WIEN / Theater an der Wien:
TOSCA von Giacomo Puccini
Premiere: 18. Jänner 2022
Das Theater an der Wien des Roland Geyer – eine Ära, die nun zu Ende geht – war immer ein Haus der Raritäten. Darum herrschte leichte Verwunderung, warum der Direktor zu seinem Abschied mit „Tosca“ und „Jenufa“ zwei populäre, viel gespielte (im Fall von „Tosca“ wohl auch schon abgespielte) Werke ansetzt. Des Rätsels Lösung ist einfach, wenn man sie weiß: Mit den gewählten Regisseuren, Martin Kušej und Lotte de Beer, will Geyer Wien (und vielleicht den anderen Häusern) zeigen, wie „Oper heute“ aussieht. Die „Tosca“ von Kusej jedenfalls mit Sicherheit nicht wie jene unsterbliche „Klassiker“-Aufführung der Margarethe Wallmann in der Staatsoper. Apropos – auf seiner Website erzählt das Theater an der Wien die Handlung von „Tosca“, als spielte sie tatsächlich in Rom im Jahre 1800, und die Heldin springt am Ende von der Engelsburg. Nein, das sieht man mit Sicherheit nicht. Nicht einmal annähernd. Gar nicht.
Martin Kusej hat mit der Direktion des Burgtheaters wohl sein Lebensziel erreicht. Der Preis, den der nun 60jährige dafür zahlt? Er regt niemanden mehr auf. Was er im eigenen Haus an eigenen Klassiker-Inszenierungen bietet, hat noch niemandem vor Begeisterung die Schuhe ausgezogen. In einem Interview beschwerte er sich rund um seinen runden Geburtstag, dass man ihn, wenn er Pech hat, zu den verachteten alten weißen Männern zählen könnte, schließlich befindet er sich in einer Machtposition. Und dabei war er doch, wenn man sich nicht irrt, immer am liebsten ein „Aufreger“…
Es war Christof Loy, der einst vorgeschlagen hat, man sollte in der Oper nicht nur die Handlung, sondern auch den Text und die Musik verändern. Kusej, der sich nicht im geringsten für die klassische „Tosca“ interessiert, nicht für ihre Romantik und ihre gewissermaßen opernhaft-elegante Dramatik, will alles anders als bisher. Er geht von der politischen Dimension aus, die zweifellos in dem Stück steckt: Scarpia ist ein Terror-Herrscher in seiner kleinen Welt. Unter seinen brutalen Füßen sterben Menschen, und am liebsten quält und demütigt er sie davor noch. Das soll, wie man weiß, im wahren Leben immer wieder vorgekommen sein (oder mancherorts noch vorkommen). Wohin Kusej „seine“ Geschichte versetzt, hat er in vielen Interviews allerdings nicht gesagt. Soll man raten?
Die Schneelandschaft des Abends (Bühne: Annette Murschetz) bietet keinen konkreten Hinweis. Im Hintergrund ein Wohnwagen, vorne Schnee, ein knorriger Baum. Tödliche Öde und Leblosigkeit. Dass da jemand malen wollte – angeblich offenbar einen Heiligen Sebastian, im Bild darunter eine schöne Frau. Was das Marterl mit der Muttergottes da macht…? Wer immer in diese Vorstellung geht, muss sich von Sant’Andrea della Valle, vom Palazzo Farnese und der Engelburg verabschieden. Die kalte Leere bleibt immer dieselbe, auch wenn sich im zweiten Akt (gespielt wird ohne Pause) der Wohnwagen öffnet.
Fotos: Monika Ritershaus
Am ehesten fühlt man sich in ein Gefangenenlager versetzt. Was macht Cavaradossi hier? Wahrscheinlich ist er ein Widerstandskämpfer (schließlich hilft er einem anderen, nämlich Angelotti). Wer braucht hier eine Sängerin wie Tosca? Der grüne Lackledermantel, in dem sie erscheint, weist sie ebenso wie das Kleid des zweiten Aktes (und das schwarze Korsett darunter) weit eher als Lagerhure aus. Nur Scarpia ist ganz er selbst – der Brutalo-Diktator seiner kleinen Welt. Ganz in Weiß, sehr elegant, sogar im Wolfspelz, das hat Stil (wenn sich auch Tierfreunden das Herz umdreht, weil der Mantel so echt wirkt – Kostüme: Su Sigmund).
Die Änderungen nimmt Kusej zuerst an den Figuren vor. Der Mesner ist keiner und schon gar nicht lustig, zuerst sieht er aus wie ein Jesuit (einem solchen Mann kann man nicht „Dammi i colori“ befehlen, das wurde umgedichtet), dann erscheint er rätselhaft mit Hahnenfedern geschmückt, dann ist er Sciarrone und Roberti zugleich, und wer solch einen Mann bei der Hand hat, der braucht kein Hinrichtungskommando, der ersetzt den Gefängniswärter am Ende und erledigt Cavaradossi mit einem schlichten Genickschuß.
Apropos Sterben: Tosca hat im Schnee weit und breit keine Möglichkeit, sich umzubringen. Aber da hat Kusej schon von Anfang an die rätselhafte Figur der Gräfin Attavanti zum Leben gebracht (in der Oper hören wir nur, dass Tosca total eifersüchtig auf sie ist, weil sie meint, Cavaradossi habe diese Dame und nicht sie, seine Geliebte, gemalt…). Wenn sie bis dahin aufgetaucht ist, war ihre Funktion hächst vage, aber am Ende ist sie nötig: Wie anders könnte Tosca sterben, außer durch ein paar gezielte Schüsse dieser Dame?
In dieser Lager- oder Gefängniswelt, wo nichts, was im Text steht, auch realisiert wird (wollte man das im Detail aufzählen, man würde nicht fertig), scheint Kusej als Regisseur geradezu den Sadismus des Scarpia zu genießen und hetzt sein Liebespaar mit seiner Hilfe konsequent in den Tod. Zu Cavaradossi kann ihm da nicht viel einfallen, außer dass die Folterung wirklich blutiger ausfällt als üblich, aber zu Tosca – das geht ab im zweiten Akt! Nichts von der edelmütigen Dame, die an Scarpias Herz appelliert, wie man sonst „Vissi d’arte“ gern versteht. Sie weiß, was sie tun muss, um ihren Geliebten zu retten, öffnet Scarpias Gürtel, zieht sich bis aufs Mieder aus, ist offensiv zu allem bereit, steckt die Ohrfeigen ein, die er ihr versetzt – bis ihr das Messer ins Auge fällt.
Allerdings gibt es in dem schäbigen Wohnwagen nicht einmal einen Tisch, geschweige denn ein elegantes Mahl, eine Obstschale mit Messer. Wenn Cavaradossi von einer Schar düsterer Soldatenfiguren zu Scarpia geschleppt wird, zieht er auf einmal dieses Messer – eine völlige Unmöglichkeit, ausgeschlossen, dass diese Herren ihren Job so wenig verstehen, dass sie einen Gefangenen nicht durchsuchen (so wie es der „Mesner“, der keiner war, schon im ersten Akt mit ihm gemacht hat). Aber Tosca braucht das Messer, Scarpia sieht, was sie tut, lacht sie aus, turtelt zwischendurch mit seiner Attavanti (man muss ja nicht alles verstehen, was da passiert) – wie sie es schafft, diesen großen, starken Mann, den sie in diesem Fall nicht einmal überrascht, wirklich zu erstechen… egal. In der Oper glauben wir ja auch, dass das Obstmesser es kann.
Immerhin ist der zweite Akt, der die Figur der Tosca von der edlen Künstlerin zur routinierten Nutte umdreht, zumindest spannend, während beim Rest dieses unendlich brutalen, menschlich extrem hässlichen winterlichen Stücks, das da auf der Bühne des Theaters an der Wien erscheint, jeder Zuschauer selbst entscheiden muss, wie viel er davon einsieht, interessant findet – oder einfach nur eine Gewalttat am Original beklagt. Aber Werke haben, wir wissen es, in unserer Theaterwelt keine Rechte mehr. Regisseure haben alle.
Es wäre absolut ungerecht zu sagen, dass Kristine Opolais in erster Linie mit ihrer phantastischen Figur und ihrer Schönheit überzeugt. Sie dankte der einstigen „Rusalka“-Inszenierung von Martin Kusej einen gewaltigen Karriereschub, sie vertraut ihm, sie lässt sich mit Vehemenz auf alles ein, was er verlangt. Im Grunde ist ihre Tosca ein einziger Schrei der Verzweiflung. Im übrigen fordert diese Rolle ihre an sich schlanke Stimme hörbar bis an ihre Grenzen, aber schwelgerischer Belcanto (an sich im ersten und dritten Akt durchaus in der Gesangslinie) wäre hier gänzlich fehlt am Platz.
Vorberichte haben versucht, die Neugierde auf den chilenischen Tenor Jonathan Tetelman anzuheizen und die Erwartungen hoch zu schrauben. Nun stimmt es ja – die A-Klasse der Tenöre, Kaufmann, Beczala, Florez, Grigolo, Calleja, sind ja nun alle Herren in ihren Vierzigern und Fünfzigern, die nächste Generation wird erwartet. Benjamin Bernheim hat die allgemeine Anerkennung schon geschafft, Freddie De Tommaso arbeitet noch daran – wird sich Tetelman in die Reihe der künftigen Spitzentenöre einreihen? Nun, seine hohe Lage und seine Spitzentöne funktionieren mit einem Metallkern und jenem Strahlen, das man bei Tenören liebt. Sicher war es klug, sich erst einmal darauf zu konzentrieren. Allerdings dürfte er dann in der Mittellage nicht so absacken, da ist technisch noch einiges zu tun. (Aus Sparsamkeitsgründen müsste er übrigens im dritten Akt auch die Weise des Hirtenknaben singen und dieses Mezzavoce des Knabensoprans war gar nicht so einfach…) Was seine Figur betrifft, so konnte er in Jeans und abgerissener Jacke keinen großen Eindruck hinterlassen. Der Dirigent erlaubte dem Publikum auch keinerlei Beifall nach den Arien (wobei die leuchtenden Sterne nicht sooo gelangen, dass ein DaCapo gewünscht worden wäre), aber man kann sich vorstellen, dass er unter den Königen der hohen Töne mitrittern wird…
Die überzeugendste Figur des Abends gab der Ungar Gábor Bretz, der als Darsteller in jedem Spitzenfilm seinen Platz behaupten würde, ohne dass er je das Bösewicht-Klischee bemüht hätte. Er spielte seine Lust an der Macht ganz gelassen, ganz souverän, ohne Gefühl aus (nur nach Toscas Fummelei an seinem Körper wischte er sich über die Stirn, was nachzufühlen war). Gesanglich kam er mit seiner eigenen darstellerischen Leistung nicht ganz mit, aber dass hier ein Schauspiel-Regisseur am Werk war, ist ohnedies immer klar, wie die Sänger klangen, dürfte für ihn zweitrangig gewesen sein.
Bestrickend in allen seinen Rollen als der zynische Scherge schlechthin war Rafał Pawnuk, während von den anderen Unterteufeln des Oberteufels Scarpia nur Andrew Morstein als beflissener Spoletta übrig geblieben war. Ivan Zinoviev ließ gelegentlich aufhorchen, viel gesehen hat man von dem halbnackten Angelotti ja unter den Bergen von Schnee auf der Bühne nicht. Sophie Aujesk als stumme Attavanti ließ sich gelegentlich herumschleppen und schoß am Ende, dazu war sie ja da.
Marc Albrecht war eigentlich am Haus, um schon an der nächsten Premiere, der „Jenufa“, zu arbeiten, aber einen Routinier kann nichts erschrecken, und man lässt seine Kollegen ja nicht im Stich. Als Ingo Metzmacher Covid erwischte (was angeblich jedermann demnächst bevorsteht), sprang er ein. Ob er die „Tosca“ bei einer anderen Inszenierung auch so laut, zupackend, gnadenlos dirigiert hätte wie hier mit dem ORF Radio-Symphonieorchester, weiß man nicht. Er setzte jedenfalls seinerseits musikalisch das Regiekonzept um. Der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) ersetzte auch die hier nicht vorhandenen Kinderlein, die um keinen Mesner herumhüpfen durften. Aber das sollte die geringste Sorge sein angesichts von allem, was hier vom Original abwich.
Als nach dem einhelligen Applaus für Sänger und Dirigenten Martin Kusej erschien und die „Buh-Rufe“ einsetzten, wirkte er geradezu erfreut und erleichtert. Ja, er kann noch Aufregung erzeugen. Und darum ist es ja wohl gegangen?
Renate Wagner