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WIEN / Theater an der Wien: FALSTAFF

13.10.2016 | KRITIKEN, Oper

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Fotos: Herwig Prammer

WIEN / Theater an der Wien:
FALSTAFF von Antonio Salieri
Premiere: 12. Oktober 2016

Armer Antonio Salieri, den ohne Peter Shaffers „Amadeus“-Stück vielleicht überhaupt niemand mehr kennen würde. Immer war für ihn das Bessere der Feind des Guten. Hoch geachtet in Wien, sah er sich plötzlich mit dem Genie des jüngeren Mozart konfrontiert (und Shaffer schildert sehr schön, dass es wohl Salieri war, der dies am allerehesten beurteilen konnte, wenn andere Mozart damals für „halt noch ein Komponist in Wien“ halten konnten). Er überlebte den Rivalen, er schrieb 1799 – Mozart war damals acht Jahre tot – mit dem „Falstaff“ ein Werk, von dem er sich vielleicht erhoffte, eine so großartige Musikkomödie zu schaffen wie etwa den „Figaro“. Und vielleicht wäre Salieris „Falstaff“ auch jener der Opernbühnen der Welt, wenn nicht knapp hundert Jahre später Arrigo Boito für den greisen Verdi ein „Falstaff“-Libretto geschrieben hätte (1893 uraufgeführt) – und seither gibt es nur noch einen.

Was schade ist, wie ein Abend im Theater an der Wien zeigt. Bereits zum zweiten Mal huldigt man dem Jahresregenten Shakespeare, zum zweiten Mal nicht auf ausgeleierten Pfaden – der „Hamlet“-Uraufführung folgte nun der weidlich vergessene „Falstaff“ des Antonio Salieri. Ein hochkarätiges Werk, ohne Frage, das in Wien auch noch durch eine hoch vergnügliche Aufführung gewaltig „aufgeputzt“ wurde. Aber man kann ruhig von der Musik reden – die ist nämlich bemerkenswert und längst einer durch Mozart veränderten Musiksprache angepasst, sie charakterisiert Menschen und Stimmungen (oft durch originelle Instrumentation), sie ist nie langweilig, stürmt nicht nur in Arien, sondern auch Ensembles und vielen Chorszenen voran, verlangt den Sängern im doppelten Sinn viel ab – in der Schwierigkeit und der Länge der Partien, jedenfalls was Falstaff selbst und das Ehepaar Ford betrifft. Wenn das Wiener Publikum dieses Werk bei der Uraufführung am 3. Januar 1799 im Kärntnertortheater (dem damaligen Opernhaus der Stadt) stürmisch umjubelt hat, so zeigte es, dass es etwas von Musik verstand. Das Publikum 2016 tat es ihm zu seiner eigenen Ehre nach…

Librettist Carlo Prospero Defranceschi war um einiges ökonomischer als Boito später: Es gibt nur die beiden Ehepaare Ford und Slender, kein junges Liebespaar, keine Mrs. Quickly, keinen Dr. Cajus, und Falstaff hat in Bardolfo auch nur einen Bedienten. Bloß eine Magd im Hause Ford, Betty, kommt hinzu – und der Chor hat reichlich zu tun. Allerdings poppt die Inszenierung im Theater an der Wien die solcherart „verschmälerte“ Handlung wiederum mit einer überbordenden Ideenfülle gewaltig auf.

Regisseur Torsten Fischer, wie immer in Zusammenarbeit mit seinem Bühnenbildner und Dramaturgen Herbert Schäfer, konnte völlig unbehindert vorgehen – man hat diesen Salieri-„Falstaff“ seit Menschengedenken nicht in Wien gesehen, kein ärgerlicher Kritiker kann mit Erinnerungen an irgendeine Musteraufführung kommen. Es gibt auch keine Schranken des „Respekts“, die befehlen würde, die Handlung ins Windsor des 17. Jahrhunderts zu verlegen wie bei Shakespeares „Lustigen Weibern“. Also bedient der Regisseur sich reichlich und mit bestem Erfolg aus der Populärkultur unserer Zeit. Und wer heute „England“ sagt, denkt an die Royals.

Das ist nicht ganz neu – die Queen stand schon vor ziemlich genau sechs Jahren in Robert Carsens Inszenierung von Händels „Semele“ auf der Bühne des Theaters an der Wien, damals hatte er Juno ihre Gestalt verliehen. Diesmal sind sie und Prinz Philipp gleich zu Besuch in Windsor – und an ihrer Seite zwei unverkennbare Familienmitglieder: Kate und Camilla. Also müssen die Gatten William (auch in dem charakteristischen blauen Pullover, den man von Fotos kennt) und Charles sein, klar. Sie erleiden nebenbei die nicht ganz ernst zu nehmenden Ehebruchs-Wirren der Ehepaare Ford und Slender. Und wenn Falstaff und Bardolfo auftreten, tun sie es (Populärkultur!) unverkennbar als Stan und Ollie. Schon das genügte für einen vergnüglichen Mix von Scherz, Satire und ein ganz klein wenig tieferer Bedeutung, aber Torsten Fischer vollbringt auch ein wahres Meisterstück mit dem Chor, den er immer zu beschäftigen weiß und für den ihm immer irgendetwas Verrücktes einfällt.

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Und wenn es am Ende des ersten Aktes mit Karacho zahllose farblose, tennisballgroße Bälle von Himmel „regnet“, die im zweiten Teil des Stücks dann in einem zentralen Becken aufgefangen sind, in dem es sich schön wandeln und auch verschwinden lässt – dann fällt das wohl unter Bühnenbild: Herbert Schäfer hat das Geschehen in einen Riesensaal gestellt, der sich durch Zwischenwände und bewegliche Ebenen schnell verwandeln lässt und mit einer sich gelegentlich senkenden, verspiegelten Riesenwand noch zusätzliche surreale Effekte bringt. Ein Theaterraum für humoristisches Theatergeschehen, das am Ende keine „Waldszene“ bringt, sondern nur ein paar falsche Hörner auf den Köpfen und den schrecklichen Schlusseffekt, dass Falstaff zur Strafe in einen jener sargartigen Kästen gesteckt wird, den Magier im Varieté (mit einem Menschen drinnen) zu zersägen pflegen… Man ist direkt froh, wenn der arme Mann, der zum Finale ganz fest (und wohl verbogen) da drinnen steckt, sich wieder „ganz“ verbeugt: So schlimm waren seine Taten ja nun doch nicht, dass man ihn so bestraft!

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Salieri und auch Fischer haben letztlich das Hauptgewicht auf das Ehepaar Ford – hier Kate und William – gesetzt, und die Aufführung lebt nicht zuletzt von der glanzvollen Besetzung dieses Paares. Man hat Anett Fritsch als Hanekes Fiordiligi (das Gastspiel aus Madrid zu den Festwochen 2014) und als Bechtolfs Figaro-Gräfin in Salzburg gesehen, aber so richtig entdeckt hat man sie erst an diesem Abend. Nicht nur als bildhübsche Frau, die stylishe Kate von der Frisur (und den gelegentlichen schiefen Hüten) bis zu den hochhackigen Schuhen, eine souveräne Sängerin (Salieri hat ihr Dramatik, Koloraturen und jede Menge Schwierigkeiten eingebaut) und eine hinreißende Komödiantin. Mit nie erlahmendem Drive neckt sie Falstaff (wobei später auch die Idee im Raum steht, dass er ihr wirklich gefällt) und ihren wütenden Gatten – ein Gustostück.

Als Gatte, der so verkniffen dreinsieht wie es nur Edward Norton im Kino kann, hat Maxim Mironov eine ganz große Rolle erwischt: Mit seinem hellen, etwas harten Rossini-Tenor, der aber dennoch jede verlangte technische Geschmeidigkeit besitzt, singt und spielt er einen eifersüchtigen „William“, der von einem singenden Wutausbruch in den nächsten segelt, was das Publikum – man ist ja so roh – hinreißend komisch findet.

Das zweite Paar (das sind jetzt Charles und Camilla) hat weniger Möglichkeiten, schon vom Libretto her, aber wenn man sie lässt (etwa, wenn sie sich Camillas Kleider und die blonde Perücke vom Leib reißt und im Fitness-Center-Dress dasteht), dann ist Alex Penda eine mitreißende Mrs. Slender, die im Geschehen lebhaft mit intrigiert. Leider fällt die Stimme, die immer noch mit attackierenden Spitzentönen dabei ist, in den einzelnen Registern bereits auseinander. Arttu Kataja als ihr Gatte bekommt nicht allzu viel zu singen, was er mit etwas trockenem Bariton tut.

Als Dienstmädchen Betty (sie muss gleich zu Beginn auf der Bühne staubsaugen, darf aber ganz schnell vom Putztrampel zur bildhübschen Sexbombe mutieren) nützt Mirella Hagen ihre von Salieri her nicht bedeutenden gesanglichen Möglichkeiten, ist aber keinesfalls zu übersehen.

Wie einen eigenständigen Künstler muss man den Arnold Schoenberg Chor (geleitet Erwin Ortner) betrachten und loben, so vielfältig in den darstellerischen Aufgaben (auch in der Kostümierung), so reich gesanglich gefordert agierte das Ensemble schier ohne Unterlass und stets mit ungebrochener Lust am komödiantischen Dasein.

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Bleiben Sir John Falstaff und sein Bardolfo, zuerst, wie gesagt, Ollie und Stan in Reinkultur, später in einer Don Giovanni-Leporello-Funktion, Spitzbuben beide, die auch keiner Versuchung widerstehen, den Leuten Geld aus den Taschen zu fladern: Wir sind da keinesfalls unter Edel- oder Gutmenschen.

Christoph Pohl (derzeit an der Semperoper, für ihn hat G. F. Haas „Morgen und Abend“ komponiert) bekommt von der Regie einen besonderen Clou, der wohl nicht im originalen Libretto steht: Anfangs so feist, wie man nur ausgestopft werden kann, nimmt er im Bett bei „Kate“ die aufgeklebten Hängebacken und das Doppelkinn ab und schnallt sich auch den Bauch ab – und siehe da, wie ansehnlich der Herr geworden ist. (Später darf er auch noch als Dame Edna erscheinen…) Stimmlich verfügt Pohl über einen eher spröden Bariton, den er nur durch Forcieren zu einiger Fülle bringen kann, was man sich natürlich im Laufe eines langen Abends nicht so oft leistet. Das fällt besonders auf, weil sein Bardolfo, der kanadische Bass-Bariton Robert Gleadow (viel als Figaro und Leporello, auch als Don Giovanni unterwegs), über jene Stimmfülle und –Schönheit verfügt, die dann doch vom Kollegen absticht. Nichtsdestoweniger sind die beiden im spannungsgeladenen Zusammenspiel ein prächtiges Paar.

Dass diese Salieri-Oper nicht nur ein optisches Vergnügen war, dafür sorgte René Jacobs am Pult der Akademie für Alte Musik Berlin, der er sehr verbunden ist. Es sei als Kompliment gemeint, dass Salieri gar nicht wie spröde „alte Musik“ klang (die es 1799 ja auch nicht mehr sein konnte), sondern vor Schwung und Elastizität sprühte.

Am Ende Jubel, Trubel, Heiterkeit. So war es gemeint, und so kam es über die Rampe. Man sollte es als Publikum nicht bei Verdi bewenden lassen, sondern Salieri die Chance geben – wenn man schon die Chance hat, ihm zu begegnen.

Renate Wagner

 

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