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WIEN/ Volksoper: MADAME POMPADOUR – Voraufführung (mit Kaufkarten)

07.06.2012 | KRITIKEN, Oper

WIEN/Volksoper Wien: MADAME POMPADOUR Operette von Leo Fall – Voraufführung, 6. Juni 2012.

Eine blaue Farce aus Markisen, Rollos und missverstandener Operettenhaftigkeit


Eigentlich der Lichtblick der Neuproduktion: Beate Ritter. Foto: Barbara Zeininger

Ein guter Rat zu allererst: Kommens nicht ohne multiplen Mokka, bringes viel Hamur mit und machens ins Schneuztuch a Knopferl, damit’S nachher noch wissen, wos z’Haus sind.

Annette Dasch, den TV-erfahrenen Opernstar, nur auf Barockmusik oder Mozart reduzieren zu wollen, wäre zu einfach, führt der Weg zu einer beständigen Stimme doch geradewegs über jene Noten. Die deutsche Sopranistin mit dem unverwechselbaren mezzoartigen Timbre, wunderbar samtfüllig, erdig, dunkel getönt, kann Phrasenbögen in ungemein berührender Art gestalten und ihre Fähigkeit mit dem ganzen Körper am Ausdruck der Stimme zu arbeiten fasziniert. Eine Arie aus Armide von Christoph Willibald Gluck könnte ich immer und immer wieder hören.

Nun ist der junge tiroler Bariton Daniel Schmutzhard nicht nur ihr Ehemann und Kindsvater, sondern war bis letzte Saison auch fixes Ensemblemitglied der Volksoper Wien. Seine Stimme ist ebenso ein Wunderwerk und mit seinem Danilo hat er das Ruder der vorjährigen Lustigen-Witwe-Neuproduktion noch, sozusagen im Alleingang und zum Abschied, herumgerissen.
An sich ist es eine gute Idee, die doch sehr kurze Babypause, mit „Leichtem“ zu beenden, bevor es mit Lohengrin in Bayreuth (Elsa) wieder so richtig zur Sache geht. Jedoch wird Operette oft nur als kleine, leichte Schwester der großen Oper gesehen, ist aber doch eher deren schwierige Schwiegermutter.  Nach dem erfolgreichen und erfreulichen Gastspiel der Volksoper in Japan, wo Annette Dasch als lustige Witwe mit ihrem Ehemann Danilo auftrat, folgte nun die Titelrolle in der „Madame Pompadour“ an der Volksoper in Wien.

Annette Daschs Stimme klang für die Marquise von Pompadour aber zu schwer, zu massiv, für die doch gewaltigen Tonsprünge und quirligen Rhythmen viel zu wenig agil. Nie konnte ihr schöner Klang oder diese ihr so eigene, von uns allen so geliebte Stimmfarbe entwickelt werden. Schauspielerisch schaffte es nur die unreife Tiger-Strip-Szene, mit dem ach so keuschen Joseph, ein wenig zu begeistern. Da konnten auch Dirigent Andreas Schüller oder der Regisseur, Bühnenbildner und Kostümentwerfer  Hinrich Horstkotte nicht mehr helfen, die im Schlepptau mit nach Wien gekommen sind und mit denen die Karriere Annette Daschs in Berlin vor rund zehn Jahren begonnen hatte.

Vor allem aber bleibt mir Daschs Ukulele-Nummer ein unlösbares Rätsel: unverständlich artikuliert, krokodilstränenartig vorgetragen, peinliche, bis zur Lächerlichkeit entstellte Zusatzstrophen und dazwischen Versteckspiel im Dunkeln hinter einer Säule, ich weiß nicht. Annette Dasch unplugged, das sollte man gesehen haben.

Und die Wiener Volksoper hat sich nicht lumpen lassen und wohl in blindem Star-Vertrauen sehr viel Bares in Monumentalkulissen und aufwändige Kostüme investiert. Da aber Chor, Einstudierung Thomas Böttcher, und Statisten immerzu nur am Haufen stehen, kommen diese kaum zur Geltung. Schade.

Sicherlich, Leo Fall hat es uns nicht leicht gemacht: schnulzig schmissige Ohrwürmer, die von Lebensfreude nur so strahlen könnten, sollten mit dezent knisternden, goldig wienerischen Busserln betupft sein. Die Silberne Operette hat nichts mit Palastorchestermusik eines Max Raabe gemein, noch mit preußischer Parademusik, bewegt sich vielmehr in den stillen Gasserln Wiens, raunzend, vorgebend, ansagend und sich selbst dann doch nicht so recht trauend, da eigentlich nie wirklich beabsichtigt.

Die Story hat mit der Lebensgeschichte der wahren Herzogin Pompadour, die Zeit ihres kurzen Lebens eigentlich nur eine einsame kranke Frau war, sich aber durch unbeugsame Zielstrebigkeit zu Glück und Unvergessenheit brachte, wenig gemein.

Leo Falls Vater, Moritz, war schon Operettenkomponist, auch seine Brüder Siegfried und Richard, die beide in NS-Konzentrationslagern umgebracht wurden. Das Werk wurde zwar am Berliner Theater 1922, drei Jahre vor Leo Falls Tod, uraufgeführt, liegt musikalisch und schauspielerisch aber noch ganz in der Tradition der Wiener Operette.

Das darzulegen ist dem Orchester zwar gut gelungen, aber ansonsten irrte man zwischen französischen Revolutions- und Revue-Anspielungen, DDR-Gehabe und preußischem Marionettentheater ziemlich chaotisch umher. Der Musenstall ist eigentlich eine abgewohnte Thüringer Klöße-Spelunke mit braukesselartigem Aufzug im Hintergrund, der sich später als undefinierbar-flaschenartiger Hutaufsatz der Madame Pompadour entpuppen wird, soviel sei präventiv zwecks Irritationsverminderung bereits verraten. Die Bühne der Akte zwei und drei sind eine Mischung aus Barbieworld und Alice im Wunderland. Und alles leuchtet in kaltem Berliner Blau, der perfekte Libidotöter. Grässlich! Während die Hauptakteure wie verlassen auf dem riesigen Bühnenraum herumirren, spielen sich die wahren Tanz- und Feierszenen in den nicht einsehbaren, angrenzenden Nebenräumen ab, unterbrochen durch zurückschwappende überfallsartige Polonaise-Paraden.
Die satirischen Anspielungen und Szenen der verbindenden Rezitative wurden bis zur Unverträglichkeit gedehnt. Es bleibt der Eindruck eine Stegreifbühne besucht zu haben, und zwar ohne Musik.

Die Gschichterl von Markisen, Rollos und Pralines sind nicht lustig, daran können auch Lachkanonen wie Gerhard Ernst als Maurepas der Polizeiminister oder sein Spitzel Poulard, Wolfgang Gratschmaier, nichts ändern. Sie wurden als „Der rosarote Panther“ und Inspektor Clouseau instrumentalisiert und Gerhard Ernst musste sich in allem Ernst sogar selbst als „Pink Panther“ ankündigen, damit auch jeder den Gag versteht.
Und dem König Ludwig XV. hätte KS Heinz Zednik eine freundliche Seele einhauchen sollen. Es ist bei den Fasanenfedern am Hut geblieben. Was denkt sich wohl ein legendärer österreichischer Charaktertenor dieses Kalibers und „die“ Paradebesetzung komödiantischer Rollen, bei solchen Produktionen?

Über das ganze Stück sind wenig geistreiche, theatrale Regieeinfälle der besonderen Klasse verteilt, wie das Einweisen der Fluggäste in die Sicherheitsvorschriften nach dem Boarding durch Annette Dasch in Bezug auf die…, ich will es gar nicht mehr definieren, bis hin zu den peinlichen Vogerltanznummern, die sich Beate Ritter als Belotte, die Kammerfrau der Marquise, antun muss.

Zu Beate Ritter muss ich hier, an dieser leider so ganz und gar nicht entsprechenden Stelle, erwähnen, dass ihr gesanglicher Beitrag in der Carmina Burana von mir den imaginären Merker-Award für die beste Sopranleistung dieses Jahres verliehen bekommt: Diese glasklare Höhe, diese Intonations-Exaktheit, dieser lange Atem, zum Niederknien, BEST EVER!!! Sie müssen mehr aus sich machen! Sie sind viel mehr wert, als eine Soubrette oder Kasperl für billigen Schund!

Um wieder auf den Boden der Realität zurück zu kommen: Die Madame Pompadour wurde mit deutscher Gründlichkeit regelrecht vernichtet.
Boris Pfeifer, als Joseph Calicot, mit Pressstimme nicht sehr sympathisch, muss bemüht mit schrecklich undichterischer Rasta-Locken-Frisur den Dorftrottel mimen.
Georg Wacks ist eigentlich nur als Schauspieler an der Volksoper Wien beschäftigt und fungiert in zwei Rollen, als Gastwirt Prunier und als Collin, Madame de Pompadours Haushofmeister. Seine Figur als Wirt wirkt horrorartig, die nichtexistente Tenorstimme als Hofmeister ist ein Affront.  Zudem hatten sich sämtliche Akteure mit der Bühnenrealität noch nicht recht befreunden können, schlugen sich an Türrahmen die Köpfe an oder verloren immer wieder Perücken und Hüte.

Stimmlich ein Higlight ist Mirko Roschkowski, ein lyrischer Tenor aus Dortmund, der an der Volksoper Wien bereits im Jänner 2010 als Tamino debütierte und nun den René singt. Er ist wirklich zu empfehlen, hat Schmelz und durch den verstimmten Gesamteindruck leider keine besonderen Applaus-Lorbeeren abholen können. Elvira Soukop hat ihre Alt-Stimme der Madeleine, der Frau des Grafen René, geliehen und einen guten, engagierten Eindruck hinterlassen. Sie hat sich mit ihrer Rolle ersichtlich im rechten Licht auseinander gesetzt. Wohl ohne Regieanweisungen.

Alle anderen Beteiligten, wie Marian Olszewski als Boucher, Mamuka Nikolaishvili als Tourelle, der österreichische (wienerische) Gesandte Joachim Moser, Karin Gisser als Caroline, Christiane Costisella als Léonie, Heike Dörfler als Valentine und Lidia Peski als Amélie sind korrekterweise noch zu erwähnen. Diese durften nicht „Woki mit dem Popo“-Spielen, wie jener Callboy beim Abgang der Madame Pompadour und sind daher nicht sonderlich aufgefallen. Ist ja auch lobenswert.

Der erste Akt dauert nur eine knappe Stunde. Dann beginnt eine 30 (!) minütige Pause, der Rest braucht noch mal eineinhalb Stunden. In Summe nicht viel, aber dennoch erweckt der Abend ein Gefühl an unendlicher Fadesse.

Der Applaus des offenbar perplexen, unschlüssig ob über- oder unterfordert, traumatisiert-sprachlosen Publikums der Voraufführung, brachte es auf knappe zwei Minuten. Durch peinliche, musikuntermalte, wiederum Polonaise-artige Zusatzvorhänge konnten noch einige weitere aufgezwungene Minuten erzielt werden. So eine mickrige Akklamation hatte ich im „Haus am Linienwall“ zuvor wirklich noch nie gehört. Nur, dass niemand von den „Zuagrasten“ auf die Idee käme, das wäre hausinterner Standard. Das Regieteam wird erst zur Premiere auf die Bühne kommen. Fernseh-Star-Fans haben aber schon jetzt etwas vorgejault, wiewohl für die wahren Operetten-Fans auch diese Episode ohne bleibende Schäden vorübergehen wird.

Florian Felderer

 

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