Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: LA TRAVIATA – zwischen Lebenslust und Todesahnung. Marina Rebeka als grandiose „La Traviata“

27.11.2016 | Oper

Wiener Staatsoper: ZWISCHEN LEBENSLUST UND TODESAHNUNG: MARINA REBEKA ALS GRANDIOSE „LA TRAVIATA“ (26.11.2016)

La_Traviata_93265_REBEKA_CASTRONOVO
Marina Rebeka, Charles Castronovo. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Bekanntlich benötigt eine ideale Traviata zumindest 3 Stimmen, um die Klippen dieser vielleicht populärsten Oper von Giuseppe Verdi (mit der skandalumwitterten Uraufführung im Jahr 1853 in Venedig) zu meistern. Und vermutlich ist dies auch der Grund, warum die Oper von Verdi mit einem Libretto von Francesco Maria Piave nach der Romanvorlage der „Kameliendame“ von Alexandre Dumas erst im zweiten Anlauf zum Mega-Hit avancierte. Nun: mit der aus Riga stammenden Sopranistin Marina Rebeka hat die Opernbühne eine der raren Darstellerinnen der Violetta Valery, die in allen vier Akten reüssiert! Im ersten Akt schwankt sie zwischen überschäumenden Lebenslust und elegischer Todesahnung. Die Stimme ist dunkel und groß, die Koloraturen sitzen, das Piano „schwebt“, die Höhe strahlt; am Ende der großen Arie schafft sie – an diesem Abend etwas vorsichtig – das dreigestrichene hohe Es. Leider kann der US-Tenor Charles Castronovo als Alfredo von Anfang an nicht mit dem Niveau dieser Traviata mithalten. Er sieht gut aus, singt aber viel zu „halsig“, das Timbre ist uninteressant, die Technik schwach. Leider erweist sich auch die von allen Seiten so gelobte Dirigentin Speranza Scappucci als überfordert. Sie schwankt zwischen konventionell und zu schnell und kann selten die Sänger unterstützen. Immerhin kommt es zu einem ersten Höhepunkt im großen Duett zwischen Violetta und Giorgio Germont. Hier zeigen zwei große Verdi-Sänger welches Potential an diesem Abend viel zu wenig genutzt wurde. Marina Rebeka in der entscheidenden Auseinandersetzung über Liebe, Familien-Ehre und Schlechtem Gewissen: das ist ein Blick in die seelischen Abgründe des Menschen. La Traviata  als Belcant-Schwester von Aida oder Ballo-Amelia. Diese Nobel-Maitresse (heute würde man Luxus-Hostess sagen) erlebt das gesellschaftliche Seitenblicke-Treiben als seelische Wüste. Giorgio Germont – herzerweichend  dargestellt diesmal durch Dmitri Hvorostowsky – ist der einzige Fels in der emotionalen Brandung, die vom nahen Ende der Schwindsüchtigen umspült wird. Es bleibt einem fast das Herz stehen, wenn Violetta vom Vater ihrer großen Liebe dazu gebracht wird, auf das Glück ihres Lebens zu verzichten, damit die Ehe seines 2.Kindes, seiner Tochter, nicht gefährdet wird. Der russische Bariton liefert – trotz akuter neuerlicher Erkrankung  – eine unvergessliche Verdi-Modell-Aufführung. Seelen-Strip mit Belcanto-Qualität, ist man versucht zu formulieren! Ein ganz besonderes großes Lob!  Das gilt auch für die Arie am Ende des 2. Aktes. Sie wird weder larmoyant noch leierkasten-artig interpretiert.Und schließlich im 3. Akt, der von Speranza Scappucci viel zu schnell angelegt wird – wächst sich die Schmach der Demütigung ins Gigantische aus. Doch spätesten im 4. Akt wird klar, dass Wien eine grandiose Traviata anbieten kann, die an die größten Vorbilder herankommt. Hier wehrt sich eine junge Frau erfolglos gegen ihre tödliche Krankheit, die durch das Fegefeuer der Leidenschaft zusätzlich angeheizt wird. So dramatisch und doch so lyrisch hat man das „Addio del passato“ noch selten gehört. Die in Riga lebende Tochter einer Lettin und eines Weiß-Russen gehört  damit in eine Reihe mit Anna Moffo, Hilde Güden, Ileana Cotrubas oder Anna Netrebko und zählt seit ihrem Einspringen in Salzburg in diesem Sommer in „Thais“ (gemeinsam mit Placido Domingo) für mich zur Spitzengruppe der internationalen Opernstars. Hätte sie  bereits  von die Premiere  von 2012 gesungen, wäre die Werkstatt-Inszenierung von Jean-Francois Sivadier (mit den Hänge-Prospekten von Alexandre de Dardel) wohl auch besser aufgenommen worden. Die Nebenrollen sind in „La Traviata“ wirklich Mini-Auftritte, die wenig Gelegenheit zum Profilieren verschaffen. Immerhin gelingt es Don Paul Dumitrescu als Grenvil und Donna Ellen als Annina menschlich zu berühren. Der Rest sei durch ein kollektives „ recht ordentlich“ beschrieben:  Ilseyar Khayrullova als Flora, Bror Magnus Todenes als Gaston, Gabriel Bermudez als Douphol und Hans Peter Kammerer als Obigny. Sie waren wie das Orchester der Wiener Staatsoper und der Chor der Wiener Staatsoper (Leitung Thomas Lang) Basis einer „2/3-Sternstunde“. Vielleicht findet sich auch noch ein entsprechender Tenor und eine adäquate Dirigent(in). Am Ende echter, spontaner Jubel – vor allem für  Dmitri Hvorostovsky und Marina Rebeka! Sie haben ihn wahrlich verdient.

Peter Dusek

 

 

Diese Seite drucken