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WIEN/ Volksoper: KÖNIG KAROTTE von Jaques Offenbach. Köstliche Volksopern-Premiere.

24.11.2019 | Operette/Musical

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Copyright: Wiener Volksoper/ Barbara Palffy

WIEN/ Volksoper: KÖNIG KAROTTE von Jaques Offenbach Köstliche Volksopern-Premiere. Am 23.11.2019

Komische Zauberoper in vier Akten, Originaltitel „Le Roi Carotte“, Text von Victorien Sardou, deutsche Übersetzung von Jean Abel. Mit deutschen Übertiteln.

So die seriöse Information im Programmheft der Volksoper. Einem Merker-Bericht von Rüdiger Ehlert über die Premiere am 4.11.2018 in Hannover (s. Heft 12/2018) mit  der Titelunterschrift „Absurd! Grotesk! Genial!“ verdankten wir den erstmaligen Hinweis auf die Existenz dieses Offenbach-Opus. Über das Foto vom Titelhelden und seinen Begleitern lachten wir uns damals schon krumm. Das Resümee jenes Merkers: „Das muss man gesehen haben!“ kann ich gleich vorweg wiederholen!. Wir sind der Volksoperndirektion zu großem Dank verpflichtet, dass sie die Produktion übernommen hat. Denn die ist hinreißend.

Die Mischung aus Satire, Märchen- und Zauberoper, die auch als Operette durchgehen könnte und sogar das Musical vorwegnimmt, ermöglichte  Jacques Offenbach, seiner musikalischen Phantasie freien Lauf zu lassen. Nicht nur zündende Rhythmen und Melodien sind ihm eingefallen, sondern auch die gesamte Orchestrierung ist meisterhaft. Kurze lautmalende Intermezzi zum Bühnengeschehen, einmal dunkel-dräuend, dann wieder vordergründig witzig, laden zum Fürchten oder Lachen ein. Das Amüsement dominiert jedenfalls in diesen kurzen drei Stunden – über die köstlichen  Charaktere, über Musik und Gesang von Solisten und Chor, und nicht zuletzt über die gekonnte Personenregie und grandiose Bühnengestaltung, die mit gigantischem technischem Aufwand die unterschiedlichsten Schauplätze und Stimmungen durch rasche, meist auch humorige Verwandlungen ermöglicht. 

Guido Mancusis feinsinniges, spritziges, aber auch gefühlvolle Melismen auskostendes und vor allem immer bühnengerechtes und spannungsvolles Dirigat  war wohl der bestimmendste Faktor dieser Produktion. Die Regie von Matthias Davids war einfallsreich, originell, voller Überraschungen, die Bühnenbilder und Projektionen von Matthias Fischer-Dieskau aus der jeweiligen Musik heraus empfunden, Susanne Hubrichs 260 Kostüme, unterstützt durch die Maskenbildner des Hauses – bis zur extremsten Groteske, aber auch schmeichelhaft für die positiven Charaktere, vor allem bei den Damen. Kati Farkas hatte als Choreographin eine dankbare Aufgabe, die sie glänzend löste, was in Anbetracht der die Bühne bevölkernden Menschenmassen schon rein zeit- und raum-mäßig beträchtliche Ansprüche bedeutete. Der Licht-Meister Michael Grundner ist für die vielfältigen, stets bestens zur jeweiligen Szene und Musik passenden Stimmungen auf der Bühne zu loben.

Mit dem Lob für Holger Christens Choreinstudierung geht  jenes für die enorme Textdeutlichkeit auch bei den großen Chormassen Hand in Hand – zumal gerade diese den Unterhaltungswert des Gesungenen beträchtlich erhöht. Meine Befürchtung, der Hörgenuss der französischen Pikanterien könnte durch die Übersetzung ins Deutsche eingeschränkt werden, erwies sich als unbegründet. Es folgte Pointe auf Pointe, in den gesprochenen und gesungenen Szenen, bei den Solisten wie beim Chor.

Zu lachen fängt man schon an, wenn man die Schauplätze nachliest: Marktplatz von Krokodyne. Königlicher Gemüsegarten, Zauberwerkstatt. Pompeji im Jahr 79. Reich der Ameisen. Affeninsel….Desgleichen bei den Namen und Berufsbezeichnungen: König Karotte, Hexe Kalebasse, Zauberer Quiribiri, Pipertrunck (Polizeichef), Truck (Schwarzmagier), Baron Koffre (Schatzmeister), Pyrgopolyneikis, Marschall Track (Schlachtenminister), Graf Schopp (Geheimrat))…Wem da Anspielungen auf Aktuelles einfallen, wie es um das Jahr 1870 war, oder uns anno domini 2019 aktuell dünkt, der hat Offenbach offenbar verstanden…Satiren auf die Politik, die Machtgier, die Bestechlichkeit oder die Fresslust sind immer aktuell.

Dass es für die wichtigsten Rollen Doppelbesetzungen gibt, gönnt man den Ensemblemitgliedern der Volksoper, denn es soll doch möglichst vielen gegönnt sein, sich an ihren Rollen und dem Zusammenspiel mit den Kolleginnen und Kollegen zu delektieren.

Fridolin XXIV., der sympathische, aber leichtfertige Prinz von Krokodyne in Geldnöten, war mit dem strahlkräftigen und humorbegabten Tenor Mirko Roschkowski, der sich schon als Hoffmann Offenbach-würdig gezeigt hatte, ausgezeichnet besetzt. In seinem leuchtend-blauen Sakko über weißer Hose und blauweißen Sportschuhen mit seinen krausen schwarzen Haaren leuchtete er stets aus der bunten Menge heraus. Die „Typen“, aus denen sich sein Kabinett zusammensetzt, übertreffen einander an Originalität:  Marco di Sapia als Polizeichef, Boris Eder als Schatzmeister, Jakob Semotan als Schlachtenminister,  Josef  Luftensteiner als Geheimrat, alle sich devot gebend, jedoch kriecherisch-bestechlich und stets bereit, die Seiten zu wechseln…Daneben hatten die Märchenfiguren und Zaubermeister ein erquickliches Bühnenleben: Christian Graf als halbnackte, hochgewachsene (männliche) Hexe mit turnerischer Begabung und Zauberer Quiribiri sowie Yasushi Hirano als Schwarzmagier.

Schon von der Optik her zum Star des Abends avancierend:  Sung-Keun Park, Volksoperndebutant, weil als Karottenkönig aus Hannover importiert. Untersetzt, mit auffallend langer Krawatte,  stets grimassierend – noch zusätzlich zur Halbmaske, sich schlau dünkend und mächtig aufspielend, aber – eine der besonderen Köstlichkeiten dieser Komödie – er wird von seinen Untergebenen fallen gelassen und löst sich am Ende in Nichts auf.

Die Sympathieträger, wie fast immer bei Offenbach, sind die Damen. An Schönheit, an Anmut, an Raffinesse, an Klugheit und simplem menschlichem Wohlwollen denen gegenüber, die es verdienen, avancieren sie zu den Heroinen des Abends: Als Prinzessin Kunigunde, der Prinz Fridolin incognito nahetritt, weil er sie aus Geldgründen heiraten würde, falls sie ihm gefiele, ist Julia Koci ein Charmebündel. Amira Elmadfa ist ein glaubwürdiger, allpräsenter guter Geist Robin.  Johanna Arrouas, ein junges Mädchen mit dem schönen Namen Rosée-du-Soir liebt den Prinzen von Anfang an und verdient ihn sich zuletzt auch.

Köstlich: Renate Pitscheider als Marschallin Track und Echo, Sulie Girardi als Madame Pipertrunck, Elvira Soukop als Gräfin Schopp. Martina Dorak kann als Baronin Koffre/Christiane, eine Studentin/ Corinne und Brigadeführerein der Ameisen ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Dazu kommen: Gernot Kranner als Pompejischer Händler, Christian Drescher als Brigadier/Mégadore/Pompejischer Händler, Franz Suhrada als Kammerherr Psitt/Carion/Polizist, Claudia Nagy als Médulla/ Bürgerin von Krokodyne, Stefanie Mayer als Lépida/Bürgerin von Krokodyne und Susanne Litschauer als Drusille/ Händlerin  – lauter Perlen inmitten der Riesenperlenkette der Chordamen und Chorherren. Sie alle leuchten in ihren bunten Kostümen und Rollen vergnüglich über die unendlich breit und tief scheinende Volksopernbühne.

Nicht zu vergessen: Ein Affe (stumme Tänzerrolle) – Konstantin Oberlik, der es an Beweglichkeit beinah mit dem Puck vom Opernring aufnimmt. Der kleine Zauberer in Gestalt von Jonas Voill (beide Volksoperndebutanten) ist auch nicht zu übersehen.

Dem Orchester der Wiener Volksoper musste das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper Nachhilfe leisten.

Ach Gott, habe ich nicht vergessen, die Stimmgattung der einzelnen Sängerdarsteller zu erwähnen? Ja, habe ich. Aber das spielt hier gar keine Rolle. Alle Mitwirkenden haben in ihre Rollen gepasst.

Der ganze Spaß hatte ja schon vor dem Beginn begonnen: ein paar Personen aus der – was war es eigentlich? Oper? Operette? Märchen? Groteske? –  suchten vor dem noch geschlossenen Vorhang den ihnen zugewiesenen Platz und nach Requisiten, eine Souffleuse wurde in die aufklappbare goldene Muschel an der Rampe versenkt, und ehe die Musik einsetzte,  öffnete sich der Vorhang und die gesamte Bühnenbelegschaft stand zur Schlussverbeugung parat! Dann schloss er sich wieder.

Der Scherz mit an die 300 Personen umfassenden Solo- und Gruppenverbeugungen samt leading team wiederholte sich zum Gaudium aller am Ende.

Hingehen und freuen!                           

Sieglinde Pfabigan

 

 

 

 

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