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WIEN/ Staatsoper: CAPRICCIO – Wiederaufnahme

20.06.2013 | KRITIKEN, Oper

Capriccio – Wiener Staatsoper, 20.6.2013

 Nach elfstündigem Arbeitstag und einer Außentemperatur von über dreißig Grad, gefühlten dreißig Grad auf der Galerie nun also Richard Straussens Alterswerk, das 1942 seine Uraufführung hatte. Das Interesse an dieser Aufführung war sehr groß – ich erhielt die Information, dass es für diesen Abend besonders viele Anfragen für Pressekarten gab.

 Seit der Premiere dieser Produktion sind nun auch schon wieder fünf Jahre vergangen, allerdings wurde dieses „Konversationsstück für Musik“ erst ein Dutzend Mal in der Inszenierung von Marco Arturo Marelli, dem Haus- und Hofregisseur der Holender-Ära gezeigt. Die sehr geschmackvollen Kostüme entwarf Dagmar Niefind.

 Über Bühnenbild und Inszenierung kann man in den entsprechenden Merkerausgaben, in denen die Premierenserie besprochen wurde, nachlesen, allerdings ist anzumerken, dass eine große Verbesserung zur vorigen Direktion die wirklich jetzt genau geprobten Repertoirevorstellungen sind. Alle „Neulinge“ fügten sich problemlos in das Regiekonzept ein, auch die Premierendarsteller fanden sich wieder zurecht.

 Der Abend war als „Musikalische Neueinstudierung“ angekündigt – sprich ein Repertoireabend mit einigen Orchesterproben unter dem 73-jährigen Hausdebütanten Christoph Eschenbach. Das Staatsopernorchester, in dem der Rezensent doch einige ihm unbekannte Gesichter ausfindig macht, folgte den Intentionen seines Dirigenten, der – im Gegensatz zu Philippe Jordan, der für die Premiere verantwortlich zeichnete – sich nicht davor scheute, zum richtigen Zeitpunkt das Orchester „schwelgen“ zu lassen. Ansonsten war er den Sängern ein verlässlicher Partner, das Sextett wurde wunderbar gespielt und die Hörner hatten einen ziemlich guten Abend. Bei seinem Solovorhang hörte ich auf der Galerie zwei recht schüchterne „Buh-Rufe“, die aber beim durchaus freundlichen Applaus des Publikums auf einsamer Strecke blieben.

 Renée Fleming ist nach wie vor eine herausragende Interpretin der Gräfin Madeleine, allerdings mit Einschränkungen. Einerseits ist sie ohne das Mitlesen der Untertitel kaum verständlich (sie war an diesem Abend aber leider nicht die einzige, deren Diktion zu wünschen übrig ließ), andererseits ist ihre Stimme nicht mehr so „creamy“, wie die US-amerikanischen Kritiker schreiben. In der Höhe wird sie manchmal schon ziemlich schrill – allerdings so, dass es (noch) nicht störend wirkt. Ihre Erscheinung ist sehr nobel, doch erinnerte sie mich in ihrem Gehabe mehr an die „Rosenkavalier-Marschallin“ als an die gemäß Libretto doch recht junge Capriccio-Gräfin.

 Dass der Graf in Capriccio wirklich so ein etwas degenerierter Adeliger ist, wie ihn laut Regieanweisungen Bo Skovhus darzustellen hat, wage ich zu bezweifeln. Allerdings war Skovhus für einige heitere Einlagen zuständig. Gesanglich war er guter Durchschnitt und fiel nicht besonders auf.

 Michael Schade ist auch schon seit der Premiere als Flamand dabei. Seine Stimme wird immer metallischer und passt gut zu Strauss-Partien. Markus Eiche fiel sowohl was die Wortdeutlichkeit, die Stimmkraft und das Timbre betrifft sehr positiv auf. Es war erfrischend zu hören, dass er sich, seitdem er das Ensemble der Staatsoper verlassen hat, sehr gut weiterentwickelt hat. Er war an diesem Abend einer der großen Pluspunkte.

 Nicht ganz glücklich konnte man mit dem La Roche des Kurt Rydl sein. Rydls nach wie vor mächtiger Bass hat keinerlei Probleme in der Tiefe, die höheren Töne konnte er geschickt kompensieren, doch leider hatte er einen Abend, an dem sein Tremolo ziemlich stark war und seinen schauspielerisch absolut großartigen Eindruck doch ziemlich trübte. Die Perücke stand ihm recht gut – von der Galerie aus sah er ein bisschen wie Dave Stewart von den Eurythmics as, der in den 80er-Jahren gemeinsam mit Annie Lennox einer der wichtigen Musiker der Pop-Kultur war. Insofern gar kein so schlechter Vergleich – war nicht Oper auch so etwas wie Pop-Kultur im 18.Jahrhundert?

 Bleiben wir gleich mit Vergleichen zur modernen Popkultur – Benjamin Bruns wirkte auf mich wie Heath Ledger in „The Dark Knight“. Excellente Maske!!! Da es wahrscheinlich nicht wirklich einfach ist, auf den „Mini-Gondeln“, die von der Dienerschaft herumgeschoben werden, zu singen, wage ich da kein endgültiges Urteil – nur das, dass Bruns nach wie vor in einer sehr guten Verfassung ist und seine tollen Leistungen der Holländer-Serie bestätigt hat. Seine Partnerin Íride Martínez spielte sehr gut, kam aber gesanglich nicht an Bruns heran.

 Michael Roider war ein eher unauffälliger Monsieur Taupe, die beiden Tänzer erledigten ihre Sache ohne Fehl und Tadel. Während Josefine Tyler schon bei der Premiere dabei war, ist Samuel Colombér erst später in die Produktion eingestiegen.

 Angelika Kirchschlager erfüllte die Figur die Clairon mit viel Charme, etwas Berechnung und etwas zu wenig Diven-Haftigkeit. Sie bestach durch klare Diktion, einer schönen, warmen Mittellage. Etwas mehr Fülle bei den tieferen Stellen wäre schön gewesen.

 Schlussendlich noch ein paar Worte zu Clemens Unterreiner. Es ist wirklich interessant, wie sehr es ihm gelingt, eine Rolle wie die des Haushofmeisters mit Leben zu erfüllen – auch wenn er kaum etwas zu singen hat. Eine wirklich Bühnenpersönlichkeit, die sich seit der Premiere zur Luxusbesetzung entwickelt hat!

 Rollendeckend agierten die acht Diener – Wolfram Igor Derntl, Michael Wilder, Martin Müller, Johannes Gisser, Jens Musger, Oleg Zalytskiy, Burkhard Höft und Konrad Huber.

 Der Schlussapplaus war sehr wohlwollend, die allergrößte Zustimmung erhielt Renée Fleming, gefolgt von Kurt Rydl und Angelika Kirchschlager.

 Capriccio ist meiner Meinung nach ein Stück für Kenner (ohne mich jetzt als solchen bezeichnen zu wollen) – es gibt viele kleine, witzige Sequenzen in der Partitur, viele Anspielungen und das Libretto ist brandaktuell (gut, insgesamt haben ja fünf Personen daran gearbeitet, obwohl nur Richard Strauss und Clemens Krauss angegeben sind). Ich würde in diesem Fall den „Siegeslorbeer“ der „parola“ überreichen!

 Kurt Vlach

 

 

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