Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper:
ROMÉO ET JULIETTE von Charles Gounod
57.Aufführung in dieser Inszenierung
22.Jänner 2017
Die Stehplätze waren wieder einmal ausverkauft, und das ist an der Wiener Staatsoper nicht immer der Fall. Als hätte man Juan Diego Flórez noch nicht als Romeo gehört! (Nämlich vor fast einem Jahr, im Februar 2016.) Aber inzwischen ist ja immer von dem „neuen“ Florez die Rede, und das stimmt zweifellos. Er hat den „Tenorino“, der er jahrelang war (der geliebteste aller Tonios, Nemorinos, Lindoros), hinter sich gelassen und ist voll im neuen Fach angekommen, als lyrischer Tenor mit dramatischen Ambitionen, wie er ihn bereits im Vorjahr erfolgreich als „Rigoletto“-Herzog präsentiert hat. Und die „Sonnambula“ neulich machte wieder klar, dass er mit neuem Schmelz und neuer Kraft unterwegs ist.
Nun ist Gounod allerdings kein Bellini, die Dramatik ist entschieden ausgeprägter. Florez ist ein C-Tenor, er weiß, was das bedeutet, er weiß, was das bringt, an seinen Spitzentönen arbeitet er offenbar unermüdlich, sie gelingen alle und sie klingen triumphal (und damit sie auch gewürdigt werden, tritt er dafür auch gern einmal an die Rampe…). Darüber hinaus aber verlangt der Romeo noch einiges darüber hinaus an Kraft und Ausdruck, was Florez zweifellos bringt, aber nur seine erklärtesten Fans werden leugnen, dass zwischendurch auch einmal die Anstrengung hörbar ist. Was seine Leistung nicht schmälerte, die Begeisterung des Publikums auch nicht.
Juan Diego Florez. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Ginge es nur um die Optik, Aida Garifullina wäre das Ideal einer Juliette, so schlank, zart und schön, wie sie ist. Aber um zu einer vollwertigen Interpretin der Rolle zu werden, müsste ihr ein guter Lehrer noch das Dauer-Vibrato und die Dauer-Schärfe aus der Stimme nehmen, die sie in jeder Lage der gesanglichen Anforderungen (nicht nur in den schmalen, schmerzhaften Höhen) begleiten.
Darstellerisch konnten beide Sänger in der Inszenierung, die entweder Hektik oder Leere bietet, kaum reüssieren, die moderne Party-Welt ist ein zu beiläufiger Rahmen für die große Tragödie, und wie kann man Juliette in der dramatischen Szene, wo sie zweifelt, das Gift zu schlucken, vor ein weißes Halbrund stellen, sodass sie nur wie eine Silhouette erscheint und faktisch nicht zu sehen ist? Eine Inszenierung, die sich einen modernen Look geben wollte, ohne in irgendeiner Hinsicht innovativ zu sein (das war damals, 2001, auch schon wieder lange her, Jürgen Flimm), wird nun vermutlich für weitere Jahrzehnte das Werk nicht zur Geltung kommen lassen.
Gar nicht zur Geltung kamen auch die Herrschaften in den Nebenrollen, selbst Dan Paul Dumitrescu als Frère Laurent klang wie bestenfalls „halbe Kraft voraus“, der Rest blieb noch schemenhafter. Damit konnte man nicht prunken.
Der Abend hatte allerdings neben Juan Diego Flórez noch einen großen Namen aufzubieten, nämlich Plácido Domingo am Dirigentenpult. Er betrachtet das Dirigieren zweifellos nicht nur als Nebenprodukt seiner Karriere (wie es das Publikum gerne tut) – immerhin hat er an der Wiener Staatsoper bereits zehn verschiedene Werke dirigiert, darunter den „Romeo“ 2013. Demnächst wird er für „Tosca“ den Taktstock schwingen, wenn er uns schon singend erst im Juni (aber dann als Posa!!!) kommt…
Man kann den Fleiß dieses Mannes nur bewundern – aus der Distanz von dreieinhalb Jahren eine Oper wieder zu dirigieren, bedeutet, dass man sie von der ersten bis zur letzten Note durcharbeiten muss (er hat sie schließlich nicht dauernd, sondern nur ein einziges Mal in seinem Leben, und das war 1974 (!!!) an der Met, gesungen… ) Aber Bewunderung oder Entrüstung über das Phänomen Domingo, das ist mittlerweile ein alter Hut.
Sagen wir also, dass die Aufführung aus dem Orchestergraben teilweise bemerkenswerter war als auf der Bühne, dass Domingo mit sparsamster Gestik die liebevollste, schwelgerischste „Romeo“-Version seit langem dirigiert hat, ein Freund der Sänger (besonders des Tenors), ein lyrisches Fest, das die Philharmoniker dem Publikum bereiteten. Ehrlich, man konnte fast überrascht sein.
Renate Wagner