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WIEN / Theater an der Wien: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

13.11.2015 | KRITIKEN, Oper

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Alle Fotos: Theater an der Wien / Werner Kmetitsch

WIEN / Theater an der Wien:
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER von Richard Wagner
Premiere: 12. November 2015

Es wurde viel, wohl zu viel Wirbel darum gemacht, dass das Theater an der Wien Richard Wagners „Fliegenden Holländer“ in der „Urfassung“ von 1841 zur Aufführung bringen würde. Selbst der Regisseur gestand dazu ein, dass musikalisch einzig das Fehlen des „Erlösungsakkords“ den Unterschied ausmachte. Dass Erik ein paar Mal als „Georg“ angesungen wird, ändert so wenig im Vergleich zum später Uraufgeführten wie der „Donald“, der doch voll und ganz der bekannte Daland ist. Und wenn die Handlung auch noch in Schottland spielte statt in Norwegen – was soll’s? Den Unterschied merkt man nicht, am allerwenigsten in dieser Inszenierung von Olivier Py, der seinen guten Ruf (man kennt ja via DVD mehr von ihm als nur den „Hamlet“ von A. Thomas, den er 2012 in ebendiesem Theater an der Wien herausgebracht hat) diesmal nur etwas wackelig verteidigen konnte.

Wieder einmal bekam man im vornherein via Interviews furchtbar viel erzählt, das man dann auf der Bühne nicht findet. Dass das Element des „Theaters“ bedeutend mitspielen sollte, so dass Senta am Ende gar nicht weiß, ob ihr Holländer „echt“ oder nur eine Vision ist – man hat es nicht gesehen. Dass eine zeitlang ein Theaterschminktisch von der Garderobe an die linke Bühnenrampe gewandert ist, reicht dafür als Indiz nicht aus, und zu wenig scheint auch, dass die Damen nicht spinnen, sondern ihr Spinnlied mit Noten als eine Art Chorprobe absolvieren…

Im übrigen wäre das, was Oliver Py auf die Bühne bringt, wieder einmal hochgradig erklärungsbedürftig, könnte man sich nicht interpretierend darauf zurückziehen, dass er einfach eine Gespenstergeschichte in absurder und im Laufe des Abends zunehmend kruderer Form erzählt. „Satan“ (der anfangs vom Chor besungen wird – wer baut auf Wind, baut auf Satans Erbarmen!) ist mit schwarz bemaltem Kopf in Gestalt eines drahtigen Tänzers auf der Bühne (Pavel Strasil), allerdings völlig unmotiviert, mal ja, mal nein, man weiß nie, warum. Am Ende schaukelt er vor der Schar von Holländers untoter Mannschaft splitterfasernackt über die Bühne, davor hat er zu „Steuermann, halt die Wacht“ prächtig getanzt: Das geht zu diesem Rhythmus sehr gut, das hat schon Wieland Wagner gewusst, nur tanzte und strampfte bei ihm damals der ganze Chor. Warum Satan plötzlich eine Schar von Gehilfen hat, die im zweiten Akt Daland über die Bühne schleppen… nicht fragen.

Manches sieht man ja vielleicht noch ein im durchaus willkürlichen Angebot der „Regieideen“: Dass, wenn Daland dem Holländer von seiner Tochter erzählt, in einem Eisenbett eine blonde Nackte liegt, der sich der Holländer lüstern nähert, und die Herren dann im Einverständnis abgehen, als hätte da eben eine Nutte den Besitz gewechselt… es passt zwar gar nicht zum Stück, aber man weiß, was gemeint ist. Aber warum plötzlich ein Totenkopf auf der Bühne erscheint, riesig wie ein mehrstöckiges Haus, in dessen einer Augenhöhle sich Senta kuscheln kann…?

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Skelette tanzen im dritten Akt, wenn die Normalmenschen sich über die Holländer-Mannschaft unterhalten, plötzlich in grell- und buntfarbigen Lichtern über die Bühne: der einzige Farbtupfen einer Aufführung, die sonst in Grau-im-Grau versinkt. Ja, am Ende darf dann eine schwarze Plastikplane „Meer“ spielen, Holländer schreitet final in den Hintergrund, Senta ratlos hinter ihm her, die Erlösung steht hier bekanntlich nicht in der Musik (aber immerhin im Text, „treu bis in den Tod!“), die Bühne dreht sich wieder einmal, was Genaues weiß man nicht – wie an dem ganzen Abend immer wieder.

Es muss das Bühnenbild von Ausstatter Pierre-André Weitz ausführlich besprochen werden, denn es spielt eine Riesenrolle im Gefüge dieser seltsamen Inszenierung aus Patchwork-Ideen: Zuerst scheinen es nur riesige graue Holzwände zu sein, die sich permanent drehen und gelegentlich zu einem Bühnenraum öffnen. Hat man die Hoffnung schon aufgegeben, mehr zu sehen (das Drehen wird nachgerade zur Manier und bleibt es auch), erweist die Bühnenkonstruktion dann, dass sie durchaus zum Kunststück werden kann, sich zerlegen, seltsam verworrene Zimmer-Treppen-Wände-Landschaften darstellen, durch die die Darsteller wahrlich irren. Während sich das Rad der Effekte immer schneller dreht, funktioniert solcherart eine Art Gespenster-Totentanz eigener Prägung, der die Ödnis des Beginns vergessen lässt.

Die Frage, wie Marc Minkowski mit seinem Originalklang-Orchester, den Les Musiciens du Louvre, den romantischen Wagner realisieren würde, beantwortet sich schnell: Was da am Klang naturgemäß trocken und hölzern ist, überspielt der Dirigent nicht nur durch gewaltige, fast durchwegs durchgehaltene Lautstärke, sondern auch durch Tempo, Spannung und eine Art Dringlichkeit, die die Dramatik des Abends gewaltig aufrauschen lassen. Allerdings hat man auch den Eindruck, die Sänger wären angehalten gewesen, ohne Rücksicht auf Verluste so stark wie möglich frontal ins Publikum zu schmettern, quasi als eigenes Stilmittel, das jegliche Differenzierung zugunsten einer Brutalo-Dynamik hintanstellt.

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Samuel Youn war als Holländer, man muss es ehrlich sagen, in Bayreuth weit eindrucksvoller als hier, wo seine Stimme zwar kann, was die Rolle erfordert, aber auch ziemlich resonanzlos klang. Immerhin besser noch als die für Wien neue Senta, denn Ingela Brimberg verfügt über eine gänzlich unausgeglichene Stimme, die in der Mittellage nur flackerte, in den Höhen zwischen Quetschen und Schärfe hindurch dann gelegentlich ungeheure Töne produzierte. Anfangs mit langem Blondhaar, erschien sie übrigens am Ende mit einer Kurzhaarfrisur, als sei sie Gretchen im Gefängnis… Warum? Nicht fragen.

Lars Woldt, der Daland als Donald, böser Bürger mit schriller Stimme, kann es besser, wenn man sich nicht irrt, und so war Bernhard Richter als Erik/Georg eigentlich die eindrucksvollste Stimme des Abends, Wagner-Kraft zwar im Stil des Ganzen nicht eben kultiviert, aber kompetent einsetzend. Auch die Mary der Ann-Beth Solvang (noch zu ein paar zusätzlichen Scherzen eingesetzt, etwa dem Steuermann im ersten Akt erscheinend) und der Steuermann des Manuel Günther entsprachen. Prachtvoll, wenn auch im „Minkowski“-Stil entsprechend scharf: der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner).

Am Ende hatte man eine markerschütternd laute und musikalisch grob gestrickte surreale Gespenstergeschichte erlebt, deren Einfälle wild und willkürlich purzelten, ohne einen großen Wurf zu ergeben. Allerdings scheint diese Art von „Theater“ einem Teil des heutigen Publikums zu entsprechen, denn beim lauten Jubel hatten die Versuche, etwas Missfallen gegen Minkowski und Py anzubringen, gar keine Chancen.

Renate Wagner

 

Für Neugierige, die nicht selbst ins Theater an der Wien kommen können: Am 24. streamt Sonostream.at den Abend live

 

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