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WIEN / Theater an der Wien: DIE ZARENBRAUT (konzertant)

28.04.2014 | Oper

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Olga Kulchinskaya

WIEN / Theater an der Wien:
DIE ZARENBRAUT von Nikolai Rimski-Korsakow
Konzertante Aufführung in russischer Sprache
SolistInnen, Chor und Orchester des Bolschoi Theaters
28. April 2014

Und wenn man Jahrzehnte-tief in die Spielpläne der Wiener Opernhäuser hinein gräbt, man wird keine Aufführung von Nikolai Rimski-Korsakows „Zarenbraut“ in Wien finden. Darum nahm man besonders gern die Gelegenheit wahr, das Werk konzertant bei einem Gastspiel des Bolschoi-Theaters aus Moskau im Theater an der Wien zu erleben. Dort hat man gleich zweimal Nikolai Rimski-Korsakow im Gepäck, „Der goldene Hahn“ (der wenigstens gelegentlich gespielt wird), folgt.

Was die „Russen“ in der internationalen Szene betrifft, so hat Valery Gergiev mit seinem Kirow-Theater aus St. Petersburg die Nase vorne, sie haben in der ganzen Welt gastiert, jede Menge Ruhm geerntet und nicht zuletzt mit der Netrebko den berühmtesten Opernstar des letzten Jahrzehnts hervorgebracht. Die Konkurrenz zum Moskauer Bolschoi-Theater besteht nicht nur innerhalb der Ballettstars, sondern auch in den Opernproduktionen. Nun, in einer konzertanten Aufführung kann man ja quasi nur die Hälfte, die akustische Hälfte beurteilen. Und diese stürzte mit einer Lautstärke und Vehemenz auf das Publikum des Theaters an der Wien ein, als wären mindestens die Hunnen los…

„Die Zarenbraut“, 1899 uraufgeführt, ist ein typisches Werk des Fin-de-Siècle, blubbernde Spätromantik, eine Prise flirrender Impressionismus hineingewürzt, dazu natürlich russische Folklore – Nikolai Rimski-Korsakow verwendete beispielsweise die auch aus Mussorgskis „Boris“ bekannte Zaren-Motivik. Gewaltige Chöre, effektvolle Rollen, das bringt schon etwas – und wird doch kaum je gespielt.

Warum, das kann man nach einer konzertanten Aufführung nicht sagen. Laut Inhaltsangabe passiert ja furchtbar viel, auch Verbrecherisches natürlich, aber die Herrschaften treten auf und ab, stehen oder sitzen und singen ins Publikum. Wenn man den Text nicht lesen kann – als Projektion wurde er nicht geboten, was einzusehen ist, und bei dem Schummerlicht das winzig gedruckte Libretto mitzulesen, wäre eine Attacke auf die Sehkräfte, die man dafür nicht unbedingt riskieren will –, kapiert man natürlich nicht viel.

Sicher, man erkennt die Heldin (ein in die höchsten Höhen gejagter Sopran), den Liebhaber (weil Tenor), die dramatische Rivalin (weil ein hochdramatischer Mezzo) und den Intriganten (hier Bariton, die Bässe bleiben in den Nebenrollen), und viel mehr bekommt man nicht mit. Es gibt ja nun Leute, die lieber eine konzertante Aufführung mit Konzentration auf die Musik genießen, statt sich „Regietheater“ aufdrücken zu lassen, aber man verliert schon sehr viel, wenn „nur“ gesungen wird: Da täte es eine sehr gute Quadrophon-Anlage und eine gute CD-Aufnahme zuhause auch…

Mit Gennady Rozhdestvensky, der würdige 83 Jahre alt ist, stand ein berühmter Meister der russischen Schule am Dirigentenpult, der es keinesfalls an Temperament missen ließ – das Orchester schillerte in allen, zumal dunklen Klangfarben. Was die Sänger betrifft, so pflegen sie mit ihren durchwegs starken Stimmen einen so offenen, ja offensiven Gesangsstil, dass meist nur der Eindruck vorherrscht, sie schrieen in das Publikum. Bei manchen von ihnen ist die Stimmfarbe so scharf, dass man geradezu zurückschreckte – etwa bei Alexander Kasyanov, der als Gryaznoy gar nichts anderes sein konnte als der rabenschwarze Bösewicht, oder bei der Veteranin Irina Udalova, deren Stimme man zu Folterzwecken einsetzen könnte.

Als die jugendliche Heldin Marfa in Gestalt von Olga Kulchinskaya auf der Bühne erschien, meinte man, die junge Netrebko vor sich zu haben – mit dem hoch gekämmten Schwarzhaar, der zarten Figur im weißen Kleid. Bei Betrachtung durch den Operngucker war die Ähnlichkeit dann nicht mehr so zwingend, aber die heute so wichtigen ästhetischen Erwägungen sind in diesem Fall irrelevant, denn mit solch messerscharfer Stimme, der jegliche Wärme fehlt, macht man keine große Karriere. Allerdings ist sie noch sehr jung, das Material scheint gut, möglicherweise liegt die Zukunft nur in der Bereitschaft zu lernen.

Weit Besseres konnte die Rivalin Lyubasha in Gestalt der Agunda Kulaeva bieten, die bei allen Höhenschärfen eine interessante, satte Tiefe hat und ihre Hassorgien eindrucksvoll ins Publikum schmetterte. Im übrigen fiel nur noch der Tenor auf (er ist schließlich der Liebhaber, und hier ein besonders unglücklicher): Blond und schönstimmig zeigte der Ukrainer Bogdan Volkov ebenso wie seine Basskollegen Alexander Naumenko und Oleg Tsibulko, dass es in der russischen Opernwelt auch „warme“ Stimmen gibt.

Aber die harten, scharfen entschieden den Abend für sich, denn sie stellten auch im Chor die Majorität… Das Publikum, während der Vorstellung nur in Grenzen applausfreudig, dankte den Gästen sehr freundlich.

Renate Wagner

 

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