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WIEN / Theater an der Wien: LA MÈRE COUPABLE

09.05.2015 | KRITIKEN, Oper

Mere Coupable Szene
Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater an der Wien:
LA MÈRE COUPABLE von Darius Milhaud
Premiere: 8. Mai 2015

Im „Barbier von Sevilla“ war Rosina das junge, hübsche, durchtriebene und unternehmungslustige Mündel, das kräftig daran mitwirkte, dass Graf Almaviva sie ihrem Vormund vor der Nase wegschnappen konnte. Liebe und Waschtrog und sehr viel ungehemmte Fröhlichkeit, vor allem, wenn Rossini die Musik dazu schrieb. In der „Hochzeit des Figaro“ ist Rosina dann schon die recht unglücklich verheiratete Gräfin Almaviva, die allerdings durchaus bereit ist, sich von den amourösen Avancen eines Pagen erotisieren zu lassen. Wunderschön webt sich bei Mozart Melancholie in den Humor, der dennoch siegt.

Caron de Beaumarchais hat allerdings noch ein drittes, weit weniger berühmtes Stück über die Almavivas geschrieben, und da ist Rosina nun zur „schuldigen Mutter“ geworden und wir haben es mit einer Tragödie reinsten Wassers zu tun. Obwohl Beaumarchais eine so unverhohlen Tartuffe-artige Figur ins Geschehen brachte, dass er sie sogar in den Titel setzte: „L´autre Tartuffe ou la mère coupable“, wird die Sache so gut wie nie komisch. Vertont wurde Stück Nr. 3 von Darius Milhaud (1892-1974), und hätte man noch ein Jahr gewartet, hätte man das halbe Jahrhundert von der schuldigen Mama feiern können, die 1966 im Grand Théâtre de Genève uraufgeführt wurde.

Aber da es nicht unbedingt ein 50er des besonderen Theaterglanzes sein wird (das Stück steht selten genug auf den Spielplänen, in Wien erinnert man sich seit Menschengedenken an keine szenische Aufführung), war es nun im Theater an der Wien „dramaturgisch“ optimal aufgehoben – nach dem „Barbier“ (allerdings in der Paisiello-Fassung), nach Mozarts „Figaro“, ecco, da ist der dritte Streich. Von der Komödie, von der Beaumarchais einst ausgegangen ist, hat man sich allerdings gänzlich zu verabschieden.

Die Almavivas, schon ziemlich heruntergekommen, haben zwar 20 Jahre später (von Spanien nach Frankreich übersiedelt) in Figaro und Susanne noch immer zwei recht treue Diener ihrer Herrschaft, aber jede Menge Familienprobleme. Der gemeinsame Sohn des Grafen und der Gräfin ist gestorben, der zweite Sohn León stammt aus ihrem Seitensprung mit Cherubin, was der Graf weiß und was ihn auffrisst vor Groll, obwohl er in Florestine eine uneheliche Tochter hat, die als „Mündel“ in seinem Haushalt lebt.

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Angelika Kirchschlager & Mireille Delunsch / Frederikke Kampmann (sitzend) und ihr Alter Ego

Damit die Verhältnisse so richtig schlimm werden, hat sich bei der inzwischen total frömmelnden Gräfin in Gestalt eines Monsieur Begearss (wer er ist und woher er kommt, erfährt man nicht) ein echter Tartuffe eingeschlichen, der bei jedem Familienmitglied zündelt, das Almaviva-Geld und die Mündel-Tochter haben will und mit Unschuldsmiene, scheinbar tiefem Ernst und betont moralischer Haltung Spaß an Intrigen und Machtspielen findet. Wenn er im dritten Akt allerdings entlarvt wird, geschieht das so enttäuschend simpel und schnell, dass man nicht nur hier, sondern auch an der etwas „zerfransten“ Handlung spürt, dass Beaumarchais 1797, zwei Jahre vor seinem Tod, nicht mehr auf der vollen Höhe seines Könnens und scharfen Witzes agierte.

Was Darius Milhaud betrifft, ist er ein Hochgeschätzter der Musik des 20. Jahrhunderts, aber ein goldenes Händchen für Oper hatte er nicht, sonst hätte er mehr davon geschrieben bzw. das Wenige würde öfter gespielt. Selbst der Regisseur der „Mère coupable“ im Theater an der Wien, Herbert Föttinger, gesteht im Programmheft, wie lange er gebraucht hat, um in diese Musik einzudringen und wie viel Auseinandersetzung es benötigte, um sie in ihren Details zu schätzen. Nun, der Opernbesucher hat dafür gerade einen Abend, und möglicherweise kommt er dabei nicht allzu weit, obwohl man durchaus das Gefühl hat, dass Dirigent Leo Hussain mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien hier in einer gewissermaßen „obligaten“ modernen Tonsprache nicht nur stochert, sondern sehr (und teils auch erfolgreich) bemüht ist, jede Emotion, jeden Affekt (und Effekt) ausreichend zu modulieren.

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Stephan Loges

Was die Inszenierung von Herbert Föttinger betrifft, so findet sie in einem ausreichend reizlosen Bühnenbild von Walter Vogelweider statt, um als „modern“ durchzugehen, statt Paternoster gibt es hier Aufzüge, und die Hinterwand ist einstöckig, wobei sich im oberen Teil jeweils vier Räume öffnen können.

Herbert Föttinger inszeniert (aus Unsicherheit?) immer mehr, als er soll (das war schon beim „Fidelio“ so). Er bedenkt nicht, dass vermutlich 90 und mehr Prozent des Publikums dieses Werk nicht kennen, dass also ein Teil seiner Energie und Aufmerksamkeit auf jeden Fall davon abgezogen wird, den Text mitzulesen, falls man wissen will, was da auf der Bühne genau geschieht. In mangelndem Vertrauen auf die reale Handlung aber, reichert Föttinger das Geschehen an – von Anfang an, wenn der Oper die Mozart’sche Mauerische Trauermusik vorangestellt wird, um das Begräbnis des „echten“ Almaviva-Sohnes zu spielen. Damit hebt der Leichenbitter an und hört nicht mehr auf.

In der Folge allerdings merkt man, dass oben in den Zimmern oder auch auf der Bühne (da huschen sie herum) zu den handelnden Personen weitere Figuren auftauchen. Und wenn sich da ein Blondinchen mit nacktem Oberkörper zelebrierend mit Blut wäscht, wenn ein anderes sein Kreuz so inbrünstig bearbeitet, wie man es gar nicht wissen will – wer soll da noch auf die „richtige“ Handlung unten sehen (abgesehen davon, dass er ja noch mitlesen muss?). Föttinger „verdoppelt“ die Hauptfiguren, spielt entweder Szenen aus der Vergangenheit oder konfrontiert die Almaviva und ihre Kinder mit ihren anderen Ichs, die nur zur Qual da sind. Also ehrlich – das Stück ist tragisch genug, das braucht es wirklich nicht.

Tatsächlich hat Föttinger sich damit einen echten Stolperstein und Störfaktor eingebaut, denn im übrigen macht er spürbar (das hätte man auch ohne seinen Hinweis im Programmheft klar gesehen) weit eher psychologisches Theater als „Oper“, aber da die Führung der Sänger/Darsteller einer der besten Teile des Abends ist, wäre er weit besser gefahren, hätte er es vertrauensvoll dabei bewenden lassen. (Und eine Nackte, die sich mit Blut anschmiert, lockt heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, geschweige denn mehr Zuschauer ins Theater, wenn das Werk sie nicht interessiert. So viel zu der Möglichkeit einer verfehlten Spekulation… Es gilt die Unschuldsvermutung.)

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Markus Butter / Aris Argiris

Die Männer haben es an diesem Abend entschieden leichter als die Damen, die Rollen scheinen nachdrücklicher: Stephan Loges schleicht mit Milchgesicht herum und ist der Typ von Intrigant, der wirklich täuschen kann. Markus Butter wird als Almaviva von glaubhaften leidenschaftlichen Emotionen (und nicht nur verärgerter männlicher Eitelkeit) geschüttelt. Und der Figaro des Aris Argiris bleibt zwar als Figur etwas im Hintergrund, hat aber als Allereinziger an diesem Abend am Ende des 2. Akts (zur Pause) so etwas wie eine Arie oder besser eine Soloszene, die als szenische (nicht musikalische) Paraphrase an das „Si vuol ballare“ gedacht ist – nur, dass es nicht Almaviva ist, dem er es zeigen will (und wird), sondern Begearss, dem „Tartuffe“ des Geschehens.

Diese drei Baritone mit durchaus unterschiedlichen Stimmen (wobei die „Schärfe“ der Figaro-Stimme wohl am stärksten wirkt) meistern ihre Aufgaben auch ohne Qual für den Zuhörer, während Milhaud die Frauenstimmen so einsetzt, dass der Effekt – na, sagen wir: alles andere als beglückend ist, vor allem nicht bei der Gräfin von Mireille Delunsch, auch nicht bei der eindrucksvollen Florestine der Frederikke Kampmann (Kostümbildnerin Birgit Hutter, die alle anderen Damen einigermaßen kleidsam bedacht hat, war nicht sehr nett zu ihr).

Angelika Kirchschlager schließlich gehört zwar der Anfang der Oper, im übrigen aber ist die Suzanne hier zu einer Mini-Nebenrollen verkommen, bedauernswert, weil man von allen Damenstimmen des Abends ihren Mezzo am liebsten hörte. Die Sängerin ist (nach ihrer schlechtweg großartigen Valerie in den „Geschichten aus dem Wiener Wald“) hier schwer unterfordert, und man hat den Eindruck, dass sie gewissermaßen als „Lockvogel“ für einen Abend wirken soll, mit dessen Besetzung die Wiener Opernfreunde im übrigen von den Namen her nichts anfangen können.

Als einziger Tenor steht Andrew Owens als unglücklicher Liebhaber auf der Bühne, Christoph Seidl singt den Notar, der fast auch noch den finanziellen Ruin brächte, und das Programmheft verzeichnet die vier Doppelgänger (nicht allerdings den stummen Darsteller des erwachsenen Cherubin, der in der Vorstellungswelt der Gräfin noch herumgeistert). Das Happyend wird zwar gesungen, darf aber nicht – auch das verlangt eine „moderne“ Inszenierung – gespielt werden, denn natürlich bleibt eine Tragödie eine Tragödie bis zum bitteren Ende, auch wenn Tartuffe dann doch nicht reüssiert…

Es gab ein bisschen Bravo, es gab ein bisschen Buh fürs Inszenierungsteam, und das war es auch schon. Einen wahren „Renner“ hat sich das Theater an der Wien mit dieser Produktion nicht eingefahren – wenn schon bei der Premiere nur drei, vier vereinzelte Zuschauer am Stehplatz gesichtet wurden, ist das Interesse nicht übermäßig groß und wird sich vermutlich auch nicht steigern. Nur die Opernfexe werden es (zu Recht) wissen wollen – und die sind, vom Spielplan her, in diesem Haus ja ohnedies immer am besten bedient.

Renate Wagner

 

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