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WIEN/ Staatsoper: LES CONTES D’HOFFMANN. Wiederaufnahme zum Offenbach-Jahr

05.09.2019 | Oper


Luca Pisaroni. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: Wiederaufnahme zum Offenbach-Jahr: LES CONTES D‘ HOFFMANN

Mit Appell an die nächste Direktion: Diese Modellinszenierung nur ja nicht wegschmeißen!

5.9. 2019 – Karl Masek

Das Erinnerungsblatt drängt sich vor: Im Herbst 1993 war die István-Szabo-Inszenierung von Verdis „Il Trovatore“ ein von heftigen Publikumsprotesten begleiteter veritabler Flop. Der Langzeit-Direktor Joan Holender war damals schwer in der Kritik und „…die nächste Premiere sollte über meine Zukunft entscheiden. Die Aussichten waren alles andere als rosig: Den rumänischen Regisseur Andrei Serban kannte man hierzulande ebenso wenig wie den für die vier Bösewichte vorgesehenen walisischen Bariton Bryn Terfel. Cheryl Studer, die alle drei Frauenpartien hätte singen sollen, war beim Publikum durch den Troubadour belastet…“, so Holender in seiner Autobiografie „Ich bin noch nicht fertig“.

Diese Premiere sollte Geschichte schreiben. Cheryl Studer warf im Vorfeld das Handtuch (etwas Besseres konnte gar nicht passieren, mutmaßten viele damals). Olympia, Antonia und Giulietta wurden von 3 Sängerinnen gesungen. Und zwei neue Opernsterne gingen da auf. Natalie Dessay und Bryn Terfel.  Das Publikum war schier aus dem Häuschen und jubelte, so schien es damals, fast die ganze erste Pause durch. Heutzutage reicht es gerade einmal für einen Vorhang, denn viel zu viele haben es eilig, unmittelbar nach Verklingen des letzten Akkordes in die Pausenfoyers zu drängen um sich dort reflexartig mit ihren Mobiltelefonen zu beschäftigen…

88 Aufführungen sollte die kluge, phantasievolle, bildmächtige und mit angemessen skurrilen Details aufwartende Modellinszenierung von Andrei Serban in der Ausstattung von Richard Hudson erreichen. Für die letzte Wiederaufnahme, die nun auch schon mehr als 5 Jahre zurückliegt, kehrte Serban persönlich zurück, um wieder Hand anzulegen. Die abermalige Wiederaufnahme wirkt frisch wie am ersten Tag, hat Referenzcharakter, und man möchte der künftigen Direktion zurufen: Behaltet sie im Repertoire und schmeißt sie nur ja nicht weg!

Nun also die „89. Aufführung in dieser Inszenierung“. Mit einem Rekord an Rollendebüts! „Alle Sängerinnen und Sänger, außer Dan Paul Dumitrescu und Alexandru Moisiuc geben ihr Rollendebüt an der Wiener Staatsoper“, so im Kleingedruckten des Abendzettels.

Frédéric Chaslin leitete diese Aufführung. Er zählt zu den Routiniers am Pult, die prinzipiell „wissen, wie’s geht“. Sie behalten die Übersicht, sozusagen die Oberhoheit über das Geschehen, wissen genau, wie man Sängerinnen und Sänger führt, lassen das Bühnengeschehen in keinem Moment aus den Augen (auch Chaslin dirigiert auswendig!). Sie reagieren seismografisch  auf  die Verfassung (und Tempowünsche) der Protagonisten, „atmen mit“, nehmen somit Rücksicht auf  die „Atemdisposition“. Olympia brauchte diesbezüglich eine gewisse Temponachgiebigkeit.


Olga Peretyatko. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Olga Peretyatko sang alle Frauenrollen.  „Olympia“ klang menschlich durchpulst, gar nicht so sehr automatenhaft. Was die Glaubwürdigkeit erhöht, warum sich Hoffmann in sie verliebt. Sorgfältig die Koloraturen, perfekt austariert Staccato und Legato und die dazugehörigen „Echowirkungen“. Sorgfältig auch die Bewegungschoreographie, perfekt jedes Schrittchen. Dafür nimmt sie sich alle Zeit der Welt. Chaslin drosselt das Tempo. Die umwerfende Komik, die damals geniale circensische Lässigkeit der Dessay erreicht sie freilich nicht, strebt sie wohl auch bewusst nicht an. Die Ausdruckspalette für die todkranke „Antonia“ steht ihr in hohem Maß zu Gebote. Sicher das beste der drei Porträts. Die Kurtisane „Giulietta“ mit der tieferen Tessitura (oft von Mezzosopranen gesungen) scheint  Peretyatko noch nicht so recht in der Kehle zu liegen. Die Stimme der Peretyatko ist im Wandel begriffen, wie sie in Interviews selbst sagt. Da ist vieles im Fluss, und sie ist künstlerisch auf der Fahrt. Vom reinen Koloraturfach beginnt sie sich zu verabschieden, im jugendlich-lyrisch-dramatischen Fach (wie das der Stimmenkenner Erich Seitter beschreibt) ist sie noch nicht vollständig angekommen, aber dieser Zielbahnhof ist schon ganz nahe.

Peretyatko sollte sich von diesem Weg nicht abbringen lassen. Allen recht kann man es ohnehin nicht machen – und die penetranten Buhrufe EINES notorischen Krakeelers von der Galerie (der arbeitet sich akustisch an einem persönlichen Feindbild ab) sollte sie einfach ignorieren.

Bevor es mit den anderen Sängern weitergeht, nochmal zurück zu Frédéric Chaslin. Er ist nicht bloßer Sachwalter der Partitur, will darüber hinaus auch in einer Repertoire-Vorstellung gestalterische Impulse einbringen und Akzente setzen. Dass es dabei mitunter über Gebühr laut wird, muss aber auch angemerkt werden. Das Orchester der Wiener Staatsoper hat hörbar Freude, die Meisterpartitur Offenbachs nach längerer Zeit wieder einmal zu spielen. Kompakt der Klang in den sehr „deutschen“ Passagen , z.B. in Luthers Weinstube, aber auch das elegante französische Kolorit kommt zu seinem Recht. Glanzlichter von der Soloklarinette, sinnlich bis unheimlich die Flötentöne, markant die Harfe, flirrend schwül der Ohrwurm der Barkarole, hymnisch der Epilog. Länger dauerte es beim Chor der Wiener Staatsoper, bis er in die Gänge fand. Die hier rasanten Tempi des Dirigenten wurden etwas „schleppend“ übernommen.

In der Reihenfolge des Programmzettels:

Dmitry Korchak sang seinen ersten Wiener „Hoffmann“ prachtvoll. Die Ballade von Klein-Zack mit eingelegtem, bombensicher gesetztem Spitzenton in der 2. Strophe. Lyrik, Dramatik, Zärtlichkeit, Emphase, Verzweiflung angesichts des Todes von Antonia, der ausufernde Zynismus des Alkoholikers im Giulietta-Akt – alles hatte die rechten Stimmfarben und Ausdrucksnuancen, und das bei idealer Abendform. Souverän die Registerwechsel. Auch er wird sich sukzessive von den Rossini- und Bellini-Rollen verabschieden. Bei Rollen wie Lenski, Werther,… ist er schon erfolgreich angekommen, Mozart wird wohl eine weitere Konstante bleiben. Und mit dem „Hoffmann“ kann er einen tollen „Gipfelsieg“ feiern!


Gaëlle Arquez (Muse), Dmitry Korchak. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Gaëlle Arquez war ihm ein phantastischer „Niklausse“ mit idealtypischer Stimme. Als „Muse“ begann sie den Prolog mit opulenten Tönen. Da dachte man für Momente, jetzt ginge es gleich mit „Carmen“ weiter. Doch sie weiß ihre Edelstimme hochmusikalisch zu führen, intelligent verschiedene Valeurs zu servieren. Eine Luxusbesetzung.

Luca Pisaroni blieb in den Bösewicht-Rollen leider allzu blass und vor allem kaum dämonisch. „Der Stadtrat Lindorf“ war rollendeckend staubtrocken gesungen, „Coppelius“ und „Dapertutto“ entbehrten der notwendigen Stimmfarben. „Solide gesungen“ ist hier eindeutig zu wenig. Und beim gesanglichen Prüfstein, der Spiegelarie des „Dapertutto“ ließ Pisaroni den heiklen Sextaufschwung des Schlusstons aus und „begnügte“ sich mit der „Feuerwehr-Quart“. Was auch ihm prompt eine Missfallenskundgebung eintrug.

Michael Laurenz war mit Stentortönen der stocktaube Diener „Frantz“ (klar, dass der nur mehr in größtmöglicher Phonstärke mit der Umwelt, über die er sich so viel ärgern muss, kommuniziert!) und in den anderen Dienerfiguren  angemessen hintersinnig, witzig, grotesk.

Die Comprimarii waren sozusagen Rollen deckend. Zoryana Kushpler als „Stimme der Mutter“ ziemlich flackernd und unruhig phrasierend. Igor Onishchenko als noch sehr jugendlicher „Spalanzani“ ohne Charaktertenor-Timbre. Der Physiker und Erfinder ist gerade einmal vor einem „Magister“ angelangt. Von Alters-Verschrobenheit ist dieser fürs große Haus noch etwas zartgliedrige Jungbariton noch weit entfernt. Lukhyano Moyake (Nathanael) und Samuel Hasselhorn (Hermann) fielen nicht weiter auf. Dan Paul Dumitrescu (Crespel) und Alexandru Moisiuc (Luther) spielten ihre jeweilige Rollenroutine aus. Dumitrescu mit seinen väterlich-typischen Basstönen, Moisiuc mit mehr „Sprechgesanglichem“. Clemens Unterreiner (im Sommer in Klosterneuburg noch mit den 4 Bösewichtern), musste sich diesmal mit dem „Schlémil“ begnügen.

Früher einmal wäre niemandem eingefallen, für die Beifallsdauer nach der Aufführung auf die Uhr zu schauen. Früher waren Vorstellungen nach besonderen Höhepunkten (z.B. nach der Zerbinetta-Arie der jungen Gruberová) für längere Zeit unterbrochen, als jetzt der Schlussbeifall andauert.

Also gut: Sieben Minuten waren es diesmal.

Karl Masek

 

 

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