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WIEN/ Theater an der Wien: G.F.Händel „SERSE“ konzertant

Ovationen für den exzentrischen Platanen-Umarmer

23.10.2018 | Oper

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Maxim Emelyanychev. Foto: Youtube

WIEN / Theater an der Wien: G.F. Händels „SERSE“, konzertant

Ovationen für den exzentrischen Platanen-Umarmer

22.10. 2018

Selbst wer von Georg Friedrich Händel sonst nichts kennt: Das ‚Hallelujah‘ aus dem Oratorium „Der Messias“ hat es bis zum Handy-Klingelton geschafft. Die Krönungshymne von 1727 zu ‚Zadok the Priest‘ kennt sogar jeder Fußballfan. Wie das? Ein gewisser Tony Britten (nicht mit Benjamin Britten verwandt!) klaute wesentliche musikalische Elemente und den feierlich-monumentalen Effekt von Händels Krönungshymne und bastelte daraus die Champions-League-Hymne. Und das so genannte ‚Largo’ hat es zu Wunschkonzert-Ehren und im 19. Jht mit pathetischer Breite sogar bis zur Begräbnismusik (!) gebracht.

Was heutzutage mehr als seltsam anmutet! In Händels Oper „Serse“ beginnt der exzentrische Titelheld unmittelbar nach der Ouvertüre mangels einer neuen Geliebten (nach der Trennung von seiner Verlobten, Amastre) eine schön gewachsene Platane anzuschwärmen und zu umarmen (‚Ombra mai fu‘,  frei übersetzt: ‚Nie war der Schatten eines geliebten grünen Baumes lieblicher‘). Die kenntnisreiche Musikwissenschaftlerin Silke Leopold weist im Programmheft überzeugend nach, dass Händel „offenlässt, ob die Verehrung der Platane ein Witz oder eine Vision ist. Und so ahnt der Zuschauer auch: So kann es ja nicht weitergehen, sonst würde keine Oper daraus. In das vollkommene Bild des Friedens mischt sich die Spannung, auf welche Weise dieser Frieden gestört werden wird. Es ist das scheinbar Zwanglose, Pastorale, von Tonart, Takt und Tempo, von Klang und Melodik , das die Anfangsspannung erzeugt. Eine perfekte Eröffnung einer Partie, die alsbald turbulent weitergehen wird.“

Start also für bildmächtiges Musik-Theater und auch für ein Erinnerungsblatt: Adrian Noble (im Theater an der Wien 2011) und Stephan Herheim (2013 in Düsseldorf, als Reise-Inszenierung u.a. auch an der Komischen Oper Berlin und in Graz zu sehen gewesen;  im Jänner 2019 kehrt sie an die Oper am Rhein in Düsseldorf zurück)  haben auf sehr persönliche Art werkgerechte Interpretationen geliefert, Herheim sogar mit einer lustvollen Schlagseite an Slapstick-Komik.

Opera seria? Oder doch in so manchem eine ironische Buffo-Oper?  Die konzertante Aufführung lässt musikalisch beide Lesarten zu. Natürlich, es geht um ein ernstes Problem. Ein König, Xerxes, verliebt sich in die Verlobte seines Bruders Arsamene, Romilda, und will eine Heirat erzwingen. Bis zum barocken Lieto fine  natürlich mit zahllosen Irrungen und Wirrungen, Verkleidungen, Intrigen, Eifersucht, Rachegelüsten, tobenden Wutausbrüchen, Todesdrohungen, geschicktem Taktieren samt Übertölpelung des Titelhelden, der eigentlich wenig Heldisches ausstrahlt.  Was schlussendlich geordnete Verhältnisse wiederherstellt. Arsamene kriegt doch seine Romilda, Serse bittet die verflossene Verlobte Amastre um Verzeihung (ob mit neuem Beziehungsanfang, wird sich wohl erst nach dem Ende der Oper herausstellen!), die Intrigantin des Stückes, Atalanta, muss sich einen anderen Liebhaber suchen.  Sie verdient selbst bei Händel kein Happyend!

Eine mehr als drei Stunden dauernde konzertante Aufführung schien wie im Fluge zu vergehen. Was sehr viel mit der fabelhaften Basis durch das Orchester Il pomo d’oro und dem blutjungen Feuergeist am Pult und am Cembalo, Maxim Emelyanychev  zu tun hat! Das 2012 gegründete Originalklang-Orchester besteht  aus lauter ausgewiesenen Spezialisten (Weltklassemusiker/innen, die zu einem wunderbaren Kollektiv zusammenwachsen) für Barock, Klassik und Belcanto. Klangfülle, dynamische Bandbreite, rasantes, gleichzeitig fein nuanciertes Musizieren begeisterte. Dass die Freude an spielerischem Risiko, das „an-Grenzen-Gehen“ bei jedem einzelnen Orchestermitglied fast körperlich spürbar war, ist dem ‚Primus inter pares‘  Emelyanychev und seinem musikalischen Charisma zu danken. Seit 2016 künstlerischer Leiter von Il pomo d’oro, ist der 29-Jährige aus Novgorod stammende Hornist, Cembalist und Dirigent sozusagen ein „Carlos Kleiber“ unter den Barockmusik-Interpreten! „Sprechende“ Dirigiergestik, präziseste Klangvorstellung, jeder kleinste Einsatz wurde gegeben, jedem Flötentupfer, jedem Theorbenakzent, wurde größte Bedeutung beigemessen. Mitunter meinte man, der junge Mann habe mehr als zwei Hände, wenn er mit Nachdruck das Cembalo bearbeitete, zugleich ganzkörperbetont die Einsätze für den Graben und die Bühne gab, insgesamt  bis in die Fingerspitzen und in die wallende Haarmähne motiviert war. Und, erstaunlich: Das hatte in keinem Moment etwas Exzentrisches oder nach billigen Effekten Haschendes!

Sieben Sängerinnen und Sänger boten (diesmal darf man Superlative getrost verwenden!) drei Sternstunden erfüllten Operngesanges.

Franco Fagioli war an diesem Abend der Glücksfall eines Countertenors, der diese Rolle schon einmal mimisch und gestisch mit vielfältiger Nuancierung anreicherte. Tragikomisch war er, eitel, nicht nur in die Platane, sondern auch gründlich in sich selbst verliebt. Ein Egomane, der in seiner Selbstbezogenheit schließlich ausgetrickst wird, was ein Lieto fine ermöglicht. Sein Counter prunkte mit sagenhaftem Stimmumfang von baritonalen Bruststimm-Tiefen (keine Registerbrüche, stimmtechnisch exzellent bewältigt!) bis hin zu stratosphärischen Hochtönen. Ein kollektiver Begeisterungsaufschrei nach der Bravour-Wutarie ‚Crude Furie degl‘  orridi  abissi“ mit irrwitzigem Koloraturgewitter. Er ist ein Sänger, bei dem sich das Gefühl festsetzt: Singen ist ein Ganzkörper-Gymnastik-Hochleistungssport mit sing-olympischen Dimensionen.

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Vivica Genaux. Foto: Website Genaux/Biographie

Alle anderen mit einer famosen Gesamtleistung: Die aus Alaska stammende Vivica Genaux imponierte als königlicher Bruder Arsamene mit der herben Frische ihres Mezzosoprans, auch sie bei sängerischen Exzessen koloraturengewandt und virtuos.

Sonst eine Mischung aus am TAW bereits gut bekannten Sänger/innen und drei Debütant/innen. Die aus Riga stammende Sopranistin  Inga Kalna nahm mit ausnehmend schön timbriertem Sopran für sich ein. Sie singt ein breites Repertoire von Donna Anna, Traviata, bis hin zu Desdemona, erwies sich beim Hausdebüt, begeistert akklamiert, auch bei Barockmusik als sehr stilkundig. Der Treuen, der Standhaften im Stück gönnte man das Happyend mit Arsamene!

Eine Barockspezialistin ist die italienische, in Rom und am Salzburger Mozarteum ausgebildete Sopranistin Francesca Aspromonte. Ihre Atalanta, die als Intrigantin im Stück nachhaltige Liebesverwirrungen stiftet, stattete sie mit verführerisch attraktiven Stimmfarben aus, mutierte dabei fast zu einer Sympathieträgerin in einer zwielichtigen Rolle.

Der dritte Debütant war der Bassist Biagio Pizzuti als Elviro. Man horchte auf: Ein elegant phrasierender Bass-Buffo mit kerniger Grundierung und keine Klischeestimme fürs Lustige! Ein Blick ins Programmheft: Unter anderem Schüler von Rolando Panerai und Renato Bruson. Naja, dann?

Freudvolles Wiederhören mit Delphine Galou als Amastre, die den König am Schluss doch kriegt (oder zu kriegen scheint). Die stilvolle Mezzostimme wurde mit Geschmack, vielleicht eine Spur zu zurückhaltend, eingesetzt.

Der Quasthoff-Schüler Andreas Wolf  sang den alten Oberto, der Serse listig „über den Tisch zieht“, mit herrlichen bass-baritonalen Tönen. Auch er ein Stammgast am TAW, den man immer wieder gerne hört!

So um 22:10 Uhr stürmische Begeisterung. Stehende Ovationen (am lautesten für Fagioni) mündeten in ausdauerndes rhythmisches Klatschen. Ein rauschender Erfolg. Ich habe dann nicht mehr auf die Uhr gesehen…

Karl Masek

 

 

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