Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Theater an der Wien: DER BESUCH DER ALTEN DAME von Gottfried von Einem

„Ja, die Zeit ändert viel …!“

19.03.2018 | Oper

WIEN / Theater an der Wien: DER BESUCH DER ALTEN DAME („Ja, die Zeit ändert viel …!“)

  1. Vorstellung am 18.03. 2018 (Prem.: 16.03.) – Karl Masek

Nestroys „Talisman“ fällt einem(!) ein, verfolgt man die Rezeptionsgeschichte seit der Wiener Uraufführung dieser Einem/Dürrenmatt-Co-Produktion (Staatsoper, 23. Mai 1971).

Gottfried von Einem galt den Avantgardisten der sechziger und siebziger Jahre als rückwärtsgewandter „Componist“. Er gab dem Theater, was des Theaters ist, kümmerte sich wenig um die „10 Gebote“ der Atonalen, um kompositorische Korrektheit des (damaligen) Zeitgeists. Das kongeniale Libretto lieferte Friedrich Dürrenmatt mit einer Adaptierung seines gleichnamigen Stückes fürs Musiktheater. Die Themen Vergangenheitsbewältigung oder eben  Nichtbewältigung samt später Rache, Bestechlichkeit, Käuflichkeit, Geldgier, die über Leichen gehen lässt,…: Zeitlose, bittere Aktualität in dieser grotesken, bösen Tragikomödie. Er kürzte den Text und änderte auch den Schluss. Aus einem antik anmutenden Sprechchor wird ein makabrer Freudentanz, wenn die Milliarde der alten Dame für das vormals verkommene Güllen fließt. Ein Menschenopfer? Kein Moment der moralischen Überlegung …

Im opernkonservativen Wien war die „Alte Dame“ ein Uraufführungstriumph beim Publikum. Bei der Kritik weniger. Altbacken wurde sie bezeichnet, jegliche Opernzukunft wurde ihr (im deutschen Feuilleton) abgesprochen. Aber jetzt zum Nestroy-Zitat: Auch der Wiener Musikkritiker Karl Löbl sprang (fünf Tage später als alle  anderen Kritiker!) im „Kurier“ auf den Ablehnungszug auf, fand die Musik „ … flüssig, und auch ein wenig überflüssig…“ und schloss sarkastisch: „Der Komponist wurde umjubelt, als sei eben der österreichische Nabucco uraufgeführt worden“.  42 Jahre später (2013) klang das in seinem Buch „Nach den Premieren“ ganz, ganz anders:  „Mit Einems atmosphärisch dichter, effektvoll die Handlung illustrierender Musik wurde die Premiere ein großer Erfolg“. Und im Zusammenhang mit Christa Ludwig geradezu enthusiastisch: „…und dann ist da noch die Claire Zachanassian in Einems großartiger Vertonung von Dürrenmatts ‚Besuch der alten Dame‘, die vielleicht stärkste schauspielerische Leistung der Sängerin Christa Ludwig“. Ja, die Zeit ändert viel. Und es scheint sogar, Einem wurde damit zu einer Art Vorläufer der Post-Moderne.

Einems Hunderter bietet jedenfalls, 47 Jahre nach der UA, eine willkommene Gelegenheit, dieses Werk und damalige Urteile einer „Überprüfung“ zu unterziehen.

 Eindruck nach einer rundum gelungenen Wiederbegegnung seit Ende der achtziger Jahre: Eine fabelhafte, technisch gekonnte, brillante Theatermusik, die Dürrenmatts Stück und dessen Handlung nicht bloß „bebildert“, sondern ihm über weite Strecken eine zusätzliche Dimension verleiht. Sie bleibt der Tonalität verpflichtet. Natürlich mit „Ausreißern“, wenn es die Situation erfordert. Auch bewusste Banalitäten werden nicht gescheut. Man kann sich lebhaft vorstellen: Wenn Einem beispielsweise in den Szenen im Konradsweilerwald Klangfarben mischt, dass man den Tann, die Fliegenpilze  und das Moos förmlich zu riechen vermeint und sogar Specht und Kuckuck (mit ironischem Augenzwinkern) zu Wort kommen, hat das die Zornesadern der Donaueschinger Avantgardisten, der apodiktischen Gralshüter der Atonalität, anschwellen lassen!

Dirigent Michael Boder gelingt eine feinst ausbalancierte, an die kleineren Dimensionen des Theaters an der Wien perfekt angepasste Aufführung, was vor allem den Parlando-Stellen sehr gut bekommt und zu uneingeschränkter Textverständlichkeit führt. Es ist ein besonderes Qualitätsmerkmal, wenn man die Übertitelungsanlage kaum in Anspruch nehmen muss!

Das ORF Radio-Symphonieorchester überzeugte einmal mehr als pointierter und beredter Anwalt für Musik des 20. Und 21. Jhts.   

Lesenswert, was Regisseur Keith Warner und Boder (ein Spezialist der „Klassischen Moderne“ wie zeitgenössischer Opern) sowohl im Programmheft als auch in Interviews im Vorfeld der Premiere zu sagen haben. Wohltuend die Plädoyers für stilistische Vielfalt auch bei Werken des ausgehenden 20. Jhts bis hin zur Gegenwart. „Ich kann nicht leben ohne Avantgardemusik eines Boulez, Stockhausen oder Birtwistle, aber ich kann genauso wenig leben ohne lyrisches, gutes Storytelling in jeder Form. Warum können wir nicht alles haben? Den Britten, den Einem, den Sondheim …, man erzähle mir nicht, was gut und was schlecht ist, was ich mögen soll und was nicht…“, so Warner im Gespräch mit der Dramaturgin Karin Bohnert.

Und Warner gelingt in Kooperation mit David Fielding eine atmosphärisch dichte Realisation, mit vielen kleinen Details von britischem und auch dem nötigen „Schwarzen Humor“ Dürrenmatts angereichert. Bittere Aktualität der Besorgnis erregenden letzten Jahre mit anscheinend omnipräsenter Korruption in Gesellschaft, Weltwirtschaft und Politik, wenn Geld als „Wert an sich“ über alles andere gestellt wird, und Vernunft immer mehr auf der Strecke bleibt, Rache und Vergeltung oberste Maxime wird: Auch diese Relevanz findet in dieser Regiearbeit Berücksichtigung. Licht- und Videoregie (John Bishop, David Haneke) arbeiten perfekt zu.

Die Bühnenbilder samt hurtigen Verwandlungen – der Güllener Bahnhof mit Schnellzuggleis in luftiger Höhe und der Spielzeugeisenbahn, die Minimundus-Häuser, der Konradsweilerwald mit Fremdenverkehrsplakat, der Supermarkt des nun auf Pump „neureichen“ Ill, sie alle beschäftigen permanent das Auge. Die damals 17-jährige Klara Wäscher nannte den Liebhaber Alfred Ill nicht „Fredi“ wie die Frau, um derentwillen er Klara nach der Schwängerung sitzenließ, sondern „mein schwarzer Panther“. Eine Königsidee, dass Claire Zachanassian, die Milliardärin, nach 45 Jahren zur späten Rache mit einem schwarzen Panther (vom Butler an der Leine geführt) antanzt. Und der Panther bleibt bei allen seinen Auftritten Bühnen beherrschend. Toll die Virtuosität, mit der Michael Hinterhauser das spielt!

Ein Ensemble ohne Schwachpunkt. Katarina Karnéus betont in der ersten Szene samt geräuschvollem Erscheinen (vielleicht überdeutlich) das Hexenhafte, auch Groteske. Aber schließlich hat ja seinerzeit der junge Ill sie „Hexe“ genannt. Und sie gewinnt rasch alle Nuancen einer erdrückenden Persönlichkeit, einer unerbittlichen, dämonischen  Bedrohlichkeit, womit dann auch ihr hoher Mezzosopran gut korreliert.

Russell Braun war der Alfred Ill. Schuldbeladen aus ferner Zeit (Claire ist anscheinend  nie über diese Verlassens-Kränkung hinweggekommen) und todgeweiht durch die Rache-Obsession der „Alten Dame“. Interessanterweise wird er mehr und mehr zum Sympathieträger und tut einem eigentlich leid, wenn er mit innerer Stärke in den Tod geht. Sein Bariton: markant, kräftig, klar, wortdeutlich, ohne den geringsten Akzent, gestaltet der Kanadier seine Rolle.

Singdarstellerische Rollenporträts vom Feinsten  (in der Reihenfolge des Programmzettels): Mark Milhofer (Boby, Butler der Milliardärin, mit scharfem Charaktertenor und unheimlicher Ausstrahlung, nicht nur als Panther-Führer); Cornelia Horak als Mathilde, Ills Frau, im zum erwarteten Reichtum schon jetzt und auf Pump genuss-süchtig und aufgedonnert; Raymond Very, der aufgeblasene Bürgermeister mit heldentenoralem Nachdruck und grotesker Gestaltung; Markus Butter, der salbungsvolle Pfarrer mit Dauerzigarette und persönlichkeitsstarkem Bariton; Adrian Eröd mit einem singdarstellerischen  Kabinettstück als zynischer, besserwisserischer Lehrer, der überall eine Schleimspur zieht; Martin Achrainer, der hintergründige Arzt mit „Totenscheinaustattungs-Garantie“ und Florian Köfler, der gewaltbereite Polizist. Die vielen Episoden und die tüchtige Statisterie des Theater an der Wien seien  mit einem Pauschallob bedacht.

Der Arnold Schoenberg Chor brilliert auch diesmal – mittlerweile fällt es schwer, die passenden positiven Adjektiva zu finden. Bleibt zu hoffen, dass der Champions-League-Chor (Ltg: Erwin Ortner) auch nach der Übernahme durch Stefan Herheim  – es ist bis dahin noch eine gewisse Zeit – dem Haus treu bleibt!

Jubelnde Akklamation nach dieser 2. Vorstellung.

(„Überprüfungsgelegenheit“ gibt es noch bei vier Folgevorstellungen: 20./23./26./28.3.)

Karl Masek

 

Diese Seite drucken