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WIEN/ Staatsoper: DON CARLO – Premiere

16.06.2012 | KRITIKEN, Oper

WIEN/ Staatsoper: Don Carlo  – 16. Juni 2012 (Premiere)


Rene Pape, Krassimira Stoyanova, Simon Keenlyside, Luciana D’Intino. Foto: Barbara Zeininger

Während in Deutschland die Kultusminister der Länder die Sparschraube an den Opernhäusern immer stärker anziehen (müssen), gibt es an der Wiener Staatsoper offenbar Geld in Hülle und Fülle. Denn nach der letzten Premiere der Saison 2011/12 musste man sich die Frage stellen, warum die italienische Fassung von Giuseppe Verdis Don Carlo in dieser nichtssagenden Inszenierung Daniele Abbados zur Aufführung gelangen musste. Gab es wirklich keine andere Verdi-Oper (man denke etwa an einen Attila), die dringender auf den Spielplan gehört? Außerdem leistet man sich an der Staatsoper ohnedies schon den Luxus die französische (fünfaktige) und die italienische Version parallel zu zeigen.

War es also der Name Abbado? Vater Claudio dirigierte ja noch die Premiere der letzte Produktion dieses Stückes im Jahr 1989, die im Großen und Ganzen weiterhin sehr tauglich für den Repertoirebetrieb wäre. Denn Sohn Abbado bietet gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Graziano Gregori nicht wirklich Neues oder Originelles. Auf einer Guckkastenbühne (wohl soll diese Blackbox den Plot aus dem historischen Kontext lösen, was aber nie wirklich überzeugend gelingt) überbieten sich die Protagonisten mit typischen Operngebärden, statischen Ensembleaufstellungen und werden in Hinblick auf die Personenführung vom Regisseur weitgehend allein gelassen. Die Wände verschieben sich, die Lichtregie von Alessandro Carletti zeigt interessante Schattenbilder, aber manche Szenen wirken wie Opernparodien im Stile der Marx-Brothers. Etwa wenn im Autodafé hängeringende Statisten und Choristen outrieren oder die fürs Feuer bestimmten Ketzer hilflos zu Boden sinken – nie spürt man die Unmenschlichkeit der Inquisition. Dazu kommen noch Kostüme (Carla Teti) aus der Biedermeierzeit, ein König in Empire-Uniform, ein Posa im Waffenrock, der wie ein Freibeuter oder Robin Hood einer anderen Zeit entsprungen scheint. Und dass Plätze auf der Galerie (immerhin um wohlfeile 70 Euro) in vier Bildern keinen Blick auf die Hinterbühne ermöglichen, zeugt von einer gewissen Ignoranz dem zahlenden Publikum gegenüber.

Emotionen, die bei Verdis Musik oft rasch den Besucher erfassen, lassen in dieser Regie lange auf sich warten und stellen sich erst in den Finalbildern wirklich ein. Zuvor gelingt dies nur aufgrund der sängerischen Ausdrucksstärke des hochkarätigen Ensembles. Und dieses kann sich wirklich hören lassen. Allen voran natürlich ein Philipp II. wie er im Buche steht: Schon die äußere Erscheinung von René Pape gibt dieser Figur die nötige Kompetenz. Und mit gewaltigem Bass unterstreicht er dies in jeder Sekunde. Ein wenig fehlen die leisen Zwischentöne, besonders bei „Ella giammai m’amò!“ Aber insgesamt eine Klasseleistung. Dass Eric Halfvarsons beste Zeit wohl schon vorbei ist, konnte man in der Schlüsselszene Philipp – Großinquisitor schmerzlich erkennen, mit der er einen nicht wirklich erschütterte (wie ihm dies noch vor einigen Jahren gemeinsam mit Furlanetto gelang).

Für mich die strahlende Heldin des Abends war Krassimira Stoyanova als Elisabeth von Valois. Die bulgarische Sopranistin brillierte in allen Lagen und mit jedem Ton. Sei es durch ihr slawisches Timbre in den abgedunkelten Momenten der Verzweiflung oder auch mit strahlenden Spitzentönen und hartem Kern, sei es im feinen Piano oder forciertem Ausdruck – zu Recht erhielt sie nach ihrer Schlussarie den meisten Szenenapplaus. Aber auch Ramón Vargas war ein um Italianità bemühter Don Carlo, der sich tapfer gegen die Wogen des Orchesters stemmen musste. Meist gelang ihm das auch, wenngleich es auf die Dauer doch wie eine tour de force wirkte. Nicht ganz glücklich war ich mit der Besetzung des Rodrigo. Unbestritten hat Simon Keenlyside einen wunderbaren Bariton, der in Liederabenden immer wieder begeistert. Aber auf der Bühne wirkt der intelligente Brite auf mich meist zu reserviert und distanziert. Die wunderbaren Freundschaftsduette mit Carlo konnten nicht so richtig zünden und es dauerte auch bis zur Sterbeszene, dass dieser Rodrigo überzeugte. Allerdings schien es gerade bei ihm, dass die Regie ihn völlig auf sich gestellt ließ, wie überhaupt die Inszenierung den Anschein erweckte, noch mitten im Probenstadium zu stecken. Vielleicht entwickeln sich ja die Folgevorstellungen noch – wenn der Regisseur dann abgereist ist!

Sorgen machen musste man sich um Luciana D`Intino nach ihrer Kanzone vom Schleier, denn da war ein gewaltiger Bruch bei den Registerübergängen zu hören. Aber die Italienerin bewies in weiterer Folge, dass die Prinzessin Eboli nicht zu Unrecht zu einer ihrer Paraderollen gehört. Beim „O don fatale, o don crudel“ war von den Anfangsschwächen aber überhaupt nichts mehr zu merken! Kleines Detail am Rande: Agnes Baltsa, eine ihrer Vorgängerinnen als Eboli verfolgte die Premiere zum Teil auf der Video-Wall neben der Staatsoper: „Da ist es kühler als drinnen!“

Ensemblemitglied Dan Paul Dumitrescu stellte seine Verlässlichkeit als Mönch eindrucksvoll unter Beweis, ein Extra-Applaus für ihn an dieser Stelle, den ihm das Publikum leider versagte. Ileana Tonca (Tebaldo), Carlos Osuna (Conte di Lerma und Herold) und Valentina Nafornita (Stimme von oben) ergänzten adäquat, der statische Chor (Einstudierung Thomas Lang) bot in starker Besetzung die gewohnt feine Leistung.

Fehlt nur noch die Würdigung des musikalischen Leiters Franz Welser-Möst. Und da lag für mich neben dem Regieteam das zweite Problem dieser Premiere. Don Carlo ist angeblich eine Lieblingsoper des Generalmusikdirektors, das merkte man aber an seiner Umsetzung leider überhaupt nicht. Er arbeitete zwar einige feine Details der Partitur heraus, die aber den Zuhörer eher verstörten, als dass man neue Nuancen entdecken konnte. Insgesamt machte auf mich das Dirigat aber eher einen groben Eindruck mit gewaltiger Lautstärke, nicht immer schöner Verdiklang. Was soll’s, dem Publikum gefiel es und es jubelte ihm zu. Gott sei Dank hat das Orchester dieses Werk wirklich im kleinen Finger, was bei den diesmal besonders gut klingenden Streichern eindrucksvoll zu merken war. Damit konnte nichts Gröberes passieren! Der Premierenjubel war groß, wenngleich nicht enthusiastisch. Bei Keenlyside und Halfvarson mischten sich einige Buhs in den Applaus, das Regieteam wurde höflich beklatscht – eigentlich die schlimmste Strafe!

Ernst Kopica

 

 

 

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