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WIEN/ Staatsoper: SALOME als Juwel im Repertoire

WIEN/Staatsoper: „SALOME“ als Juwel im Repertoire (30.1.2017 – Karl Masek)

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Gun Brit Barmin. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die Inszenierung des Boleslaw Barlog in der immer noch ästhetisch-dichten und zeitlos-schönen Ausstattung von Jürgen Rose geht ins fünfundvierzigste Jahr. Die Premiere war am 22.12. 1972 mit Karl Böhm am Pult und in den Hauptrollen Hans Hopf (Herodes), Grace Hoffman (Herodias), Leonie Rysanek (Salome), Eberhard Waechter (Jochanaan) und Waldemar Kmentt (Narraboth). Seither wurde sie fast in jeder Saison gespielt und auch etliche Male auf Tournee geschickt – von Florenz und Washington bis nach Osaka und Tokio; zuletzt 2012 wieder szenisch in Japan und 2014 konzertant in New York. In Wien halten wir bei der 227. Aufführung in dieser Inszenierung. Ein kulturelles Aushängeschild und ein Jugendstil-Kleinod, das mittlerweile Denkmalschutz verdient!

„Salome“ ist aber auch ein Lieblingsstück des Orchesters der Wiener Staatsoper – nein, nach dieser Aufführung MUSS es heißen, der Wiener Philharmoniker!Angeführt von der fantastischen Konzertmeisterin Albena Danailova,vollbrachten sie diesmal wahre Wunderdinge an philharmonischem Schönklang, spannungsgeladenen Steigerungen, schier unendlichem Facettenreichtum vom ersten Lauf der Klarinette bis zu den rabiaten Tuttischlägen, wenn die Soldaten Salome mit ihren Schilden erschlagen.

Auch wenn man meinte, den musikalischen Geniestreich des Richard Strauss schon oft gehört zu haben (live, aber auch z.B. in der immer-noch-Referenzaufnahme von Georg Solti), so eröffneten sich am 30.1. in einer „ganz normalen“ Repertoireaufführung neue Klangwelten sonder Zahl. Ein musikalischer Kosmos. Man entdeckte melodische wie Instrumentationsdetails , die man nie zuvor so zu hören glaubte. Der Erste Soldat über den Propheten: „Er ist ein heil‘ger Mann…“,  Herodes zu den fünf Juden über Jochanaan, wortident: „Er ist ein heil‘ger Mann…“: Aber welch Unterschied in der Melodienführung! Jeder Einsatz z.B. des Kontrafagottes war zu hören, die Celesta, die sonst untergeht, beschreibt sogar „…den Abdruck deiner kleinen weißen Zähne in einer Frucht…“, die der in seiner Lüsternheit völlig durchgeknallte Tetrarch von der Stieftochter so gerne sieht. Bei Salomes Tanz versteht man nach dem Abwurf eines Schleiers unter obsessiv gurrenden Flötentönen Narraboths Worte: “…die wie ein Garten von Myrrhen ist, die die Taube aller Tauben ist…“

Man könnte noch viele Beispiele anführen.

„Salome“ ist immer wieder ein Juwel im Repertoire. Und wenn Peter Schneider, Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und Großmeister bei den Werken von Wagner und Richard Strauss (aber beileibe nicht nur bei diesen!) am Pult sitzt mit seiner Souveränität, seiner umfassenden Werkkenntnis, seinem Klangsinn und der Sicherheit, die er ausstrahlt, ist man atemlos, gebannt, emotional erhitzt. Mit kleinen, aber sehr bestimmten Gesten lenkt er das komplexe Geschehen, nach außen immer beherrscht, nach innen glühend. Lässt das Orchester dort, wo möglich, aufrauschen, dämpft dort, wo nötig, immer so, dass die Sänger/innen übers Orchester kommen. Lässt an den Stellen mit dem Propheten und Eiferer Jochanaan viel Pathos zu, legt beim Schleiertanz einen Klangteppich vom Allerfeinsten, um die Musik dann orgiastisch zu steigern. Das heikle Judenquintett habe ich kaum je so exakt und transparent gehört, der Blick in die Textanlage war diesmal nicht notwendig. An dieser Stelle ein fünffaches Kompliment: Thomas Ebenstein (Erster Jude)führte prächtig an, und Peter Jelosits, Jinxu Xiahou (Rollendebüt, das große Talent hat auch schon Nemorino und Rodolfo gesungen!), Benedikt Kobel und Ryan Speedo Green stritten „auf Augenhöhe“.

Jetzt wird‘s Zeit für die Sängerin der Titelrolle: Gun-Brit Barkmin darf die Salome zu ihren Glanzrollen zählen. Schon bei der Japan-Tournee 2012 und dann im Februar 2014 beim Wiener Rollendebüt war sie die „Tochter der Herodias“, jubelnd akklamiert. Sie wiederholte diesen Erfolg, setzte seither in punkto Intensität und Rollendurchdringung sogar noch eins drauf, zeigte das Psychogramm einer verzogenen Kindfrau bis hin zu erotischer Besessenheit und Wahnsinn. Ihr Sopran: Von berückender Schönheit bis hin zu bewusst hässlichem Sprechgesang, wenn der Wunsch nach dem Kopf des Jochanaan obsessiv gesteigert wird. Der Schleiertanz: Verhalten beginnend, mitreißend finalisiert.

Ihre Mutter Herodias war bei Iris Vermillion in der richtigen Kehle. Eiskalt, spöttisch, lakonisch ihren ungeliebten Gatten zurecht weisend („Der Mond ist wie der Mond, das ist alles…“), dessen begehrliche Blicke und Zudringlichkeiten Salome gegenüber argwöhnisch verfolgend, und die perversen Wünsche Salomes lautstark akklamierend. EineFigur mit erdrückend bösartiger Persönlichkeit und dramatischer Statur.

Alan Held war als Jochanaan ein prächtiger Widerpart Salomes in der zentralen dritten Szene. Wütend seine Anschuldigungen, in einer Art wilder Trance ihre Begierde, da steigerten sich beide fast in einen Sing- und Spielrausch. Der von vielen Wagner-Schlachten gestählte Bass-Bariton kam mit machtvoll übers Orchester, konnte sein Organ aber auch im richtigen Moment in mildes Mezzavoce zurück nehmen („…er ist in einem Nachen auf dem See von Galiläa…“). Der Fluch kam dann umso niederschmetternder.

Zu Recht gefeiert an diesem Abend: Herwig Pecoraro als fabelhafter Herodes. Geil-neurotisch, dekadent, exaltiert, hypochondrisch, ängstlich, hysterisch. Ein facettenreiches Porträt. Er setzte mit scharfer Charakteristik, größter Textdeutlichkeit und Bombenhöhen kongenial die Rollentradition der Charaktertenöre Gerhard Stolze und Heinz Zednik fort, musste obendrein nicht in Sprechgesang flüchten, sondern sang die Schlüsselstellen herrlich aus. Und wer „Man töte dieses Weib!“ mit derartigem Aplomb singt, hat das Recht auf ein Abonnement auf diese Rolle. Jedenfalls bis auf Weiteres…

Carlos Osuna sang den unglücklichen Syrer Narraboth mit Einsatz und Emphase, ging nicht in den Orchesterfluten unter. Ulrike Helzel bemühte sich als (in Narraboth heimlich verliebter?) Page um schön ausgesungene, pastose Mezzotöne und war auch absolut textverständlich. Respekt!

Die beiden Nazarener (Alexandru Moisiuc und Rafael Fingerlos – er mit Rollendebüt – ) waren markant und stimmpräsent, Wolfgang Bankl rückte vom 2. Soldaten zum 1. Soldaten auf, der unverhohlen Sympathien zum in der Zisterne gefangenen Propheten zeigt – und das verlässlich mit kräftigem Bass. Der 2. Soldat Ayk Martirossian war mit seinen Einwürfen weniger hörbar, war aber bei seinem Rollendebüt auch ungünstig postiert.

Jubel für Peter Schneider (Auf viele Jahre noch!) und das Orchester, sowie für Barkmin, Held, Pecoraro und Vermillion.

Karl Masek