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WIEN/ Theater an der Wien: LA DONNA DEL LAGO

13.08.2012 | KRITIKEN, Oper

Theater an der Wien LA DONNA DEL LAGO am 12.8.2012

Auf Grundlage der dramatischen Ballade „The Lady of the Lake“ des schottischen Romantikers Sir Walter Scott (1771-1832) verfasste Andrea Leone Tottola (?-1831) das Libretto zu dieser zweiaktigen romantischen Oper von Gioacchino Rossini. Uraufgeführt wurde die Oper dann am 24. Oktober 1819 am Teatro San Carlo in Neapel. Anfangs häufig gespielt, verschwand das Werk in der zweiten Hälfte des 19. Jhd. aus dem Repertoire und konnte sich, trotz einiger Wiederbelebungsversuche ab den späten Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts (Florenz 1958, London 1969, Houston 1981, Pesaro 1983, 1990 und 2001, Mailand 1992 und 2011, Liège 2003, und Paris 2010) keinen festen Platz auf den Spielplänen der internationalen Opernhäuser sichern.

Zum Inhalt: Der abtrünnige Highlander Douglas d’Angus möchte seine schöne Tochter Elena mit Rodrigo di Dhu, dem Anführer der schottischen Rebellen, verehelichen. Diese wiederum wird von König James V., der sie (in der Ballade) für eine Waldgöttin hält, und vom Höfling Douglas geliebt. Die von drei Männern hoffierte Elena wird im Finale bei Rossini dann mit Malcom verheiratet. So weit so gut. Regisseur Christof Loy und sein Ausstatter Herbert Murauer verlegen nun dieses Melodram in die fabelhafte Welt einer „Amélie“ der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, und reichern sie noch um Siegmund Freuds Psychoanalyse an.

Elena flüchtet sich vor der erdrückenden Provinzialität ihres Vaterhauses in eigene Traumwelten und Regisseur Loy führt uns sensibel das Erwachsenwerden dieser Kindsfrau vor Augen. Die Kostüme verorten das Geschehen in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. In dieser behüteten Traumwelt steht ihr Malcom, Elenas Alter Ego, mit Rat und Tat zur Seite. Äußerlich zunächst auch völlig gleich kostümiert, emanzipiert sich Malcom schließlich und kämpft mit Kilt bekleidet als schottischer Clanführer gegen den König. Zugleich mit diesem äußerlichen Zeichen vollzieht sich ein innerer Reifungsprozess bei Elena. Sie wird selbstständig und selbstbestimmt, beugt sich nicht mehr dem Willen des Vaters, der sie mit dem ungeliebten Rodrigo verheiraten will, sondern folgt der Stimme ihres Herzens und ehelicht Giacomo, den schottischen König, den geheimnisvollen „Traumprinzen“ ihrer Fantasiewelt.

Die Bühne erinnert an den Festsaal einer Schule mit eigener Bühne. Zu Beginn findet in dieser Aula eine Chorprobe statt. Später erscheint auf der Schulbühne der titelgebende See als Projektion der Fantasiewelt, in die sich Elena flüchtet, dann ihr Kinderzimmer und schließlich nimmt ein Bühnenorchester darauf Platz, um die Hochzeitsfeierlichkeiten musikalisch zu untermalen. Viele Details, so beispielsweise der Auftritt von neun Tänzerinnen, enthalten zahlreiche psychologische Anspielungen. Erinnern Letztere vielleicht gar an Schwäne, die als Wilis Nächtens aus dem See aufsteigen?

Und Komponist Rossini bettet sein Melodram mit Augenzwinkern in eine leidenschaftlich pulsierende Musik voller expressiver Crescendi und flirrender melodischer Bögen. Geradezu genial wirkt da die Ankündigung der Schlacht mittels einer Harfe, beeindruckend die vielen berauschenden Klarinettensoli und eleganten Hörner. Und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Führung von Leo Hussain und der fabelhaft disponierte ArnoldSchönberg-Chor unter Erwin Ortner laufen zu belcantesker Höchstform auf.

Wie aber besetzt man die äußerst anspruchsvollen Partien dieser opera seria von Rossini? Ist es schon sehr schwer nur einen Tenor zu finden, der über die erforderliche geschmeidige Stimmtechnik verfügt, so benötigt diese Oper derer gleich zwei. Der brasilianische Tenor Luciano Botelho als König Jacob V. kommt diesem erwünschten Ideal einigermaßen nahe, wenngleich nicht alle Koloraturen geläufig dahin perlen… Sein Gegenspieler um die Gunst Elenas, Rodrigo, wirkt mit den heldentenoral geschmetterten Spitzentönen von Gregory Kunde geradezu ohrenbetäubend. In der mittleren Lage und den ariosen Passagen wollte sich bei ihm jedoch so gar kein „Schöngesang“ einstellen. Ob dies mit Absicht geschah, Rodrigo ist ja kein ausgesprochener Sympathieträger, wage ich zu bezweifeln…

Maurizio Muraro wartete als Elenas alter Vater Douglas immerhin mit einem recht soliden Bass auf und verkörperte den alten Vater glaubwürdig. Wie überhaupt die gesamte Personenführung von Regisseur Loy in sich schlüssig und überzeugend war.

Die in Uppsala geborene Schwedin Malena Ernman, die ihr Land 2009 beim Eurovision Song Contest in Moskau vertrat und damals im Finale den 21. Platz errang, hat eine bewegliche Stimme, mit der sie auch die meisten der Koloraturen meistert. Wo dies nicht gelang, etwa im finalen Rondo „Tanti affetti“ schummelte sie sich dank ihres großen schauspielerischen Talentes mit Bravour und Witz über die gefährlichen gesanglichen Hürden, weshalb ich ihr Platz 2 in diesem Operncontest verleihen würde. Für einen Mezzosopran ist diese Partie sicherlich keine leichte Aufgabe, wird doch die Elena im Allgemeinen von einem Sopran interpretiert. So geschehen auch in Genf, das diese Oper gemeinsam mit dem Theater an der Wien koproduziert hat und wo Joyce DiDonato die Elena gesungen hat. Die Elena dieser Produktion ist mit einer Wollmütze, einem Mantel und einem derben Kittel darunter bekleidet, denn in Schottland ist es ja bekanntlich kalt. Und nirgends gibt es so viele rothaarige Menschen wie an eben jenem Flecken der Welt. Und in ihrer fabelhaften Fantasiewelt wird sie völlig von ihren Emotionen getrieben und handelt dadurch teils überaktiv, teils geradezu somnambul.

Unangefochtene gesangliche Siegerin an diesem Abend war aber die armenische Altistin Varduhi Abrahamyan als Elenas Alter Ego Malcom. Bei Rossini würde er zum Happy End die Hand Elenas erhalten. Bei Loy allerdings fungiert sie als eine bloße Projektion in Elenas Fantasiewelt, die aus dem Stück in dem Moment entschwindet, als sich die Kindsfrau emanzipiert und ihrer Kindheit entledigt hat. Zuvor aber demonstriert sie noch meisterhaft, was Belcanto bedeutet: Schöngesang auf der ganzen Linie. Und so geraten alle Koloraturen an diesem Abend, dank ihrer stupenden Technik, zu einem wahren musikalischen Höchstgenuss. Bravissima!

Für eine gesangliche Überraschung sorgte aber auch die Französin Bénédicte Tauran als Albine. Mit einem ansprechenden hellen Sopran machte sie ihre eher kleine Partie zu einem funkelnden Juwel. Rollengerecht ergänzte noch der schwedische Tenor Erik Årman in der kleinen Rolle von Malcoms Diener Serano, den dieser natürlich in dem vorliegenden Regiekonzept gar nicht benötigt, das Ensemble.

Das Publikum dieser  Aufführung war wohl milder gestimmt als jenes der Premiere, schenkt man den Berichten einiger Kollegen Glauben.

Anders als so mancher Rezensent fand ich die Regie, von wenigen Abstrichen abgesehen, konsequent. Loy hat aus einer eher banalen Story ein aufregendes Freudsches Beziehungsdrama auf die Bühne gestellt. Das mag so manchen Puristen, die historisierende Interpretationen bevorzugen, ein Gräuel sein. Eine intellektuelle Herausforderung bleibt diese Donna allemal und es lohnt sich, das hat dieser Abend zur Genüge bewiesen, sich auf dieses Wagnis unvoreingenommen einzulassen und die wunderbare Welt der Elena mit den kritischen Augen des Regisseurs Loy zu betrachten. Bravo!

Harald Lacina

 

 

 

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