Triumph der Hohen Cs – La Fille du Régiment – Wiener Staatsoper, 29.10.2013
Die Produktion von Laurent Pelly gehört ohne Zweifel zu den besten Inszenierungen, die die Staatsoper zur Zeit zu bieten hat. Es war die 17. Aufführung seit der Premiere und es gab sich wieder einmal der unvergleichliche Juan Diego Flórez die Ehre.
Vorbei sind die Zeiten, als man noch um EUR 30,- übrig gebliebene Karten der ersten und zweiten Kategorie kaufen konnten, als er angesetzt war (vor doch schon einigen Jahren bei einer „Italiana in Algeri“-Serie). Nun ist der Stehplatz fast vollständig ausverkauft und die Freunde des Hohen Cs waren alle gekommen, um ein bisschen „Stimmporno“ zu erleben. Seit der Premierenserie ist die Stimme von Flórez voller geworden, ohne dass er den Glanz und die Leichtigkeit seiner Acuti verloren hätte. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass er bei seiner Rollenauswahl wirklich sehr behutsam vorgeht – ich denke, dass ihm noch eine lange und glänzende Karriere á la Alfredo Kraus beschieden sein wird.
Am Nationalfeiertag zeigte sich Flórez schon in prächtiger Verfassung, aber gestern konnte er seine Leistung noch steigern. War am Samstag noch eine winzigkleine Unsicherheit bei der Arie im zweiten Akt zu hören, so brachte er diese gestern perfekt über die Bühne. Im Vergleich zu früher ist er noch mehr in die Rolle stimmlich reingewachsen und erfreute die Zuhörer mit wirklich schönen Zwischentönen bei den lyrischen Passagen. Obwohl diese Arie vom sängerischen her die schwierigere ist, wartete der Großteil des Publikums naturgemäß auf „Ah mes Amis“ im ersten Akt. Die neun Hohen Cs dieser Arie bereiten Flórez kein Problem, die Töne sitzen perfekt (obwohl man in dieser Serie die absolute Leichtigkeit von vor ein paar Jahren vermisst – aber das ist wirklich unerheblich bei dieser Leistung!) und die Ovationen danach genoss er sichtlich. Wie es bei Flórez-Auftritten in Wien schon zur Gewohnheit geworden ist, erklatschte sich das Publikum ein „Bis“. Und das kostete dieser Ausnahmesänger aus – vor seinem Hohen C #18 machte er eine etwas längere Kunstpause (in fast schon Thielemannscher Länge), zeigte dem Publikum ein strahlendes Zahnpastalächeln und hielt dann den hohen Ton sehr lange aus – es war klar, dass dies sehr goutiert wurde!
Den Tonio legte er als Alpendolm an – für meinen Geschmack, und da nehme ich auch etliche andere Protagonisten nicht aus – geht leider langsam der subtile Humor und die Liebenswürdigkeit der Personenführung der Premiere verloren und manchmal war die Grenze zum Klamauk fast schon überschritten.
Carlos Álvarez war wieder als Sulpice angesetzt und erfreute nicht nur durch sein lebendiges Schauspiel, sondern auch durch seine gesund wirkende Stimme – es bleibt zu hoffen, dass er sich diese Form erhalten kann und wir ihn auch in den nächsten Saisonen in verschiedenen Rollen hören können.
Marcus Pelz, der seit nun schon 14 Jahren dem Staatsopernensemble angehört, war ein verlässlicher Hortensius, der unter den Capricen seiner Marquise zu leiden hatte.
Bevor wir zu den Damen des Abends kommen ein großes Lob an den Staatsopernchor unter der Leitung von Thomas Lang. Besonders die Herren der Schöpfung werden bei diesem Stück nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch gefordert (welch ein Unterschied zu anderen Stücken, wo man nur teilnahmslos herumstehen muss…) und sie erledigten ihre Aufgaben ausgezeichnet. Konrad Huber und Dritan Luca waren bei ihren kleinen Solo-Partien auch fehlerfrei.
Im Vergleich zu der eigentlich schon fast unerträglichen Montserrat Caballé zeigte Dame Kiri Te Kanawa, wie man eine kurze, lustige Rolle mit Würde und Anstand anlegen kann. Eine Lady vom Scheitel bis zur Sohle bewies sie, dass sie noch immer über eine starke Bühnenpersönlichkeit verfügt – und auch ihre Stimme ist relativ gut erhalten. Der Auftrittsapplaus für diese Sängerlegende war mehr als verdient!
Einige Einwände habe ich zu Aura Twarowska. Sie spielte äußerst engagiert, war aber für meinen Geschmack zu sehr auf Klamauk bedacht. Das war die letzten Male nicht so sehr störend wie am gestrigen Abend. Sie wirkt auch als Marquise de Berkenfield etwas zu jung – und bei tieferen Tönen war sie fast unhörbar.
Einen großen persönlichen Erfolg feierte Íride Martínez als Einspringerin für die Einspringerin in der Rolle der Marie. Sie hat von den Noten und vom Stimmumfang her die Partie auf jeden Fall drauf, aber es fehlt phasenweise an Ausdruck und auch eine etwas fülligere Tiefe wäre von Vorteil. Martínez, die vor zwei Jahren in Wien debütierte und bis dato zwar solide gesungen, aber in keinster Weise überragend aufgefallen wäre, hatte sich augenscheinlich sehr intensive mit der Personenführung beschäftigt. Herausgekommen ist, dass sie peinlichst genau versuchte, die Bewegungen von Natalie Dessay zu imitieren. Das Problem dabei war, dass Martínez nicht nur nicht Dessay ist, sondern durch eine ganz andere, viel weiblichere, Körperstatur gewisse Dinge einfach nicht funktionieren konnten. Aleksandra Kurzak, die ja im Mai die Marie sang, konnte da mit einer viel stimmigeren Auslegung punkten.
Nichtsdestotrotz konnte die Sängerin beim Publikum punkten und sie freute sich offensichtlich über den Erfolg – und das ist ihr ja wirklich zu vergönnen!
Nicht ganz einverstanden war ich mit der Leistung von Bruno Campanella, der ja schon an allen großen Opernhäuser tätig war. Der 70-jährige Italiener machte phasenweise einen verwirrten Eindruck und sorgte auch unabsichtlich für Heiterkeit im Publikum. Konnte man am Samstag noch nachvollziehen, dass es für ihn sonderbar erscheinen mochte, dass man in Wien ein „Da Capo“ zuließ – er konferierte mit dem Konzertmeister, während Flórez auf der Bühne wie bestellt und nicht abgeholt stand, dann blätterte er einige Zeit lang in den Noten, bis er die Stelle fand, an der fortgesetzt werden sollte, so konnte man gestern wirklich nicht mehr nachvollziehen, was den guten Mann da so verwirrte. Die gleiche Prozedur wie am Samstag – dann nahm Campanella die Noten, drehte sich zum Publikum um, zeigte diese her, dann wurde wieder geblättert ?!???
Wie auch immer, das Staatsopernorchester wirkte an diesem Abend viel inspirierter als noch Tage zuvor, was dem Abend auch zu Gute kam.
Zum Abschluss gab es gut abgestuft Ovationen für Flórez, dann kamen von der Applausstärke her Álvarez, Martínez und Te Kanawa.
Kurt Vlach