Elina Garanca. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
WIEN/Staatsoper: „SAMSON ET DALILA“ 4. Aufführung in dieser Inszenierung
21.5. 2018 – Karl Masek
Regisseurin Alexandra Liedtke wird mit ihrem Leading-Team Raimund Orfeo Voigt (Bühne), Su Bühler (Kostüme), Gerrit Jurda (Licht) und Lukas Gaudernak (Choreographie) mit der Inszenierung von Camille Saint-Saëns „Samson et Dalila“ wohl eher nicht in die Annalen der Wiener Staatsoper eingehen. Zu nichtssagend bleibt vieles in dieser Inszenierung. Nicht Fisch, nicht Fleisch. In der Personen- und Chorführung von erstaunlicher Hilflosigkeit. Und einfach Lächerliches.
Der 1. Akt mit den langen, oratorienhaften Chören wirkt mit der schrägen Treppe kaum anders, als würde das Werk konzertant gegeben. Fast ebenso der 3. Akt (nur ist die Platte gedreht). Die meiste Zeit ist’s zappenduster – auch wenn vom Morgenrot und vom Frühling die Rede ist. Statt Tempeleinsturz gibt’s für ein paar Sekunden pyrotechnischen Effekt, wenn der geblendete und gedemütigte Samson für einen Augenblick seine alte Kraft zurückerlangt.
Und erst der 2. Akt! Dalilas „Hütte im Tal Sorek“ ist eine Art Salon. Einzige Einrichtung auf einer Art Laminatboden: 3 Sessel (einer darf einmal von Samson in einer Zornesaufwallung geworfen werden) und mitten in diesem Zimmer – eine Badewanne, mit Wasser gefüllt. Hier spielt sich die berühmte Verführungsszene ab, in der Samson den vorgespielten Verlockungen Dalilas nicht widerstehen kann.
Nun gibt es wohl kaum Unerotischeres als eine Liebeserklärung (ob ehrlich oder vorgetäuscht!) am Rand einer Badewanne. Hat je irgend jemand solch ein Erlebnis gehabt? Eben! Wasser ist überhaupt ein immer beliebter werdendes Element auf den Theater- und Opernbühnen. Göttliches Gewitter mutiert im gegenständlichen Fall zu einer Art Sprühregen in Dalilas Salon. Klar, dass die Scherzbolde sagen, aha, Wasserrohrbruch in der oberen Etage! Und geradezu „aufgelegt“ ist da ein Kalauer wie „Die Regie geht baden“… Oder: Das Stilmittel „Doubletten der realen Figuren“ gibt’s seit Jahren zuhauf. Da kupfern die Regisseur/innen , so scheint es, munter voneinander ab. Gleich drei Samsons kommen in dieser Regie vor.
Es lohnt in diesem Fall nicht, sich weiter mit der unerquicklichen Inszenierung zu befassen. Kommen wir zum musikalischen Teil – und der war doch ziemlich erfreulich, sogar mit Steigerungspotenzial im Laufe der Premierenserie.
Marco Armiliato und das Orchester der Wiener Staatsoper waren das künstlerische Kraftzentrum. Wenn es um orientalisches Kolorit, den ernsten, pathetischen Oratorienton in Chor und Orchester geht: Armiliato hält den Spannungsbogen einen Abend lang mustergültig. Das Orchester setzte die Vorgaben des Dirigent klangprächtig um,, spielten Camille Saint Saëns‘ Instrumentationsfinessen und Exotismen sensibel aus. Suggestiv, wie sich die ostinaten 6 Halbtonschritte am Beginn des 2. Aktes abwärts schlängelten und von der Flöte aus von Instrumentengruppe zu Instrumentengruppe wanderten.
Der Chor der Wiener Staatsoper (perfekt wieder die Einstudierung von Thomas Lang) sang die Klagen der Hebräer ergreifend, und ist mit großer Bühnendisziplin und beinahe Selbstverleugnung die Partygesellschaft der Philister, die sich am „Zirkusschauspiel“ der Vorführung und Demütigung Samsons begeilt – gesungen wurde macht- und prachtvoll.
Über Elina Garančas Dalila gehen die Meinungen offenbar auseinander. Die Firma Liedtke&Bühler tat da, so meine ich, ihren Teil, um das Klischee von der „so kühlen Blonden“ zu bestätigen, ja einzementieren zu wollen. Für die zentrale Szene im 2. Akt ausgerechnet himmelblau als Kostümfarbe zu wählen, war schon ein besonderes Kunststück an theaterpraktischer Instinktlosigkeit. Die Garanča tat in dieser 4. Vorstellung ihr Bestes, um sich von diesem Klischee freizuspielen. Zudem war ihre stimmliche Abendverfassung bestens. Sie führte nicht nur ihre herrlich timbrierte, oft geradezu cremige Stimme spazieren, sondern bescherte Ausdrucksnuancen sonder Zahl, kam auch mit der tiefen Lage ihrer ersten Arie, „Printemps qui commence“ diesmal gut zurecht, spielte die psychologischen Facetten dieser sehr diffizilen Frauenfigur klug und eben auch mit einigem Bühnentemperament und servierte den Ohrwurm „Mon cœurs’ouvre á ta voix“ mit betörenden Stimmfarben. Spitzentöne kamen explosiv!
Carlos Álvarez spielte geradezu lustvoll einen widerlichen, sadistischen, grundbösen Oberpriester des Dagon und sang ihn gleichermaßen markant, elegant und dramatisch auftrumpfend.
Roberto Alagna packte die eigentlich undankbare Rolle des Samson mit Wucht und Höhensicherheit. Dieser ist höllisch schwer, verlangt enorm viel Kraft, bewegt sich vornehmlich im „Passagio“ samt zweier hoher B’s – und hat im Gegensatz zur Dalila keinen einzigen „Reißer“. Alagna hat in Wien eben Otello und Calaf hinter sich gebracht, befindet sich in sehr guter Dauerform. Kleine kritische Anmerkung: Eine Angewohnheit, Töne der oberen Mittellage (als Ausdrucksmittel des Schmerzes und der Klage?) von unten her anzuschleifen, sollte nicht weiter ausufern.
Dan Paul Dumitrescu (Alter Hebräer), Sorin Coliban (Abimélech), Leonardo Navarro (Kriegsbote der Philister) und Jörg Schneider/Marcus Pelz (Philister) hatten nur kleine, wenig dankbare Rollen, zogen sich mit Anstand aus der Affäre. Mit ihnen schien sich die Regisseurin wenig beschäftigt zu haben.
Das Wiener Staatsballett absolvierte seine Aufgaben diszipliniert.
Jubel für Alagna, Garanča, Álvarez, Armiliato und das Orchester. In der nächsten Saison kommt das Werk nicht – und der Inszenierung prophezeie ich kein sonderlich langes Leben.
Karl Masek