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WIEN / Theater an der Wien: LE NOZZE DI FIGARO

07.03.2014 | Oper

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Nikolaus Harnoncourt
Alle Bilder: Theater an der Wien / Herwig Prammer

WIEN / Theater an der Wien:
LE NOZZE DI FIGARO von W.A. Mozart
Konzertante Aufführung im Rahmen der „MOZART-TRILOGIE“
6. März 2014

Ein Abend, nein, ein ganzer Zyklus für Nikolaus Harnoncourt, die erste Gelegenheit des demnächst (heuer im Dezember) 85jährigen, die drei Da Ponte-Opern von Mozart konzerant in schneller Folge hintereinander aufzuführen. Da Harnoncourt der Meinung ist, bei Mozart stehe ohnedies alles in der Musik, die Bühne sei also die (möglicherweise unnötige?) Verdoppelung, ergab sich für ihn die Möglichkeit, mit einer Ausschließlichkeit und Genauigkeit an der musikalischen Interpretation zu arbeiten, wie sie der normale Opernalltag einfach nicht bringt.

Die Vorgeschichte ist bekannt, eine Kusej- Harnoncourt „Cosi“ platzte wegen Absage des Regisseurs, irgendjemand – ob Geyer, ob Harnonocurt selbst, wissen wohl nur die Insider – packte die Gelegenheit am Schopf, die Mozart-Trilogie auf die Beine zu stellen. Da ihr Ergebnis musikalisch auf jeden Fall etwas Besonderes sein muss, es aber viel Mühe machte (und Spontaneität kostete), damit ins Studio zu gehen, ist die Aufzeichnung durch den ORF, der damit drei „große“ Fernsehabende gewinnt, zweifellos eine ideale Lösung.

Wollte man Nikolaus Harnonocurt in dem, was er weiß, kann und tut, nicht bewundern, würde man sich selbst als Musikfreund diskreditieren. Allein das große Interview, das das Theater an der Wien im Programmheft zu den drei konzertanten Da Ponte-Opern bietet, ist ein Pool an Spezialwissen, von dem man als Durchschnitts-Opernfreund (auch wenn man sich für nicht ganz uninformiert hält) keine Ahnung hat. Die wenigsten von uns könnten vermutlich feine Stimmungsunterschiede zwischen eng nebeneinander liegenden Tonarten auseinander halten, aber für Harnoncourt sind sie bedeutend, um nur ein Beispiel zu nennen. („In E-Dur hört man das Entsetzen hinter den schönsten Klängen.“)

Dergleichen ist für ihn ebenso wichtig wie etwa das Aufspüren „originaler“ Besetzungsnuancen (etwa, dass der Graf und Don Giovanni „helle“ Baritone waren, Figaro und Leporello „dunkle“), die im Opernalltag über die Jahrhunderte ebenso verloren gegangen sind wie der korrekte Umgang mit den Rezitativen: Besonders hier hat Harnoncourt den Sängern zahllose Nuancen zwischen halb gesprochenen, halb gesungenen Rezitativen abverlangt. Ganz abgesehen von anderen Interpretationsfinessen, dass etwa ganze Arienpassagen, die man gänzlich anders kennt, plötzlich piano und pianissimo erklingen… Gerade „gestandene“ Mozart-Sänger müssten damit Probleme haben – vielleicht gibt es darum auch so viele junge Leute in der Besetzung.

Harnoncourt hat das Orchester, seinen Concentus Musicus Wien – diese verschworene Musikergemeinschaft ohne abendlichen Dresscode und leicht überaltert wirkend (oder, besser gesagt: Man meint vielen Musikern anzusehen, dass sie schon seit Jahrzehnten an der Seiten des Meisters kämpfen) – sehr hoch gesetzt, was das Klangbild des Abends noch lauter macht, verschärft und auch verhärtet. Wie man es von diesen Originalinstrumenten und Harnoncourts Interpretation gewöhnt ist, bekommt man den bekannt rauen, heftigen, teilweise wahrlich übersteigert wirkenden Klang (wenn beispielsweise der Hochzeitstanz im 3. Akt wie ein Triumphmarsch klingt).

Nun lässt sich dazu vieles interpretieren, etwa die Befreiung Mozarts aus einem falschen Rokoko und einer gefälligen Ästhetik, die Gewinnung des ehrlichen, auch rücksichtslosen Musikdramatikers… mit Worten lässt sich schließlich alles machen.

Aber Tatsache ist doch, dass Harnoncourts Suche nach dem „Originalklang“ mit ihrer verstörenden Wirkung den üblichen Mozart-Hörerlebnissen unserer Zeit widerspricht. Nun gibt es mittlerweile die Harnoncourt-Schule, die viele Anhänger hat – aber im Zeichen der Meinungsvielfalt dürfen auch diejenige, die seinen Stil nicht als den allein selig machenden betrachten (Herbert von Karajan gehörte immerhin auch dazu), das Wort ergreifen. Die Diskussion ist natürlich längst geführt, aber jede neue Harnoncourt-Aufführung stellt die Frage von neuem, wie sinnvoll die verbissene Suche nach dem „originalen“ Klang ist, wenn sie so viel kostet, was andere Mozart-Interpreten an Leichtigkeit, Transparenz, sprudelndem Humor und nicht zuletzt Schönheit, Schönheit, Schönheit in der Musik gefunden und aus ihr herausgeholt haben und was in Harnoncourts Schwere auf der Strecke bleibt… Hier treffen dann schlicht und einfach Ideologien auf einander.

Le nozze di Figaro_3(c)HerwigPrammer~Mari Kulman
Mari Eriksmoen, Elisabeth Kulman

Niemand zeichnet für die Abende im Theater an der Wien „szenisch“ verantwortlich – im Hintergrund eine Wand mit 27 Bilderrahmen, einige davon waren mit „Rollenfotos“ des Figaro-Personals bestückt, andere wiederum leer, man kann mit einiger Sicherheit annehmen, dass es für „Giovanni“ und „Cosi“ ähnlich so laufen wird. Vorne ein paar Notenständer, einige Sänger mit dem Klavierauszug in der Hand, andere frei agierend. Die Damen im Abendkleid, die Herren in Anzugs-Variationen (wenn ein Darsteller vom Bartolo zum Antonio springt, genügen Anzug gegen Hemdsärmel und Mütze als Differenzierung). Der Arnold Schoenberg Chor marschiert auf und marschiert wieder ab.

Die Protagonisten singen und agieren mit einander, aber „ausgespielt“ wird nichts. Immer wieder stellt sich heraus, dass man Einzelheiten – etwa in der Susanna-Arie, wo sie Cherubin umkleidet – tatsächlich besser folgen kann, wenn man durch nichts Szenisches abgelenkt wird. Einzige ausdrückliche Pointe – wenn besagter Bartolo/Antonio für sämtliche Ohrfeigen des Abends zu sorgen hat und sie mit scharfem Klatschen punktgenau abfeuert…

Der Abend kulminierte in dem Dienerpaar, gesungen von zwei jungen Interpreten, die jeweils an allen drei Abenden vertreten sein werden, Mari Eriksmoen aus Oslo und der derzeit in Graz engagierte Südtiroler Andrè Schuen. Sie singt ebenso glockenrein und –hell wie ausdrucksstark und ist durch und durch liebenswert – folglich eigentlich nicht im Sinn ihres Erfinders, outet Harnonocurt im Programmheft-Interview Susanna doch als abgefeimte Drahtzieherin…

Dafür, dass Roland Geyer zu Beginn auf die Bühne kam und erklärte, Andrè Schuen leide unter einer Allergie, deren Verlauf nicht vorherzusehen sei, hat der junge, schlanke, wendige, technisch firme und besonders schönstimmige Bariton eine Prachtleistung hingelegt und sich bis zu seiner letzten Arie immer noch gesteigert. Man freut sich auf seinen Giovanni und auf den Guillelmo – ja, kein Schreibfehler, Harnoncourt hat auch festgestellt, dass der Herr, den wir immer nur als „Gugliemo“ gekannt haben, eigentlich so heißt…

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Bo Skovhus / Ildikó Raimondi

Im schwarzen Gehrock, fast kahl geschoren, ist Bo Skovhus ein zwar durch und durch unsympathisch wirkender, aber souverän singender Graf, dessen Gattin das Problem des Abends darstellt: Christine Schäfer „schmiss“ schon die ersten Töne ihrer ersten Arie und war in der Folge so unsicher, dass man immer nur hörte, wie schwer das zu singen ist (was man ohnedies weiß, aber es gibt natürlich Damen, die das nicht merken lassen). Obzwar „Dove sono“ besser, wenn auch nicht gut gelangt, war sie den ganzen Abend lang eine Zitterpartie und machte klar, dass sie ihre Stimme nicht mehr so im Griff hat, wie es die Gräfin verlangt.

Elisabeth Kulman, sehr „fesch“ im weißen Hosenanzug, machte aus der Not der Harnoncourt-Rezitative eine Tugend und holte jede Menge Pointen aus der Diskrepanz von tiefer Sprechstimme und hoher Singstimme. Ihre Arien wurden ein Opfer der Tempi – wo wir den Cherubin gerne unruhevoll-bewegt hören, hielt Harnoncourt hier an einer unpassenden Gemessenheit fest.

Ganz exzellent die Nebenrollen: Ildikó Raimondi ist eine wahre Luxusbesetzung als Marcellina und durfte auch, mit pointiertem Charme, deren meist gestrichene Arie im letzten Akt singen. (Übrigens: Wie kann man so gertenschlank und dabei gar nicht faltig sein? Bewundernswert.) Und was die junge Christina Gansch als Barbarina betrifft, so braucht man vermutlich nur ein paar Jahre zu warten und sieht sie in großen Rollen an großen Häusern – das ist ein Bühnentalent.

Freuen kann man sich auch auf den erst 27jährigen Schweizer Tenor Mauro Peter: Er sang Basilio / Don Curzio nicht nur mit Charakterisierungskunst, sondern auch mit Tönen, die ihn für den Ottavio und den Ferrando empfehlen. Als profunder Bass und herrlicher Komiker changierte Peter Kalman in Windeseile zwischen Bartolo und Antonio und holte sich in jeder Rolle seine Lacher.

Nochmals zum Dirigenten, der Häuser mit seinen überzeugten Fans füllen kann. Im übervollen Theater an der Wien war kein Platz für irgendwelche Zweifel, vielmehr fühlten sich die Zuschauer ganz offenbar wie im Harnoncourt-Himmel, wie der Jubel verriet.

Renate Wagner

An diesem Sonntag, 9. März, um 20,15 Uhr in Ö III

 

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