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WIEN/ Staatsoper: SIEGFRIED / GÖTTERDÄMMERUNG. 1. Ring-Zyklus

18.06.2014 | KRITIKEN, Oper

WIEN/STAATSOPER: SIEGFRIED – 5.6.2014

 Mit dem Verzweiflungsspruch „Zwecklose Mühe! Müh’ ohne Zweck!“ beginnt Herwig Pecoraro in einer nicht uninteressanten semantischen Abwandlung des Wagnerschen Originaltextes „Zwangvolle Plage! Müh’ ohne Zweck!“ diesen Wiener „Siegfried“ in Fortführung des im Mai begonnenen ersten „Ring“-Zyklus’ dieser Saison und hat ebenso wie Stephen Gould an diesem Abend leichte stimmliche Anlaufschwierigkeiten. Diese legen sich im Zusammenspiel der beiden über den ihnen von Regisseur Sven-Eric Bechtolf auferlegten Aktivismus aber schnell. Im weiteren Verlauf wird die bestens zum Rollenprofil des Mime passende Stimme Pecoraros mit ihrer charaktertenoralen Färbung immer artikulierter. Er weiß auch darstellerisch zu beeindrucken, zumal sich das zu Beginn dieser Produktion 2008 noch so störende deppenartige Herumgetippel dieses doch ganz bösen Charakters durch den jahrelangen Repertoire-Abschliff weitgehend gelegt hat. So wirkt die Figur nun auch viel glaubwürdiger.

 Stephen Gould, der momentan wohl beste Siegfried weit und breit, kommt wie gewohnt mit großem Elan aus dem vermeintlichen Wald, der neben dem geografisch naheliegenden Schwarz- und Rotwild unerklärlicherweise auch tropische Gazellen und ähnliche Vierbeiner aus fernen Klimazonen zu vereinen scheint (Universalität des „Ring“ einmal ganz tierisch, aber wohl allzu rustikal…). Gould bestimmt nach kurzer Zeit die Dynamik des 1. Aufzugs mit seinem total authentisch wirkenden Taten- und Wissensdrang und seinem herrlich intonierenden, wohlklingenden Tenor, dem man mittlerweile durchaus das Prädikat eines Heldentenors mit lyrischer Kompetenz verleihen kann. Denn Gould besticht immer wieder mit feiner stimmlicher Linienführung, gefühlvollem Legato, dabei nie in Frage stellend, dass er genau weiß, was er singt. Seine Stimme hat auch aufgrund seiner guten Technik stets große Resonanz, die zu einem runden und warmen Klangbild führt – und das alles bei schier unendlicher stimmlicher und physischer Kraft sowie bester Diktion. Bei Gould versteht man in der Tat jedes Wort!

 Dies kann man einmal mehr von Tomasz Konieczny als Wanderer nicht sagen. Er fällt vor allem stimmlich stark gegen diese beiden Protagonisten ab mit seinem weitgehend unisono und unbeweglich vorgetragenen Bariton, mit zu wenig Resonanz und Tiefe, aber auch einem Mangel an Zwischentönen im stimmlichen Ausdruck. Hinzu kommt der immer wieder allzu guttural und bisweilen verquollen nasal wirkenden Klang seiner Stimme. Es wäre wohl besser, würde sich Konieczny wieder dem Alberich zuwenden. Bei dem scheint er besser aufgehoben, auch wenn dort diese Probleme nicht wegfallen, aber seine Art zu singen eher zur Rolle des Nibelungenfürsten passt, bei dem nicht unbedingt Schöngesang erwartet werden muss. Göttliche Souveränität ging an diesem Abend von Koniecny jedenfalls nicht aus. Es ist wohl kein Zufall, dass sich erfolgreiche Wotane allenfalls erst zum Ende ihrer Karriere, und damit nach dem Wotan, dem Alberich zuwenden. Dafür gibt es einige prominente Beispiele, u.a. Theo Adam, weit wenigere jedenfalls für das gleichzeitige, den gegebenen Ansprüchen genügende Singen beider Rollen. Jochen Schmeckenbecher mit seinem Rollendebut als „Siegfried“-Alberich am Ring zeigt, wie „schön“ man auch einen Alberich singen kann. Der Sänger kann mit bester Phrasierung und großer stimmlicher Ausdruckskraft aus der Rolle auch ein emotionales Erlebnis machen. Sicher einer der besten seiner Zunft in unseren Tagen. Ain Anger ist wieder der wie gewohnt stimmlich erstklassige Fafner, der mit seiner optisch starken Darstellung als überhöhter todwunder Riese auch visuell eine gute Figur macht.

 Überhaupt scheint die Kampfszene im 2. Aufzug die optisch gelungenste dieser „Siegfried“ Inszenierung zu sein, da sie eine gewisse mythische Symbolik mit auch farblich eindringlichen optischen Eindrücken und Assoziationen durch die Video-Optik von fettFilm verbindet. Leider wird der gute Eindruck wenig später wieder relativiert, wenn Mime nach einem wunderlich wirkenden Einzug von Siegfrieds Schwert in seinen Körper mit diesem recht gemütlich nach hinten schreitet, passenderweise genau an der hinteren Bühnenkante zusammensinkt und – bereits aus dem 1. Rang klar sichtbar – umgehend mit dem Aufzug nach unten befördert wird. Ab in die Kantine, wo er doch erst noch mit der Schlangenhaut Fafners abgedeckt werden soll – traurige Lieblosigkeit und mangelnde Authentizität des Repertoiretheaters… Absolut entbehrlich erscheinen weiterhin die banalen Rucksackorgien im 2. Aufzug. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Siegfried zum Aufzug-Schluss den größten wegen Überladung entnervt ins „Aus“ kickt. Er kommt doch später auf dem Brünnhilde-Felsen auch ganz ohne aus, warum nicht im ganzen Stück, Herr Bechtolf?! Der szenische Tiefpunkt scheint aber die Straßenarbeiter-Ästhetik der Erda-Szene zu sein, wenn auch mittlerweile die Schaufelfreudigkeit des Wanderers repertoiretheaterbedingt nachgelassen hat. Dass Siegfried immer noch auf dessen Metallspeer hauen muss und der Wanderer dann im Loch umständlich nach zwei anderen Stücken suchen muss, entbehrt eigentlich jeden Kommentars, ebenso wie sein Versinken in dem Baustellen-Loch.

 Íride Martínez singt den Waldvogel allzu undeutlich as dem Off. Das klang hier schon mal besser, aber mit dem Sängerknaben von Ioan Holender auch schon schlechter. Janina Baechle singt mit ihrem für diese Rolle besonders qulaifizierten farbigen Mezzo eine klangvolle Erda, auch mit dem entsprechenden darstellerischen Ausdruck. Sie kann ja nichts dafür, dass Bechtolf sie bereits Minuten vor Wotans Rufen „Hinab“ in die Baugrube schickt… Nach einer wieder recht reizvollen Entschleierung durch Siegfried nimmt Nina Stemme das Publikum als Brünnhilde schließlich mit der außergewöhnlichen Stimmkultur ihres warm timbrierten Soprans ein, wobei besonders ihre farbig leuchtende Mittellage überzeugt. Hinzu kommt ein mimisch stets situationsgerecht akzentuiertes Spiel mit großer Empathie. Allein die Wortdeutlichkeit ist nicht immer ganz gegeben. In jedem Falle ist ein Finale mit Gould und Stemme im „Siegfried“ immer noch mit das Beste, was man derzeit in einer „Siegfried“-Aufführung erleben kann.

 Der Abend wurde aber auch durch das einfühlsame Dirigieren von Jeffrey Tate am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper zu einem musikalischen Erfolg. Mit seinem außerordentlich ruhigen und exakten Schlag lässt er das Musikdrama atmen, den Musikern die nötige Freiheit, um ihre jeweiligen Phrasen auszumusizieren. Dabei wird nie der große Bogen außer Acht gelassen, und die dramatischen Höhepunkte werden, durchaus hier und da mit einem gewissen Pathos, eindrucksvoll und emotional hervorgehoben. Das Publikum dankte es Tate mit einem begeisterten Auftrittsapplaus zu Beginn des 3. Aufzugs. Und er dankte es ihm umgehend mit einem wunderbar dynamisch und transparent musizierten Vorspiel…     

Klaus Billand 

 

WIEN / STAATSOPER: GÖTTERDÄMMERUNG – 8.6.2014

 Der emotional berührendste Moment an diesem letzten Abend des ersten „Ring“-Zyklus war wohl jener, als Maestro Jeffrey Tate nach dem finalen Takt des 1. Aufzugs der „Götterdämmerung“ scheinbar erschöpft lange auf dem Notenpult verharrte, bis ihm die umgebenden Orchestermitglieder besorgt vom Podium verhalfen. Zuvor hatte er mit der ihm an diesen „Ring“-Abenden eigenen, in höchstem Masse auf die musikalische Kompetenz der Solisten im Graben setzenden Art und Weise einen spannenden Aufzug dirigiert, große Ruhe ausstrahlend, die Sänger stets im Auge behaltend und, wenn einmal nicht gesungen wurde, der Musik zu einem ausdrucksstarken Primat verhelfend. So waren wunderbar ausschwingende orchestrale Höhepunkte zu erleben, bei insgesamt durchaus zügigen Tempi. Zu jedem Moment ließ Tate die Partitur atmen, arbeitete die feinen Zwischentöne beherzt heraus, so den langsamen Aufbau der Brünnhilde-Motivik nach der Hagen-Wacht im Übergang zum Walküren-Felsen oder das Vorspiel zum 2. Aufzug und die auch psychologisch diesmal ausgezeichnete nächtliche Szene zwischen Alberich und Hagen gleich danach. Ein paar Wackler im Graben im 2. Aufzug waren möglicherweise diesem Erschöpfungszustand geschuldet, und so verwunderte es letztlich nicht, dass Tate den zweiten „Ring“-Zyklus an die Kollegen Ádám Fischer und Cornelius Meister abtrat.  

 Das Nornenterzett findet in Wien bekanntlich in einem bis heute szenisch fragwürdigen Tannenwäldchen statt, welches an den Weihnachtsbaumverkauf in Wien und anderen Großstädten im Dezember erinnert, auch wenn es draußen über 30 Grad Celsius hat. Unter den drei Nornen fällt Stephanie Houtzeel als Erste stimmlich am meisten auf, gediegen Zoryana Kushpler als Zweite Norn. Ildikó Raimondi ist mit der Dritten Norn sicher nicht in der für sie geeignetsten Rolle ihres Fachs. Stephen Gould schließt als Siegfried nahtlos an seine hervorragenden stimmlichen Leistungen im vorangegangenen „Siegfried“ an, wieder mit einer unglaublichen vokalen Kraft bei voller Klangschönheit und schier nicht enden wollender Ausdauer. Es ist wirklich bemerkenswert, wie der Sänger nach den Anforderungen eines solchen Abends auch noch in den Waldvogelerzählungen stimmlich voll auf der Höhe ist. Dass das Hohe C zu Beginn des 3. Aufzugs nur angedeutet wird, soll dafür verziehen sein. Vergessen wir nicht, dass Gould ursprünglich einmal Bariton war. Nina Stemme ist ihm eine Brünnhilde auf Augenhöhe. Eine der besten Szenen der beiden ist das Vorspiel, in dem sie ihn sinnfällig für das Bestehen der kommenden Herausforderungen salbt und sich dabei die große Emotionalität ihrer Darstellung offenbart, gepaart mit ihrem runden, warm timbrierten und höhensicheren Sopran. Im 2. Aufzug mimt Stemme mit hoher Ausdruckskraft vornehmlich die Rachegöttin.

 Attila Jun als dritter der drei bedeutendsten Protagonisten der „Götterdämmerung“ kann da nicht ganz mithalten. Auch wenn sein Bass durchaus farbig klingt und variabel geführt wird, kommt es nicht zum wünschenswerten stimmlichen Ausdruck, der dieser Figur gerecht würde. So wirkt Jun eher etwas bürokratisch und irgendwie zu teilnahmslos, um die ganze Boshaftigkeit der Figur nachhaltig zu vermitteln. Es fehlt auch das ganz große Volumen, welches man von seinen Vorgängern am Ring gewohnt ist. Janina Baechle, noch eine gute Erda an den Vorabenden, scheint mit der Waltraute, die bekanntlich ganz andere sängerische und dynamische Herausforderungen stellt, an der Grenze ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Sie mimt diese Rolle äußerst depressiv angesichts der Lage in Walhall.

 Jochen Schmeckenbecher, an diesem Abend nun auch mit dem „Götterdämmerung“-Alberich in seinem Rollendebut am Ring, gestaltet die Szene mit Hagen musikalisch und darstellerisch einnehmend mit seinem klangvollen und bestens geführten Bassbariton. Wie gut, dass sich durch den Repertoirebetrieb einige der Albernheiten der Premierenzeit abgeschliffen haben. So erleben wir nun nicht mehr diese unerklärlichen Zuckungen, die Tomasz Konieczny als erster Alberich dieser Produktion noch vollziehen musste. Schmeckenbecher kann es offenbar bei der Demonstration eines leichten, nicht unbedingt altersabhängigen Bandscheibenvorfalls belassen. Auch dirigiert Hagen nicht weiterhin überflüssigerweise den Mannenchor und reduziert auch seine Manipulation Gutrunes mit Handzeichen hinter dem Rücken Siegfrieds. Wegen mangelnder oder halbherziger Einweisung des neuen Hagens Attila Jun sind sie nun ohnehin kaum noch in ihrer Bedeutung erkennbar… Caroline Wenborne singt die Gutrune, die sie schon in der Premiere darstellte, ansprechend, und Markus Eiche ist ein stimmlich guter Gunther mit ansprechender Höhe. Das Rheintöchter-Terzett, bestehend aus Simina Ivan als Woglinde, Ulrike Helzel als Wellgunde und Alisa Kolosova (mit Rollendebut am Ring) singt auf Staatsopernniveau, wobei Helzel mit ihrer langjährigen Bayreuth-Erfahrung stimmlich besonders angenehm hervortritt. Die entbehrlichen Badekappen und die manierierten Trocken-Schwimmübungen zwischen den Holzkähnen sind leider immer noch zu erleben. Der Chor und Zusatzchor der Wiener Staatsoper, von Thomas Lang wie immer bestens einstudiert, singt bewährt kräftig und transparent, in dieser Inszenierung glücklicherweise auch mit genügend Raum für eine gute Choreografie ausgestattet. Dieser stand ihm in der unseligen Dresen-Produktion ja nicht zur Verfügung.

 Über die Inszenierung dieser Bechtolfschen „Götterdämmerung“ wurde ja schon einiges gesagt. Mit den Bühnenbildern von Rolf Glittenberg zeichnet sie sich am meisten von allen drei Abenden durch repertoiregerechte pragmatische Konturlosigkeit und bisweilen gar lieblose Gefälligkeit aus. Vielmehr ist dazu eigentlich nicht mehr zu sagen… 

 Klaus Billand                          

 

 

 

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