dem Wiener Staatsballett zu bestätigen, eine exzellente Ensembleleistung ohne Schwachpunkte geboten zu haben.

 Dem Orchester unter Gerrit Prießnitz fällte es schon schwerer, von Ausschnitt zu Ausschnitt von Werken Gustav Mahlers  (3. Symphonie) zu Alban Berg und Alexander Zemlinsky, von Arnold Schönberg zu Erich Wolfgang Korngold herumzuspringen. Béla Fischer hat dazu noch musikalische Übergänge und einen spritzigen „Crazy Waltz“ abgeliefert. Ausgestochen werden sie aber alle schließlich von Maurice Ravel, dessen „La valse“ als Walzer-Abgesang in einem Maskenball den Schlusspunkt setzt. Und sie alle, alle unsere heute legendären Künstlergrößen, dahinsterben lässt.

Meinhard Rüdenauer

 

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