WIEN / Theater an der Wien:
GISMONDO, RE DI POLONIA von Leonardo Vinci
Konzertante Aufführung
25.September 2018
Leonardo Vinci (1690-1730), der so jung starb, war ein Zeitgenosse von Georg Friedrich Händel – und klingt doch so anders. Der Italiener ist weicher als der Deutsche, auch virtuos, aber ohne es mit Dacapi auszureizen und auf die (finalen Spitzentöne)-Spitze zu treiben, und ungemein gefühlsintensiv. Man hört ihn nur noch selten, aber es ist immer ein Gewinn. Für uns ist Max Emanuel Cencic der Prophet dieses Komponisten: Nach „Ataserse“ (2012) und „Catone in Utica“ (2015) fand nun die konzertante Aufführung von „Gismondo, re di Polonia“ mit ihm in der Titelrolle im Theater an der Wien statt.
In dieser Oper, die Vinci 1727 für Rom komponierte, ging es nicht um ein antikes oder biblisches Sujet, sondern in dem Libretto von Francesco Brianis um historische Personen im 16. Jahrhundert – „Gismondo“ ist der König Sigismund II. August von Polen, im Konflikt mit Primislaus von Litauen, wobei auch noch Hermann von Mähren (als der „Bösewicht“) und Ernst von Livland Rollen spielen. Eine echte Haupt- und Staatsaktion. Und die nächste Generation liebt und haßt sich, Politik und Privates greifen in einander, die äußere und innere Dramatik des Geschehens ist bedeutend.
Dabei gibt es (man weiß es ja nur aus dem Text, gesehen hat man es nicht) eine Szene, die an Grillparzers „König Ottokar“ erinnert – wenn Primislao im Zelt dem Polenkönig Treue schwört, bricht dieses durch Sabotage zusammen, alle Welt sieht Primislao knien, und das ist als „Demütigung“ natürlich ein Kriegsgrund. Und Ottone, der liebenswerte Sohn von Gismondo, verliert die Liebe von Cunegonda, der Tochter von Primislao, und um die Sache noch komplizierter zu machen (das sind diese Libretti gern), liebt Giuditta, die Tochter von Gismondo, sozusagen eine Generation zurück – und ausgerechnet den zum Feind gewordenen Primislao…
Die Aufführung im Theater an der Wien schickte nach der Ouvertüre zuerst vier Herren auf die Bühne – und als sie nach und nach die Stimme erhoben, war man fassungslos: vier Countertenöre nebeneinander. Tatsächlich waren bei der Uraufführung in Rom alle Rollen mit Männern besetzt, weil der alles beherrschende Vatikan keine Frauen auf der Bühne duldete. Nun hat man die Frauenrollen an die Kehlen von Damen gegeben, dazu noch den Primislao mit einem Mezzo besetzt (der allerdings klingt wie vereinzelte Counter): Ein Opernabend ohne eine dunkle Stimme – und es klang trotzdem wunderbar.
Denn die Besetzung war vorzüglich, wobei Max Emanuel Cencic (Foto: Website Theater an der Wien) als der Titelheld Gismondo gar nicht so sehr in den Vordergrund rückte, einfach weil seine Figur die besonnenste und gemäßigste ist und die wenigsten leidenschaftlichen Ausbrüche hat. Bemerkenswert immer das selbstverständliche Fließen von Cencic’ Gesang, es ist, als ob er mit dieser Musik verwachsen wäre.
Publikumsliebling war der Ukrainer Yuriy Mynenko in der Rolle des Liebhabers Ottone, der Wunderschönes zu singen hatte und es betörend tat. Da fügte sich Vincis reiche Verzierung mit Koloraturen und anderen stimmlichen Kunststücken harmonisch in den lyrischen Ausdruck.
Jake Arditti und Nicholas Tamagna, interessant als Stimmen und Typen, ergänzten bei den Herren, und Aleksandra Kubas-Kruk sang den Primislao mit zwar flacherer Stimme als ihre resonanzreicheren Kollegen, aber mit begeisterndem Einsatz.
Prachtvoll die beiden Damen, die junge, strahlende Stimme von Dilyara Idrisova und vor allem die reiche Dramatik und überzeugende Attitüde von Sophie Junker, die alles beherrschte und überstrahlte.
Als Orchester lernte man die polnische Gruppierung mit dem seltsamen Namen {oh!} Orkiestra Historyczna kennen, deren Konzertmeisterin Martyna Pastuszka stehend und dabei selbst spielend das Ensemble leitete. Vinci bietet nicht nur strahlende Barockklänge (etwa mit den charakteristischen Trompeten), sondern liefert auch allerlei raffinierten, stimmungsmalenden Klangzauber, der das Publikum ausreichend begeisterte, um nach dreieinviertel Stunden noch ausführlich zu applaudieren – wie es Werk und Aufführung verdient haben.
Renate Wagner