WIEN/ Volksoper: 25.05.2014 – FIDELIO
Premiere Beethovens einziger Oper in der Volksoper – die Frage, brauchen wir neben der Kult–Inszenierung von Otto Schenk in der Staatsoper auch in der Volksoper einen Fidelio, lässt sich mit einem überzeugten ja beantworten. Schenk hat 1970 im zeitlos schönen Bühnenbild von Schneider-Siemssen die Geschichte der Gattenliebe und der Befreiung aus der Unterdrückung mit einer optimistischen Botschaft für die Zukunft gezeichnet.
Roy Cornelius Smith. Foto: Barbara Palffy/Volksoper
Der deutsche Regisseur Markus Bothe geht hier einen anderen, kritischeren Weg und zeigt die Problematik, unter der viele Revolten und Revolutionen leiden. Nach der Befreiung von dem einen Joch ist bereits die Dramaturgie der nächsten Unterdrückung erkennbar – nachzuprüfen in allen Gegenden der Welt und zu allen Zeiten der Geschichte. Dieses traurige Prinzip wird hier in der Figur des Jaquino verdeutlicht. Nicht, wie oft üblich als etwas einfältiges Weichei wird er in dieser Inszenierung als machtgieriger, intriganter Karrieretyp dargestellt, der es schafft, den Zusammenbruch des alten Schreckensregimes für die eigene Machtübernahme zu nutzen. Das Wesen des jungen Karrieristen wird vom herumpöbelnden Bediensteten bis zum Pizarro-Nachfolger konsequent und erschreckend realistisch dargestellt und zeigt, dass es auch im oft gescholtenen „Regietheater“ nur darauf ankommt, dass man sich mit Respekt und Können mit der vorgegebenen Handlung auseinandersetzt. Das Bühnenbild von Robert Schweer spielt exzessiv mit den Möglichkeiten, die die imposante Drehbühne der Volksoper bietet, wirkt im ersten Akt etwas naiv, bietet in den Kerkerszenen eindrucksvolle Verwandlungen auf offener Bühne und das „Leading Team“ leitet (unter anderem) daraus ab, dass man die „Leonorenouvertüre“ – die ja zugegebenermaßen einen liebgewonnenen Brauch darstellt, aber keinen Bestandteil der Handlung ist – nicht braucht und deshalb getrost weglassen kann. Schade – man hat hier eines der schönsten Zwischenspiele der Opernliteratur, das dem Volksopernorchester großartige Entfaltungsmöglichkeiten geboten hätte, auf dem Altar der Authentizithät geopfert. Ein eigenes Kapitel dieser Inszenierung sind die Kostüme von Heide Kastler. Im ersten Teil herrscht teils elegante, teils funktionelle Alltagskleidung mit nervig häufigem Umkleiden vor, nach der Pause sorgt das „Outfit“ von Florestan und seinen Gefangenenkollegen – je nach Temperament des Betrachters – für Belustigung oder für verständnisloses Fremdschämen. Was man den unfreiwilligen Unterwäschemodels zumutet, hat die Grenze zur Peinlichkeit weit überschritten. Frau Kastler, was haben wir Ihnen getan, dass Sie uns so provozieren und quälen?
Die musikalische Basis für eine erfolgreiche Premiere wurde von Julia Jones – einer temperamentvoll zupackenden Dirigentin – mit dem sehr gut eingestellten Volksopernorchester gelegt. Bis auf kleine Blechschäden bei den Hörnern (wie auch am Ring üblich) und einer etwas „übermotivierten“ Trompete gelang eindrucksvoller sinfonischer Klang und eine ordentliche Sängerbegleitung. Der Volksopernchor sang und spielte – trotz lächerlicher Gewandung – hervorragend und fügte sich gut in die Handlung ein.
Mit Sebastian Holecek verfügt die Volksoper über einen Don Pizarro, der mit seinem mächtigen Heldenbariton in der Lage ist, einem das Fürchten zu lehren. Klangschönheit und Ausdrucksfähigkeit zeichnen diese Stimme aus – eine weitere Paraderolle ist gefunden!
Der Gefängnisvorsteher wurde von Stefan Cerny hervorragend gesungen – sein schwarzer Bass mit dem charakteristischen, dominanten Hall erinnert frappant an Walter Fink – was als Kompliment zu verstehen ist. Die Figur des Rocco wurde in dieser Inszenierung differenzierter als sonst üblich dargestellt. Er lässt sich nur bis zu seiner persönlichen Grenze korrumpieren, stellt sich dann eindrucksvoll auf die Seite der Menschlichkeit, scheitert aber schließlich durch seine Ablehnung des Gouverneursamtes und ermöglicht so dem Jaquino, das nächste Machtregime aufzubauen, was mit der Hinrichtung von Don Pizarro verdeutlicht wird. Thomas Paul gibt diesem rüpelhaften Aufsteiger sowohl stimmlich – mit klarem, leicht metallischem, technisch gutem Tenor – als auch darstellerisch das nötige Profil.
Einen sehr heldischen Heldentenor hat man mit Roy Cornelius Smith als Don Florestan aufgeboten. Noch souveräner als vor einigen Jahren als Calaf in Turandot lieferte er eine leidenschaftliche Interpretation, der die Mangelernährung im Kerker nichts anhaben konnte. Es waren auch einige – für einen Heldentenor – bemerkenswerte lyrische Töne dabei – wir freuten uns jedenfalls über das „Wiederhören“.
Die Amerikanerin Marcy Stonikas gab als Leonore ihr Hausdebut an der Volksoper und absolvierte diese extrem schwere Aufgabe – wir haben in dieser Rolle schon „große Namen“ scheitern gehört – passabel. Der dunkel timbrierte Sopran klang bei der großen Arie und auch im Duett mit Florestan unangestrengt und technisch gut. Zusammen mit Rebecca Nelsen (der zweiten Amerikanerin des Abends), die als Marzelline mit hellem temperamentvollem Sopran und selbstbewusstem Auftreten überzeugte, gelangen schöne Klangverschmelzungen bei den beiden Frauenstimmen und in den Gruppenszenen. Trotz ansprechenden Leistungen bei den Damen stand für uns diese Premiere im Zeichen der dominierenden Herren.
Dass der Minister schwer zu besetzen ist, bewies der gestrige Abend aufs neue. Günter Haumer sang richtig; der Zauber, den diese Rolle vermitteln kann, ist aber nicht eingetreten. Den beiden Gefangenen Marian Olszewski und Woo-Chun Eun gebührt – wie auch ihren Leidensgenossen – unser Mitgefühl.
Der Applaus für die Gesangssolisten, Chor und Orchester war einhellig freundlich aber nicht euphorisch; das Leading Team holte sich unbeeindruckt die schaumgebremsten Buhs, aber auch Zustimmung ab. Wir erlebten weder eine Sternstunde noch einen Skandal.
Maria und Johann Jahnas