Repertoire in der Wiener Volksoper:
4.3.2018: „DER OPERNBALL“ – ein defektes Ballvergnügen und die Frage nach Stil
Es ist kein kleines Drama mehr, es ist bereits ein größeres geworden: Die unbedachtsame Pflege der „goldenen“ Wiener Operetten in den Wiener Musiktheatern. Die von der Stadt Wien überreichlich subventionierten Vereinigten Bühnen Wien mit ihren drei Häusern buttern ihr Subventionen überwiegend in qualitätsvoll unterschiedliche Musical-Produktionen. Dürften in ihren Archiven die „goldenen“ Partituren eines Suppé, Strauß, Millöcker, Zeller bereits verbrannt haben. Aus der Volksoper sind diese Werke noch nicht so ganz verschwunden, doch schon seit Jahren kann nicht mehr von stilprägenden Musterinszenierung berichtet werden. Die Einstudierung von Karl Millöckers „Gasparone“ kommenden Juni, einer aus Graz übernommenen Regiearbeit von Olivier Tambosi, mag aber vielleicht bald eines Besseren belehren.
Die Februar-Premiere von Richard Heubergers „Der Opernball“ – 1898 ein musikalisch schon besonders hochkultivierter Ausklang der Wiener goldenen Operettenära – ist vom Stammpublikum (wie auch von Künstlern des Hauses) sehr negativ beurteilt worden. Nun, eine sonntägliche Repertoirevorstellung am Nachmittag, um eventuell Korrekturen in der Meinung vorzunehmen: Gut besucht, fast nur reiferes, ruhiges Publikum. Anerkennender Applaus für die Sänger, doch kein einziger Solovorhang. Die Premierenbesetzung wirkt nun wesentlich lockerer, zeigt sich durchaus sehr spielfreudig, ist unter Alfred Eschwés musikalischer Leitung um Harmonie bestrebt. Das funktioniert. Die Defekte liegen beim neuen, phantasielos schwätzenden Text – überlange Dialoge, nicht ausgewogen zwischen Wort und Musik. Man spielt statt wie original in Paris im heutigen, in einem bereits recht unpersönlich und steril gewordenen Wien. Es finden sich aber doch durchaus charmante WienerInnen im Ensemble: Kristiane Kaiser, Ursula Pfitzner, Martina Dorak, Boris Eder. Auch Gerhard Ernst, nicht am Premierenabend auf der Bühne, ist eine echter Wiener und er mimt komödiantisch und präsent – nun, statt Moniseur Beaubuisson heißt es jetzt hier plump Theophil Schachtelhuber, Rentier – so einen richtig echten Wiener mit der ihm gegebenen ursprünglich wirkenden Natürlichkeit.
Diese heute aktuellen künstlerischen Schwierigkeiten, wie mögen sie korrekt einzuschätzen sein? Im Fall „Der Opernball“ ist das Hauptproblem eindeutig eine völlig missglückte Bearbeitung durch den Regisseur. Der Dresdener Axel Köhler erlaubte sich eine totale Massakrierung des Originals (ein ähnliches Übel ist zurzeit auch mit Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ im Wiener Volkstheater zu erleben). Sein Konzept bleibt in Oberflächlichkeiten stecken, wirkt weder liebe- noch humorvoll oder durchdacht erarbeitet und erzählt keine vernünftig aufbereitete Geschichte. Die Inszenierung mit ihrer unreflektiert angesprochenen Sozialkritik und derber Bordell-Erotik bindet sich in keinster Weise mit dem dezenten Charme von Richard Heubergers subtilem Melodienreigen.
Aber auch, in Rückschau auf nun bereits längst vergangene Volksopern-Jahre: Es gibt offensichtlich keine Publikumslieblinge mehr. Besetzungsproblem kommen dazu. Dass es heute überall an stimmlich überzeugenden Operettentenören mangelt, ist schon klar. Und so eine richtige wahre, vom Publikum geliebte Diva ist nicht aufgezüchtet worden. Bleiben wir somit bei den Silvester-„Fledermäusen“ in Staats- wie Volksoper: Altbacken, aber immer noch gut. Und das Warten auf einen Regisseur, der mit Fingerspitzengefühl und nobler Musikalität vielleicht stilistisch doch wieder so was echt „Goldenes“ herbeizaubern könnte …. na ja, Wien ist eine (nicht eben kreative) Musical-Stadt geworden.
Meinhard Rüdenauer