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WIEN / Staatsoper: LA FANCIULLA DEL WEST

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Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
LA FANCIULLA DEL WEST von Giacomo Puccini
13.
Aufführung in dieser Inszenierung
11.
Jänner 2017

Man weiß, dass die Uraufführung von „La fanciulla del West“ 1910 in der New Yorker Met ein Triumph war, Kunststück, ging diese „Goldgräber“- (oder Wildwest-) Oper doch mit Toscanini am Pult, Emmy Destinn als Minnie und Caruso als tenoralem Liebhaber in Szene. Aber seither hat die Oper keineswegs ihren Platz unter den großen, ewigen Puccini-Erfolgen behauptet, man tut sich solcherart sogar schwer, Sänger dafür zu finden.

Und das Publikum ist auch nicht wirklich zu begeistern. Immerhin hatte die Staatsoper alle drei Hauptrollen des Werks neu besetzt, darunter mit einem auf den heutigen Opernbühnen namhaften Tenor, und dennoch konnte man die Stehplatzbesucher auf der Galerie an den Fingern zweier Hände abzählen. Und so richtig ausverkauft wirkte das Haus auch nicht. Nein, keine Publikumsoper.

Und das zu Recht. Erstens aus dramaturgischen Gründen. Dass ein erster Akt, eine starke Stunde lang, quasi nur Exposition ist, in dem unübersichtlich eine riesige Männerschar über die Bühne fegt und die drei Hauptfiguren sich kaum richtig profilieren dürfen, ist ein mühseliger Einsteig. Sicher, im zweiten Akt wirkt dann der Bösewicht stärker und so etwas wie ein Liebesduett zwischen Sopran und Tenor gibt es auch (wenn auch nicht wirklich mitreißend), und ja, wenn Minnie den Geliebten beim Pokerspiel gewinnt – das hat schon was. Dafür ist der dritte Akt eigentlich wieder „Gewure“ der überbordenden Nebenfiguren, der Held wird fast gehenkt, dafür bekommt er andeutungsweise eine Tenorarie (aber nicht zu vergleichen mit den sonstigen Puccini-Glanzstücken), und Minnie schneidet ihn geradezu vom Galgen herunter. Und das keinesfalls zum Puccini’schen Klangrausch, wie man ihn im besten Fall kennt, sondern in einer gewissermaßen „kleinteiligen“, dauerndem Wechsel unterworfenen, nie einheitlichen und nie mitreißenden Musik. Deren Schwierigkeiten, vor allem in den Ensembleszenen, sind enorm und bringen wenig ein. Nein, wirklich dankbar ist das nicht, weder für die Interpreten noch für das Publikum.

Zudem hat Wien eine wirklich reizlose Inszenierung zu bieten, was man von Marco Arturo Marelli nicht gewöhnt ist – stimmungsloses Ambiente zwischen Wellblech, Wohnwagen und Eisenbahnschienen, keine Spur der Romantik, den diese Geschichte nötiger hätte als jede andere. Dazu fehlt dem ersten Akt sein eigentliches Zentrum, nämlich Minnie als die Frau hinzustellen, um die sich alles dreht. Die Rothaarige, die da im Holzfällerhemd herumschlendert, ist nicht als der magnetische Mittelpunkt herausgearbeitet, der man im dritten Akt glaubt, dass jeder einzelne Mann im Lager gewissermaßen voll Ehrfurcht und Liebe vor ihr in die Knie geht…

Der erste Akt war auch die Crux in der Darstellung von Emily Magee, einer Sängerin, die einst in Zürich bei Pereira ein großer Star war, der wir aber in Wien noch selten begegnet sind (am ehesten wurde noch wahrgenommen, dass sie für Renée Fleming in „Arabella“ einsprang, ausgerechnet für jene Vorstellung, die fürs Fernsehen aufgezeichnet wurde). Als Minnie wirkte sie anfangs stimmlich und darstellerisch so blaß, dass es nach schwerer Überforderung aussah (und sich vor allem so anhörte). Immerhin fand sie im zweiten Akt zumindest zu ihren gesanglichen Mitteln und brachte die Rolle brav über die Rampe – die funkelnde Persönlichkeit, die man dafür bräuchte, bekam man allerdings nicht.

Für Dick Johnson, das Zwischending zwischen Bandit und Liebhaber (da war Jonas Kaufmann in seiner verwegenen Attitüde in der Premiere ziemlich ideal besetzt), kam Aleksandrs Antonenko wieder einmal an die Staatsoper, an der er – bei explodierender internationaler Karriere – bisher ein seltener Gast war. Am öftesten hat man ihn noch als Hermann in „Pique Dame“ gesehen. Der lettische Tenor kann, das wird vor allem im zweiten Akt klar, jede Menge an stimmlicher Kraft ins Gschehen werfen, aber wenn es um die Kultur des Singens geht, ist es eher schlechter bestellt. Auch schien die Leistung an diesem Abend so ungleichmäßig (mit einmal gelungenen, einmal erschütternden „blechernen“ Höhen), dass man das eiskalte Wetter ja auch in Rechnung stellen will. Und für die Mischung aus Räuberhauptmann, Charmeboy und tenoralem Liebhaber ist er darstellerisch noch ein bißchen steif.

Andrzej Dobber, in Wien schon in den würdigen Verdi-Bariton-Rollen zu hören, hatte nicht ganz die richtige Persönlichkeit für die Rolle des Sheriff-Bösewichts wie sein polnischer Landsmanns, der Premierensänger Tomasz Konieczny, dessen fiese Attitüde und abgefeimte stimmliche Charakterisierung er nicht erreichte. Dobber wirkte eher wie ein ältlicher Verliebter und keinesfalls gefährlicher Gegner, und er klang, als ob seine durch und durch trockene Stimme nur noch mit Hilfe der Technik durch den Abend schleifte.

Im übrigen hatte man den Eindruck, das gesamte Männerensemble des Hauses wieselte über die Bühne, aber nur wenige (wie etwa Boaz Daniel) konnten sich auch nur ansatzweise profilieren. Dabei liegen gerade auch in der Verstrickung der vielen Männerstimmen, die punktgenaue Einsätze verlangen, die Schwierigkeiten der Partitur, über die Franz Welser-Möst einst nicht genug philosophieren konnte. Diesmal sah ich zum ersten Mal, dass ich mich daran erinnere, Marco Armiliato mit einer Partitur dirigieren – vermutlich Zugeständnis an die enorme Detailarbeit des Werks. Er nahm es in seiner ganzen Diversität, setzte aber besonders auf Effekte (die Lautstärke des Finales hat sicherlich den Schlussbeifall hochgezogen), in dem richtigen Gefühl, dass diese Oper jegliche Hilfe braucht. „Tosca“ und „Bohème“ wirken für sich selbst. Das Mädchen hat es schwer…

Renate Wagner