Wiener Staatsoper: GRANDIOSE WIEDERAUFNAHME VON MASSENET’S „WERTHER“ MIT GARANCA UND ALAGNA (20.April 2013)
Spätestens im Dritten und tödlichen letzten Akt wurde man Zeuge von ganz großer Oper. Eine Woche lang hatte Betrand de Billy mit Elina Garanca als Charlotte und Roberto Alagna in der für Wien neuen Goethe-Rolle mit dem Staatsopernorchester geprobt. Doch erst jetzt kochten die großen Gefühle auf, die Gewissensbisse von Charlotte wurden zur psychoanalytische Katastrophe, die Briefszene der Charlotte hätte von Alfred Hitchcock sein können. Und die berühmte Ossian-Arie wurde von Roberto Alagna mit heldischer Kraft samt Piano-Höchstkultur gemeistert- Und das Publikum geriet in Ektase!
Vor der Pause hatte es an dieser Spannung doch etwas gemangelt. De Billy leitete die Jules-Massenet-Oper nämlich mit viel Liebe zum Detail, sehr lyrisch, sehr verhalten – es fehlte die Nähe zum unentrinnbaren Wahnsinn, zur letalen Besessenheit. Dies gilt auch für den Albert des Tae-Young Yang. Nett und ordentlich wie ein Buchhalter zu sein ist für den Ehemann von Charlotte einfach zu wenig. Großartig in ihrer naiven Fröhlichkeit hingegen Daniela Fally als Sophie. Sie holt doch aus jeder Rolle das Maximum heraus. Neu im Wiener Werther aus 2005 Thomas Ebenstein als Schmidt und Hans Peter Kammerer als Johannes – frische Stimmen als Bereicherung; dazu Andreas Hörl als tollpatschiger Amtsmann .
Was ist noch zu erwähnen? Die baumverliebte Inszenierung von Andrej Serban (Ausstattung Peter Pabst) hält auch 8 Jahre nach ihrer Entstehung…Und der Star des Abends war einmal mehr die lettische Mezzosopranistin Elina Garanca. Ihre Stimme ist größer, reifer und womöglich noch schöner im Klang geworden. Man darf sich auf die Wiener – Carmen-Serie freuen, die in einem Monat beginnt: De Billy steht wieder am Pult und Roberto Alagna ist Don José. Wenn das nicht ein gutes Omen ist?
Peter Dusek