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WIEN/ Staatsoper: LA BOHÈME – Dirigentisches Puccini-Glück

20.04.2013 | KRITIKEN, Oper

WIENER STAATSOPER : „LA BOHÈME“ – Dirigentisches Puccini-Glück am 19.4.2013

 Zunächst die große Freude: Andris Nelsons am Pult. Wie er schon bei seiner „Butterfly“ bier bewiesen hat, ist er weit davon entfernt, sich mit Entfachung Puccinischer Lautstärke zu begnügen, weil’s halt von den Wiener Philharmonikern so schön klingt.

Nein, das war eine Kapellmeisterleistung im allerbesten Sinn: Er hat zuerst und zuletzt das Stück dirigiert. Und dieses besteht bekanntlich aus instrumentaler und vokaler Musik und außerdem gilt es, sich der hiesigen Inszenierung anzupassen. Da Zeffirellis Ewigkeitsproduktion bekanntlich auch „nur“ das Stück auf die Bühne bringen wollte, passte alles ideal zusammen. Wie schön, was da aus dem Orchester an Belcantoseligkeit kam, an leiser Wehmut, aber auch an instrumentalem Witz rund um die Bohemiens und den Hausherrn und an zarter, von Lächeln begeiteter erster Liebe zwischen dem sensiblen Dichter und der lungenkranken Näherin. Wirklich von erfrischender Lebensfreude getragen der ganze Pariser Weihnachtsrummel im 2. Akt – als wäre die Komposition jetzt eben gerade entstanden. Mit großer Intensität, die aber nicht die Stimmen zudeckte, steigerte sich der 3.Akt zum verzweifelten Duett von Rodolfo und Marcello und klang in innigem Schmerz im „Addio, senza rancor“ des unseligen Liebespaares aus.

Was Puccini an Dramatik in den 4. Akt investiert hat, kam ebenfalls voll zum Tragen, die vorhergehenden Akte noch überbietend. Nicht nur hatte der forcierte studentische Übermut der 4 jungen Künstler, die in der Balletteinlage von Dichter und Maler und im fingierten Zweikampf von Musiker und Philosoph kulminierte, zugleich die verlangte Leichtigkeit und Überdrehtheit, sondern das tragische Finale barst geradezu vor abrupten Stimmungswechseln. So etwa die harmoniegesättigte Begleitung der Mantelarie, der von freundschaftlicher Rücksichtnahme getragene Abgang der Freunde und dann Mimis Erwachen und die crescendierende Violinpassage, die den Rodolfo geradewegs in ihre Arme zieht. Und wenn am Ende nach Realisierung von Mimis Tod durch die Freude dem Rodolfo „Coraggio“ suggeriert wird und die Wahnsinnsläufe der Violinen das Unvermeidliche auf eine Weise bestätigen, dass es uns nicht nur eiskalt über den Rücken läuft, sondern auch das Herz zerreißt, und wir schreckerstarrt mit ihm mitfühlen, undwenn dann auch noch das einschneidende Blech einen endgültigen Schlussstrich unter diese fatale Liebe setzt – dann hat wirklich alles an der musikalischen Wiedergabe gestimmt.

Leider hat das jener Großteil des Publikums, der nur wegen der Sänger oder der „Show“ in die Oper geht, wieder einmal nicht bemerkt. In alle drei leisen Aktschlüsse wurde hineinapplaudiert – Schande über die Unsensiblen, die wohl auch gar nicht wahrgenommen haben, was für ein toller Dirigent da das Drama mitgestaltet hat. Ja, sogar die Bravi für Nelsons hielten sich in bescheidenen Grenzen.

 Auf der Bühne riss zunächst der Tenor die Aufmerksamkeit auf sich. Die Selbstverständlichkeit und technische Souveränität, mit der Piotr Peczala den Rodolfo singt, ist ein Erlebnis für sich. Da gibt es keine Probleme beim Registerwechsel, da wird klar und deutlich schönstes Italienisch artikuliert und intoniert, alles auf Linie gesungen und ohne Höhenangst auch das legendäre C erreicht und diesmal mit metallischem Unterton endlos lang gehalten, vom Dirigenten aber auch hinreißend in die „speranza“ hinein gesteigert. Und am Ende des 1. Aktes, hinter der Bühne, begleitete die Tenorstimme Mimis Höhenaufschwung in jene glücklichen Liebessphären, die Puccini so ätherisch komponiert hat. Jedoch stand der kräftige, sattelfeste Bariton von Marco Caria hinsichtlich Stilsicherheit und Vollengagement kaum hinter dem Tenorpartner zurück. Sowohl im 2. wie auch im 3. und 4. Akt bestach der Zwiegesang der beiden Bohemiens. Reiner bassaler Belcanto entströmte der Kehle des Colline von Dan Paul Dumitrescu, gipfelnd in einer balsamischen Mantelarie. Warum man die vermutliche Weisheit auch junger Philosophen immer durch weiße Haare optisch deklarieren muss, entzieht sich allerdings meinem Verständnis. Das Quartett ergänzte würdig mit etlichen mächtig aufgedrehten Tönen der Schaunard des Eijiro Kai.

Ein Hausdebut gab es in der Rolle der Mimi. Kristine Opolais überraschte gleich zu Beginn mit ihrem dunklen, groß dimensionierten Sopran, dem gänzlich die mädchenhafte Anmut fehlte, den man sich für die Charmebombe Mimi wünscht. Ihre Stimme ist zwar sicher geführt, hat genügend Kraft für ein großes Haus, kann aber rein klanglich nicht wirklich betören – zumindest nicht in dieser Partie. Die Butterfly liegt ihr vielleicht besser. Großgewachsen und schlank, mit recht couragiertem Auftreten und Spiel, war sie zwar um eine lebendige Rollengestaltung bemüht, schaffte es aber nicht, wirklich zu berühren. Am besten gelang ihr der verhaltene Gesang im 3. Akt. Möglicherweise wird sich nach Ablegung der Debutnervosität in den Reprisen noch einiges herauskristallisieren. Sie hatte aber auch das Pech, dass die ideale Mimi als Musetta neben ihr sang und agierte. Anita Hartigs bezaubernd jugendlich hell klingender Sopran sorgte auch in dieser Rolle für absoluten Hörgenuss, nicht nur im Walzer am Weihachtsabend, sondern auch mit warmem, mitfühlendem Gesang im Schlussakt.

Großen Spaß bereitete wieder Alfred Šramek als von den zahlungsunfähigen Untermietern an der Nase herumgeführter Benois und doppelt hereingelegter verliebter Parpignol, noch dazu mit wohlklingendem Bariton, dem man zwischendurch gern einmal mehr Liebesglück auf der Bühne wünschen würde. Die Chorsolisten Dritan Luca, Jaroslav Pehal, Johannes Gisser und Gerhard Reiterer bewährten sich als Stichwortbringer. Seinen großen Auftritt im Café Momüs genoss der Staatsopernchor ebenso, wie die Kinderschar der Opernschule es tat. Thomas Lang, der seine singenden Schäfchen offenbar immer von neuem animiert, durfte wieder einmal auf das Ergebnis stolz sein.

Ich könnte jedesmal aufjauchzen, wenn das Bühnenbild des 2. Aktes Auftrittsapplaus bekommt. Franco Zeffirellis Inszenierung und die wunderbaren Kostüme von Marcel Escoffier haben ihn zum x-ten Male verdient. Diese dankbare Publikumsreaktion sollte jedesmal von neuem in den Annalen der Wiener Staatsoper verzeichnet werden.

Sieglinde Pfabigan

 

 

 

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