WIEN / Staatsoper: „RUSALKA“ – Ein Höhepunkt der bisherigen Saison
22.10. 2017 – Karl Masek
Dmytro Popov. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Da hat sich Gustav Mahler 1902 ein absolutes Meisterwerk entgehen lassen! Im Stile der k.k. Hofbeamten an Antonin Dvořák: „Es ist mir zu meinem lebhaften Bedauern nicht möglich, Ihre Oper Rusalka noch in dieser Saison zu geben, und ich kann die Aufführung des Werkes erst für die nächste Saison in Aussicht nehmen.“
Von der „In-Aussicht-Nahme“ bis zur Erstaufführung an der Wiener Staatsoper sollte es 85 Jahre dauern. Die Wiener Volksoper war da ein bissl schneller und spielte das „Lyrische Märchen“ ab dem Jahre 1935 (und auch in den sechziger Jahren).
(Erinnerungsblatt: Am 10. April 1987 wurde „Rusalka“ in der Otto-Schenk-Inszenierung, Dirigent: Václav Neumann in der legendären Besetzung Gabriela Beňačková (Rusalka), Peter Dvorsky (Prinz), Jewgenij Nesterenko (Wassermann) und Eva Randová (Ježibaba und Fremde Fürstin) umjubelt und die naturalistischen, poetischen und als „märchengerecht“ empfundenen Bühnenbilder des Günther Schneider-Siemssen mit Szenenapplaus bedacht. Das wird bei der unpoetisch-hässlichen Bühne Rolf Glittenbergs, die vor allem im 1.und 3. Akt sibirische Kälte und Ruinenhaftigkeit in Beton ausstrahlt, nicht passieren! Dass Schneider-Siemssen von bösen Zungen als „Karajans Basteltante“ bezeichnet wurde, fand ich immer höchst beleidigend!)
Die Inszenierung von Sven Eric Bechtolf überzeugte mich allerdings bei der „Zweitbegegnung“ (Premiere der aktuellen Produktion: 26. Jänner 2014) durch genaue, ganz bei der Musik bleibende, Feinheiten in der Personenführung, namentlich bei Rusalka, dem Wesen, das zwischen Nixe und Mensch changiert und dem vielschichtigen, rätselhaften Wassermann. Dass Bechtolf einer der Regisseure ist, eine Partitur lesen können (diese auch beherrschen!) und nicht „aus dem Reclamheft“ inszenieren, wird auch bei dieser seiner neunten Arbeit im Haus am Ring in vielen Details augenfällig. Etwa wenn Rusalka nach Erlangung der Menschengestalt durch die Hexe erst mühsam das Gehen lernen muss oder im „sprechend“ stummen Spiel des 2. Aktes. Rusalkas Liebessehnsucht (oder, freudianisch gedeutet: ihre erwachende Sexualität) wird deutlich herausgestellt. Selbst die Hinmetzelung des Küchenjungen durch Ježibaba, die so manchen nach der Premiere irritiert zurückgelassen hatte, erscheint nicht mutwillig hergeholt, wenn man mitliest, dass die Hexe im 3. Akt bedeutungsschwer von Teufelspakt und Menschenblut spricht…
Und ab nun fast nur mehr Schwelgen: Die klangsinnliche, melodienselige Meisteroper Dvořáks wird vom Orchester der Wiener Staatsoper grandios gespielt. Ob Harfe, Flöte, Englischhorn (traumverloren das Solo bei Rusalkas Lied an den Mond!), die böhmisch-musikantischen Klarinettentöne (mit all ihrer Süße!), der klangsatte Streicherchor, auch zurückgenommen zu zärtlichen Pianotönen: All das zeigt in wundersamer Weise, dass dieses „Slawische Idiom“ musikalische Muttersprache des – an einem Abend wie diesem – weltbesten Opernorchesters ist. Mit Tomáš Hanus setzt ein fabelhafter Dirigent auf Champions-League-Niveau die Linie Václav Neumann – Jiří Bělohlávek fort. Ein großer Könner mit eminentem Klangsinn, der die Qualitäten des Orchesters hinreißend zur Geltung kommen lässt. Den Sängern ein musikalischer Partner auf Augenhöhe ist. Der das Orchester aufrauschen lässt, aber die Sänger nie zudeckt. Wenn es beim finalen, todbringenden Kuss für den Prinzen urplötzlich mit „Erlösungsrhetorik“ zu „wagnern“ beginnt, hält man verblüfft inne, vergisst man beinahe zu atmen …
Absolute Weltklasse die Sängerbesetzung: Wer singt Krassimira Stoyanowa derzeit die Rusalka nach? Leuchtender, in der Höhe wunderbar aufgehender Sopran in allen Farben und Zwischentönen dieses „Zwischenwesens“. Berührendes, bis zur Selbstentäußerung gehendes Spiel mit aller Traurigkeit, mit allen Sehnsuchtstönen. Auch hier wird eine Linie von Lucia Popp und Beňačkova kongenial weitergeführt.
Dmytro Popov war ein figürlich wie stimmlich idealer Prinz, der mit sinnlichem Tenortimbre auch (fast) alle gefürchteten Höhen couragiert bewältigte.
Jongmin Park sang einen prachtvollen Wassermann als „Legato-Weltmeister“, einer unerhörten dynamischen Bandbreite von zarten, mitfühlenden Pianotönen (Hanus ließ das mit seiner sensitiven Begleitung zu, dafür sei er gleich nochmal gepriesen!) bis zu empörten dramatischen Ausbrüchen. Ein herrlicher, dunkler, urgesunder Bass! Als Darsteller mit Bühneninstinkt wirkte er, als wäre er schon bei der Premiere dabei gewesen und hätte die gesamte Probenarbeit mit Bechtolf mitgemacht.
Fabelhaft, mit stellenweise sogar eleganter Stimmgebung, die Hexe der Monika Bohinec (bei der Premiere sang sie noch die Fremde Fürstin), mit Eiseskälte und hochdramatischem Mezzosopran schritt Elena Zhidkova unnahbar und bedrohlich durch die Szene. Die drei Elfen (Ileana Tonca, Ulrike Helzel und Margaret Plummer) sind rollengerecht hintergründig, nach dem Morden am Küchenjungen vampirhaft blutdurstig – und jedenfalls perfekt in der stimmlichen Homogenität. Stephanie Houtzeel war mit diffiziler Komik und schöner Mezzostimme der bedauernswerte Küchenjunge. Als Heger und Jäger ergänzten Gabriel Bermúdez und Rafael Fingerlos, dem Spitzenniveau des Abends angepasst.
Der Chor der Wiener Staatsoper war auch an diesem Abend ein Aktiv-Posten (Leitung: Martin Schebesta). Eine parodistische Polonaise (Choreographie: Lukas Gaudernak) hatte durchaus hintersinnigen Witz. Warum allerdings der „Bräutigam“ (mit Umhängebauch?) einen spießigen Typen mit „Vergewaltigungspotenzial“ mimen musste, erschloss sich mir allerdings auch nach der zweiten Begegnung nicht.
Ein Highlight der bisherigen Staatsopernsaison wurde zehn Minuten lang mit starkem Applaus und vielen Bravo- und Bravi-Rufen gefeiert. Mit besonderem Fortissimo für Hanus, das Orchester, die Stoyanowa und Jongmin Park.
Karl Masek