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WIEN/ Staatsoper/ Musikverein/ Konzerthaus: EIN „AUSLANDSWIENER“ AUF BESUCH IN DER HEIMATSTADT

10.04.2013 | KRITIKEN, Oper

EIN „AUSLANDSWIENER“ AUF BESUCH IN DER HEIMATSTADT – Gerhard Bauer – Musikredakteur aus Köln – machte es sich in Wien nicht leicht: DON CARLOS, RIGOLETTO, „SKANDALKONZERT“ IM MUSIKVEREIN UND DAS ARON QUARTETT IM KONZERTHAUS (Zeitrahmen 5. bis 9. April 2013)


Gerhard Bauer, früher Musikredakteur beim „Kölner Stadtanzeiger“

Musikbeflissene Auslandsösterreicher haben ihre Schicksale, und die sind  nicht immer die leichtesten. Aber am schwersten mag es den treffen, den es immer wieder zu Besuchen in seine Heimatstadt Wien drängt. Ich gehöre zu diesen Fluchbeladenen: 1969 zog ich von Wien nach Köln, wo ich beim Stadt-Anzeiger 34 3/4 Jahre Musikredakteur und danach 8 Jahre freier Mitarbeiter war.

*Es war damals die Zeit, als sich in den Opernhäusern allerorten das „Regie-Theater“ zu etablieren begann. Das war eine Form, die sich – stark verkürzend gesagt  – primär und programmatisch gegen das „Herumstehen und Schönsingen“ wandte. Mit Felsenstein in Ost-Berlin begann es, der Harry Kupfer und die Ruth Berghaus waren ihm willige Gefolgsleute. Bald wimmelte es von, meist Mitte der 40er-Jahre geborenen , „enfants terribles“: John Dew, Dietrich Hilsdorf, Hans Neuenfels, Peter Konwitschny, um nur die auffälligsten zu nennen. Sie pflogen ein Theater der Fussnoten, Kommentare, Subtexte und freien Assoziationen, ein Theater also, das einen nur durch Lesefrüchte vorbereiteten Zuschauer zunächst denn doch hart traf, und das sich sehr schnell auch auf kleine und kleinste Bühnen ausdehnte. Fast überall zum maßlosen Verdruss des breiten Publikums.

*Zur Erklärung  und als Gegengift machte sich dann schnell der resignierende Slogan breit: „Weil es keine oder zu wenige gute Sänger gibt, haben die  Regisseure/Intendanten das Ablenkungsmanöver ‚Regietheater‘ gestartet“. Wiener Opernfreunde, die in den 60er/70er-Jahren so respektable Häuser wie München oder Stuttgart besuchten, kamen  flennend nach Wien zurück, klagten über schwache Sänger und uninteressante Stimmen und schlossen ironisch: „Und nicht einmal ein ‚Regietheater‘ haben sie dort.“ Tja.

*Der langen Rede kurzer Sinn: Die 30. Aufführung von Verdis „Don Carlos“ am 9. 4. in der fünfaktigen französischen Fassung in der Wiener Staatsoper, von Konwitschny als  Auffrischung einer sehr frühen Hamburger Arbeit inszeniert. Weil hier beide Negativa stattfanden: ein recht mittelmäßiger Gesang und eine Regie-Dutzendware aus altgedienten Bürgerschreckzeiten. Die eine Novität: Die von der kompositorischen Substanz eher schwache Ballettmusik „Ebolis Traum“ zu nennen und zu einer rosa getönten  spießigen Küchenidylle mit den Paaren Eboli/Carlos und Philipp/Elisabeth zu formen, mag ja durch die Ausrede „Traum“ legitimiert sein. Die zweite Novität: Das Autodafè nicht nur als videoverbrämte launige Party auf der Bühne zu zeigen, sondern auf allen Treppen und Pausenräumen, gewinnt manch erschreckende Dimension. Denn: Während überall Elend, Diktatur und Ungerechtigkeit herrschen, besäuft sich das Establishment dreist, eitel und unverblümt – und die Medien machen auch gleich den großen Rummel rundherum.

*Bravo, Konwitschny! Wirklich Bravo? In Meiningen hat der Meister nämlich den Triumphakt der „Aida“ einst mit nämlicher Masche ausgerüstet – und wenn solcherart die scheußlichsten Unmenschlichkeiten zum Totalversatzstück für eine handliche Macht-Missbrauch-Moderne degenerieren, wird einem unwohl. Zumal auch das, was einst als klare Personenführung und -charakteristik geschätzt wurde, hier auch nicht eben in Hochblüte steht. Das Treueschwur-Duett Posa/Carlos etwa sieht die Protagonisten auf allen Vieren kriechen und die Hände bewegen, als schnappten sie nach imaginären Fliegen. Und der König ist angelegt als jähzorniger und zuschlagender Zappelphilipp: Ach, ja, da liegt schon wieder einer von Philipps Fäusten Gnade.

*Musikalisch hat mich  an der von Bertrand de Billy routiniert dirigierten Verdi-Vorstellung wenig berührt. Die französische Version verlangt andere Qualitäten in Farbe und Diktion, in Emotion und Fluss als die italienische: Kühle, Noblesse, Contenance. Aber fast alle Sänger fühlten und erlebten aus
Italiens Gefühlsgluten heraus, und wenn sie sich der anderen Stilebene besannen, resultierten daraus unschöne Brüche. Insgesamt schien mir am wenigsten George Petean (schön timbrierter, ebenmäßiger Posa) unter diesem Übel zu leiden, am meisten Yonghoon Lee (ständig forcierender Carlos). Die Damen IanoTamar ( Elisabeth) und Nadia Krasteva (Eboli) fanden sich mit wechselndem Erfolg zurecht. Dass für die zentrale Szene des Stücks nur so bleiche Gesellen wie Kwangchul Youn (Philipp) und Alexandru Moisiuc (Großinquisitor) auf der Bühne standen, stimmte mich traurig. Und auch die altbackene „Rigoletto“-Aufführung, die ich zwei Tage zuvor gesehen hatte, ließ nur selten den Eindruck zu, die Wiener Staatsoper nehme auf das Verdi-Jahr besondere Rücksicht.

*Auch ein kleiner Spaziergang durch andere Säle und Institutionen des musikalischen Wiens ließen mich auf dem Teppich. Im Goldenen Saal des Musikvereins gab es einen Abend des ORF-Orchesters unter Cornelius Meister, der an jenen Tag erinnerte, an dem es ob ungeahnter Klänge von Berg (zwei Altenberg-Lieder), Webern (Stücke op. 9), Schönberg (1. Kammersinfonie, chorisch besetzt) und Zemlinsky (vier Maeterlinck-Lieder) Ohrfeigen und Wutgeschrei setzte. Es wurde der Begriff  „Skandalkonzert“ geprägt, und unter diesem Titel lief auch die diesmalige Rekonstruktion.

*Es gab keinen Skandal, allenfalls mochte man sich wundern, wie schnell der Zeit-Filter  die Ohren quasi erziehen und gewöhnen kann: Wie vertraut da vieles klang. Befremden konnte allerdings, dass für die letzte – im Jahre 1913 ob des Tumults kurzerhand abgesetzte – Programmnummer, Mahlers „Kindertotenlieder“, ohne jede Begründung die Solistin ausgewechselt wurde: Statt Christiane Oelze (Sopran) sang Iris Vermillion (Mezzo). Auf Umwegen war zu erfahren, dass dem Dirigenten urplötzlich der Sopranklang nicht gefiel, dass es auch Auffassungsunterschiede über manche Tempi gab. Das wirkte fadenscheinig, denn wer sich zunächst zugunsten der (ungewohnten) hohen Stimmlage gegen die (traditionelle) mittlere entscheidet, sollte die Konsequenzen aushalten. Weil aber beide Sängerinnen (Oelze besonders bei Berg) viel gestalterischen Mehrwert einbrachten, darf man die unfeine Begleiterscheinung vergessen.

*Aus dem Überangebot des Konzerthauses wählte ich einen Sonntag-Nachmittag mit allerkostbarster Kammermusik im sehr gut besuchten Schubert-Saal: Das Aron-Quartett spielte Werke von Erwin Schulhoff (1. Quartett), Dmitrij Schostakowitsch (8. Quartett) und Franz Schubert
(Streichquintett mit Bernhard Naoki Hedenborg am zweiten Violoncello). Es gab sehr spannungsvolle und emotional tiefe Interpretationen, allerdings war der zweite Cellist bei Schubert dynamisch und artikulatorisch nicht ausreichend dem Ensemblegedanken verpflichtet. Das ist halt leider so bei Stücken, für die es kaum professionelle Standardbesetzungen gibt und für die oft genug Zeit, Lust und Geduld fehlen, den Feinschliff zu erarbeiten.

Gerhard Bauer

 

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