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WIEN/ Volksoper: FÜRST IGOR

21.04.2016 | Oper

WIEN/Volksoper: FÜRST IGOR am 20.04.2016

Bereits zum neunten mal wurde die neue Produktion dieser historischen, russischen Oper aufgeführt und es ist festzustellen, dass die Spielpraxis der Qualität und dem Ausdruck des Werkes sehr gut getan haben. In der, gegenüber der Premiere nur geringfügig veränderten Besetzung, machte sich eine deutliche Steigerung bei fast allen Beteiligten bemerkbar – aus einer guten wurde eine hervorragende Vorstellung.

Unser einziger Vorbehalt betrifft den Umstand, dass man sich entschlossen hat, diese typisch russische Oper in deutscher Sprache aufzuführen. Noch dazu kann die gewählte Übersetzung zu keiner Zeit die Eigenheiten und die Stimmungen des russischen Wesens ausdrücken – es holpert oft unangenehm und man nimmt den Künstlern die Möglichkeit, die authentische Sprachmelodie wiederzugeben. Wer unlängst im Konzerthaus Dmitri Hvorostovsky in der Arie des Igor in russischer Sprache erlebt hat, wird wissen, was wir beklagen.

Doch nun zu den erfreulichen Seiten dieses wunderbaren Opernabends:

Das Orchester der Volksoper unter Alfred Eschwe hat eine stimmungsvolle, technisch sehr gute Interpretation erarbeitet; der von Beginn an großartige Volksopernchor (Einstudierung: Holger Kristen)singt weiterhin auf höchstem Niveau – im darstellerischen Ausdruck und beim Weiterführen der Handlung ist seit der Premiere eine natürlichere Selbstverständlichkeit spürbar.

Den dominantesten Eindruck machte wieder Sebastian Holecek in der Titelrolle. Sein mächtiger, in allen Lagen und Stimmungen eindrucksvoller Bassbariton klingt angenehm timbriert und er holt aus diesem Text das Maximum an Wirkung heraus. Dank seiner präsenten Bühnenpersönlichkeit gleiten auch etwas weniger gelungene Regiedetails nie ins Kitschig-lächerliche ab. Melba Ramos hat die geringen Anfangsprobleme der Premiere souverän eliminiert und gestaltete stimmlich und darstellerisch eine Fürstin Jaroslawna, die in den liebevollen Szenen genauso überzeugte wie in der Auseinandersetzung mit ihrem Bruder.

Dieser wurde diesmal von Morten Frank Larsen mit furchtbar eindringlicher Bösartigkeit dargestellt und mit passendem Sprechgesang charakterisiert. Ein Fürst Galitzky, der in seiner menschlichen Unzulänglichkeit die Gefahr des Populismus deutlich vor Augen führt und dessen Auswirkungen in den Reaktionen der beiden egoistischen Mitläufern Skula und Eroschka widerlich zum Ausdruck kommt. Diese beiden „Ungusteln“ wurden von Stefan Cerny mit klangvollem Bass und von Christian Drescher mit schön geführtem, hellem Tenor eindrucksvoll gespielt und gesungen.

Vincent Schirrmacher gelang seit der ersten Vorstellung die deutlichste Weiterentwicklung bei der Gestaltung des Fürstensohnes Wladimir – er sang zärtliche, lyrische Passagen, die wir von ihm bisher noch nicht gehört haben. Seine Piani klangen deutlich bis in die letzte Reihe und die Stimmschönheit hat durch das weniger druckvolle Singen deutlich gewonnen. Bravo!

Die Polowetzer Herrscherfamilie war – abweichend von der Premierenbesetzung – mit Andreas Mitschke als Khan Kontschak und Martina Mikelic als seine Tochter Kontschakowna  besetzt, wobei Andeas Mitschke die deutlich schwerere Aufgabe zufiel – hatte er doch Sorin Coliban als Rollenvorgänger, der die Latte sehr hoch legte.

Der großartige Bass aus dem Ensemble der Volksoper wurde dieser Aufgabe mit wunderschönem Ausdruck in allen Lagen, besonders aber in den Tiefen, die ihm auch die Gestaltung eines überzeugenden Sarastro ermöglichen, voll gerecht.

Eine Reihung dieser beiden Bässe ist nicht möglich – aber zum Glück auch nicht nötig.

Die zweite Umbesetzung gegenüber der Premiere erwies sich als reines Vergnügen. Martina Mikelic gab der Tochter des Khan eine präsentere Persönlichkeit in Spiel und Gesang. Ihr Alt klang warm, unangestrengt und ging unter die Haut. Die Höhen, die wunderschönen Legatobögen und der sinnliche Ausdruck weisen auf größere Aufgaben hin, die nicht mehr lange auf sich warten lassen sollten.

Die kleinen Rollen waren mit Karl-Michael Ebner (Owlur) und Levente Szöke (Bojar) gut besetzt.

Als besondere Attraktion wurde für die Polowetzer Tänze eine Braekedance-Gruppe engagiert, die tolle Figuren tanzten – auch beim zweiten Besuch konnten wir dem atemberaubenden, temperamentvollem Tanz nur mit staunender Bewunderung folgen.

Dies war sicher einer der besten Regieeinfälle des Leading Teams (Thomas Schulte-Michels – Regie und Bühnenbild, Renate Schmitzer – Kostüme und Teresa Rotemberg – Choreographie), die eine moderne und logische Sichtweise dieses problematischen Werkes fanden. Da Alexander Borodin vor der Vollendung der Oper starb, gibt es keine autorisierte Fassung – somit sind mehrere Deutungen gleichermaßen legitim – oder aber auch nicht!

Die Bearbeitung des altrussischen „Igor – Liedes“ zeigt deutlich, dass man immer schon im Namen der Religion trefflich Krieg führen konnte – dies ist keine exklusive Erfindung des Islams und sollte den heute so aufgeklärten Christen zu denken geben.

Das Bühnenbild war spartanisch genug, um die imposanten Chorszenen gut zur Geltung zu bringen und bunt genug, um die Lebensfreude der heidnischen Polowetzer auszudrücken. Manche Details blieben etwas unverständlich – aber wo gibt es schon eine Inszenierung, mit der man sich zu hundert Prozent identifizieren kann?

Wir haben jedenfalls eine Vorstellung genossen, die sehr viel Freude bereitet hat und freuen uns, dass Fürst Igor in der nächsten Saison – hoffentlich wieder in so hervorragender Besetzung – gegeben wird.

Maria und Johann Jahnas

 

 

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