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WIEN/ Staatsoper: WERTHER

12.11.2015 | Oper

WIEN / Staatsoper: WERTHER
Jules Massenet: »Werther«

  1. Vorstellung in der Inszenierung von Andrei Serban am 11. November 2015

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Elina Garanca. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Eigentlich … eigentlich sollte die Direktion der Wiener Staatsoper Jugendlichen unter 18 Jahren den Zutritt zu diesen Werther-Vorstellungen verwehren. Wurden doch am Mittwochabend im Haus am Ringe Liebe und Tod, zwei zentrale Themen der Menschheit, verhandelt. Davon erzählen zwar andere Opern auch, aber wie das gestern in Andrei Serbans zehn Jahre alter Inszenierung passierte, das ging unter die Haut.

Elīna Garanča, Markus Eiche und Matthew Polenzani waren die Protagonisten des von einem Deutschen ersonnenen, einem Franzosen in Musik gesetzten und in Wien uraufgeführten Werkes. Elīna Garanča, die, aus welchen Gründen auch immer, sich so rar macht in Wien, spielte und sang, nein, war die zwischen Neigung und Pflicht hin und her gerissene Charlotte. Wie sie mit kleinen Gesten Wirkung erzielte, mit stimmlicher Präsenz prunkte, ist derzeit wohl kaum zu überbieten. Dabei steht der Lettin eine Stimmtechnik zu Gebote, welche es ihr gestattet, sich ganz der szenischen Gestaltung der Partie hinzugeben. Charlottes Szene im dritten Akt geriet so zu einem Seelendrama, welches nur mehr durch Werthers Ankunft eine Steigerung erfuhr. Zumindest dachte man das, bis sich der Vorhang zum vierten Akt hob…

Markus Eiche, der die Partie des Albert in Wien zuletzt im Mai 2009 (ebenfalls an der Seite Elīna Garančas) gesungen hatte, war ihr ein fast ebenbürtiger Verlobter und Gemahl. Er mag als Beispiel dafür dienen, dass sich französisches und deutsches Fach nicht ausschließen, wenn man über eine entsprechende Stimmtechnik verfügt. Sein Bariton klang voll und angenehm, manchmal im Französischen ein wenig nasal, was der überzeugend dargestellten Figur des Albert jedoch keinen Abbruch tat.

Matthew Polenzani, der eben in München Werther gesungen hatte, stellte sich nun in dieser Partie auch dem Wiener Publikum vor. »Ô Nature, pleine de grace« litt zwar unter einer gepreßten, in der Höhe nicht wirklich anspringenden Stimme, aber trotz einiger stimmtechnischer Unebenheiten überzeugte er ab seiner großen Szene im zweiten Akt. Richtig eingesungen, könnte in den nächsten Vorstellungen auch seine erste, große Szene jenen Erfolg hervorrufen, welchen das Duett im dritten Akt bereits gestern hatte. Gewiss, Matthew Polenzanis Stimme gab hörbar Zeugnis von einer bereits länger dauernden Karriere, er sang mit viel Kraft und umschiffte den Übergangsbereich zur Kopfstimme oftmals durch frühen Wechsel. Allerdings entschädigte er durch intensives Spiel, nicht nur mit seiner Partnerin. Sowohl er als auch Elīna Garanča wirkten beim ersten gemeinsamen Vorhang, als wären sie noch nicht wieder in der Wirklichkeit angekommen. 

Alfred Šramek war nach längerer Abwesenheit von der Staatsopernbühne wieder in der Partie des Le Bailli zu erleben. Peter Jelosits als Schmidt und Mihail Dogotari als Johann gaben den Kindern der Opernschule der Wiener Staatsoper schon im ersten Akt gute Beispiele dafür, mit welchen Getränken in Österreich die Sozialisation funktioniert. Hila Fahima debutierte als Sophie und wird im Laufe der Jahre, wir wünschen es ihr, vielleicht auch eine werden. Noch trägt die Stimme nicht in allen Lagen, fehlt es am Legato.

Großen Anteil an den sich ereignenden, magischen Momenten hatten das Staatsopernorchester und Frédéric Chaslin am Pult. Schon im Vorspiel erblühte  Massenets Partitur, und den ganzen Abend über waren sie den Sängern ebenbürtige Partner. Die gestrige Vorstellung — stärker konnte der Kontrast auch zur Orchesterleistung der montäglichen La Bohème gar nicht sein — erreichte nach der Pause eine selten erlebte Intensität. Da ereignete sich Musiktheater im besten Sinn

Eigentlich … eigentlich müsste man nochmals hingehen und mit offenem Herzen zuhören

Thomas Prochazka

MERKEROnline

 

 

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