Charles Gounod: ROMÉO ET JULIETTE. Wiener Staatsoper am 28. Juni 2013
Dass Placido Domingo gar nicht als Sänger sondern als Dirigent einer Serie von Roméo et Juliette-Vorstellungen die Wiener Staatsoper beehrte, schmälerte nicht das Interesse des Publikums. Im Gegenteil. Man hatte das Gefühl, die Besucher sind gekommen um in der Hauptsache Domingo zu sehen. Auch wenn er nur mit dem Dirigentenstab hantierte. So nach der Devise „Gemma Domingo schau’n“.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass Domingo bereits beim Betreten des Dirigentenpultes mit vielen Bravo-Rufen vom Publikum begrüßt wurde. Viele Vorschusslorbeeren also, die wohl auf seinen Legendenstatus bzw. auf seine Leistungen als Sänger – die zweifellos berechtigt sind – zurückzuführen sind. Weniger wegen seiner Leistungen als Dirigent. Schließlich kann man eine erfolgreiche Dirigentenlaufbahn nicht einfach so neben einer großen Sängerkarriere machen. So war denn auch seine Leistung als Dirigent an diesem Abend sehr unausgeglichen.
Dass auf der Bühne die vielleicht größte Liebesgeschichte der Weltliteratur gespielt wurde, war aus dem Orchestergraben leider nur selten zu vernehmen. Domingo leitete das Werk stellenweise sehr energisch und betonte besonders die Dramatik. Die große Liebe und die damit verbundenen herrlichen lyrischen Stellen der Partitur hingegen, vernachlässigte Domingo deutlich. Das war besonders im zweiten Akt auffällig und unzureichend, als er viel zu flott durch O Nuit Divine! und Va, repose en paix eilte. Da verpuffte jede Romantik und diese große Liebe blieb auf der Strecke. Erst in den letzten beiden Akten – wenn die Dramatik zunimmt – wurde die Musik aus dem Orchestergraben dem Bühnengeschehen gerecht.
Mit Interesse verfolgte man auch das Wiener Rollendebut von Piotr Beczala als Romeo, der immerhin zu den führenden Tenören der Gegenwart zählt. Und nachdem der erste Akt vorüber war, war man überzeugt einen idealen Romeo-Interpreten gefunden zu haben. Die Stimme sprang wunderbar an und er präsentierte eine prächtige Mittellage. Bis zu seiner berühmten Arie L’amour, l’amour konnte man mit diesem Romeo zufrieden sein, und Beczala krönte das Ende der Arie mit einem sicheren Spitzenton. Das war aber keine Selbstverständlichkeit, wie sich mit Fortdauer des Abends zeigen sollte. Denn viele Spitzentöne klangen leider auch sehr gequetscht. Je dramatischer es wurde, umso deutlicher war zu hören, wie er sich diese Töne mit Mühe rauspressen musste. Dadurch fehlte diesen Tönen auch der Tenorglanz und sein inzwischen etwas hart klingender Tenor bereitete ihm gelegentlich auch Probleme mit den Piani. Trotz dieser Einwände konnte der sympathische Sänger besonders in den letzten beiden Akten durch einen sehr eindringlichen Vortrag überzeugen und manche Unsicherheiten wettmachen. Als Darsteller war er zwar bemüht, doch über gewisse Standardgesten kam er oft nicht hinaus. Sein Romeo kam eher als verträumter junger Mann denn als Teenager, dessen Hormone gerade Überhand nehmen, daher. Das war wohl eher schon ein sehr reifer Romeo.
Diesbezüglich passte er aber sehr gut zur Juliette von Sonya Yoncheva, die als Einspringerin zu einem vorgezogenen Debut an der Wiener Staatsoper kam. Yoncheva war keine unerfahrene, zurückhaltende Juliette. Nein, diese Julia zeigte sich sehr erwachsen und selbstbewusst, die sich nicht schüchtern ihrem Romeo näherte, sondern ihn gerne auch mal packte und an sich heranzog, um ihn dann leidenschaftlich zu küssen. Diese selbstbewusste Spielweise von Yoncheva schien auch Beczala zu beflügeln, der sich lange zurückhielt, aber dann auch im dritten und vierten Akt mehr Leidenschaft zeigte. Frau Yoncheva sei Dank.
Rein stimmlich war sie auf jeden Fall ein Gewinn, denn die junge Bulgarin verfügt über eine solide Technik, demonstrierte gute Koloraturfähigkeit in ihrer Arie Je veux vivre und ließ auch eine gehörige Portion Dramatik in der Stimme hören, die es ihr in der Arie Amour, ranime mon courage und auch in den dramatischen finalen Duetten ermöglichte, zu überzeugen. Zudem ist die Operalia-Preisträgerin eine sehr hübsche Erscheinung.
Ein leichtes Vibrato machte sich den ganzen Abend über bemerkbar, doch bei einer jungen Sängerin wie Yoncheva muss das noch kein Grund zur Besorgnis sein. Viele junge Sänger haben am Karrierebeginn ein Vibrato, dass sich im Laufe der Jahre mehr und mehr verflüchtigt. Vorsicht ist geboten, wenn sie zu schweres Repertoire singen sollte, dann kann aus einem „gesunden“ Vibrato schnell ein Wobble werden. Ihre Spitzentöne gerieten mitunter etwas scharf.
Nach der ersten Vorstellung wurde von manchen bemängelt, dass Yoncheva zu laut singt. Dieser Vorwurf erscheint ungerechtfertigt, denn wie oft wurde in der Vergangenheit bekrittelt, dass so manch junge Sängerin eine viel zu kleine Stimme oder gar ein Piepsstimmchen hat. Wie herrlich und erfreulich ist das, wenn man eine junge Sängerin wie Yoncheva auf der Bühne hat, die mit ihrer Stimme so leicht den Zuschauersaal ausfüllen kann.
Im Schlußduett harmonierten die Stimmen von Yoncheva und Beczala in ihrer Dramatik ganz besonders und sie gestalteten ein mitreißendes Finale.
Die Nebenrollensänger konnten an diesem Abend nur wenig überzeugen. Mit Ausnahme von Dan Paul Dumitrescu, dessen sanfter Bass gut zum Charakter des Frere Laurent passte, und mit kleinen Einschränkungen auch noch Alexandru Moisiuc als Le Duc.
Wenn Gabriel Bermudez auch noch so singen würde, wie er aussieht, dann wäre er ein echter Gewinn für die Staatsoper. (Sein inzwischen legendärer Nackt-Auftritt in der Poulenc-Oper Les mamelles de Tirèsias am Liceo in Barcelona hat ihm nicht nur im Internet viel Publicity beschert – wer mehr wissen will, braucht nur die Google-Bilder-Suche zu bemühen.) Der spanische Bariton sang mit kleiner Stimme den Mercutio und somit ging viel vom Zauber der Ballade der Königin Mab verloren. (Wer einmal Simon Keenlyside mit dieser Ballade gehört hat, weiß, was man aus dieser Nummer hervorzaubern kann). Man kann nur hoffen, dass Bermudez, der über eine interessant timbrierte Stimme verfügt, sich bald an die Akustik und die Größe des Hauses anpassen kann. Schließlich gehört er ab der nächsten Saison zum Ensemble des Hauses.
Juliette Mars war ein mit schrillen Tönen ausgestatteter Stephano, Dimitrios Flemotomos war ein hart klingender Tybalt und Il Hong strahlte als Capulet gar wenig Autorität aus. Ulrike Helzel war eine adäquate Gertrude, Marcus Pelz fiel als Gregorio mehr optisch als vokal auf.
Am Ende der Vorstellung gab es einige Bravos für die Hauptrollensänger und natürlich den Dirigenten Domingo. Doch nach sechs Minuten war der Jubel auch schon wieder vorbei.
Lukas Link