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WIEN/ Staatsoper: ANGELIKA KIRSCHLAGER SINGT SCHUBERTS „WINTERREISE“

Eines langen Tages Reise in die Nacht

12.10.2018 | Konzert/Liederabende


Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 

WIEN/Staatsoper: ANGELIKA KIRCHSCHLAGER SINGT SCHUBERTS  „WINTERREISE“
Eines langen Tages Reise in die Nacht

11.10.2018

Von Manfred A. Schmid

„Eine Frau singt die Winterreise!“ Diese zur Sensationsmeldung aufgemotzte Schlagzeile in einem Hamburger Magazin aus dem Vorjahr kam fast ein Dreivierteljahrhundert zu spät. Schon 1941/1942 hatte Lotte Lehman diesen Liederzyklus aufgenommen (die erste Gesamtaufnahme überhaupt!), zahlreiche Kolleginnen – von Christa Ludwig über Brigitte Fassbaender bis Christine Schäfer – sind ihr seither gefolgt. Auch dass dieser aus 24 Liedern bestehende Zyklus am besten von Baritonsängern interpretiert werde sollte, ist zu hinterfragen. Ursprünglich geschrieben wurde diese Folge „schauriger Lieder“, wie sie Schubert nannte, jedenfalls für die Tenorstimme. Daher gilt schon längst: WER da singt – Alt oder Jung; Mann oder Frau; Tenor, Bariton, Bass oder Alt, Mezzosopran, Sopran – ist nicht so wichtig. WIE gesungen wird, das allein ist die entscheidende Frage.

Angelika Kirschlager hat sich in den letzten Jahren auf den Opernbühnen rar gemacht und mehr auf den Liedgesang konzentriert. In einer Tournee durch ganz Österreich wollte sie den klassischen Liedgesang sowie zum Volkslied gewordene Lieder wie das „Heideröslein“ wieder mehr unter die Menschen zu bringen. Unbeschwerte, unprätentiöse und vorwiegend heitere Auftritte, auch wenn ernstere Lieder wie „Gretchen am Spinnrad“ natürlich nicht fehlen durften. Auf einer ganz anderen Ebene verlief dann ihre Zusammenarbeit mit dem Liedermacher Konstantin Wecker beim Projekt „Liebestoll“. In guter Erinnerung ist ihr gemeinsamer Liederabend mit Simon Keenlyside im Jänner 2017 an der Staatsoper. Damals auf dem Programm: Lieder von Schubert, Schumann, Cornelius und Wolf.

Wenn sie sich Angelika Kirchschlager nun dem Wiener Publikum mit der Winterreise, dem Heiligen Gral der Liedkunst, präsentiert, dann sollte das eine neue Etappe auf ihrer künstlerischen Reise durch die Welt des Liedes markieren. Premiere hatte sie damit bereits im Juli in London, begleitet – wie auch jetzt – von Julius Drake am Klavier. Es gehe dabei vor allem um Wahrhaftigkeit, hat Kirchschlager im Vorfeld ihres Londoner Konzerts gemeint, und das ist auch bei ihrem Auftritt in Wien in jedem der 24 Lieder zu verspüren. Die Mezzo-Sopranistin weiß, dass bei der Winterreise nicht Schöngesang im Mittelpunkt steht, es geht vielmehr darum, die seelische Verfasstheit eines Menschen aufzuzeigen, der verzweifelt und ohne Hoffnung auf einer Straße unterwegs ist, „die noch keiner ging zurück“. Da ist es durchaus angebracht, dass dem Zuhörer in der Klage, „dass ich so elend bin“, das Wort „elend“ erschütternd durch Mark und Bein geht, und manche Passagen fast tonlos gesungen werden, um so den Zustand der Beklemmung Ausdruck zu verleihen. Abgründe tun sich auf, Entfremdung und Ausgegrenztheit auf jedem Schritt und Tritt. Ausbrüche der Verzweiflung und vergebliche Zufluchtssuche in allzu vergänglichen Momenten trügerischer Ruhe und Beschaulichkeit. Das Vertrauen dessen, der da geht, ist tief erschüttert. Nur in der Natur, die er rastlos durchwandert, findet er sein zerklüftetes Inneres widergespiegelt, solidarisch und verstanden fühlt er sich nur noch in seiner Beziehung zu einer Krähe, die ihn begleitet, und zu einem Werkelmann, der nicht mitten im Ort, sondern „drüben hinterm Dorfe“, als Ausgestoßener vergeblich seine Leier dreht.

Das alles vermag der wandlungsfähige und ausdrucksstarke Mezzo Angelika Kirchschlagers – an einem guten Tag – zu vermitteln. Nur leider ist es diesmal anscheinend kein so besonders guter Tag, wie das hin und wieder der Fall kann. Die Sängerin wurde nicht als indisponiert angesagt, aber schon der Einstieg, „Gute Nacht“, klingt etwas verhuscht, der erste Einblick in eine getriebene, zur Rastlosigkeit verdammten Seele ist damit vertan. Das bessert sich dann im Laufe des Abends ein wenig, aber die Stimme bleibt durchwegs zu leise und ist in der Tiefe oft kaum mehr wahrnehmbar. Das erschwert es dann sehr, ihren nuancierten Vortrag als solchen wahrzunehmen. Vielleicht hat sie sich von den bedeutend kleineren Ausmaßen des Aufführungsorts der Londoner Premiere, der Temple Church, irritieren lassen, wo der Liederabend offenbar ein großer Erfolg war, und sich nicht genügend auf die völlig anderen akustischen Gegebenheiten der Wiener Staatsoper umgestellt.  Was an diesem Abend unter besseren Voraussetzungen möglich gewesen wäre, lässt Kirchschlager im dramatisch vorgetragenen „Der Lindenbaum“, im frisch und überraschend lebensfroh klingenden, gefährlich trügerischen „Frühlingstraum“  sowie im Lied „Rast“, in dem der Erschöpfungszustand des Wanderers von der stetigen antreibenden Kraft des Klavierparts konterkariert wird, erahnen.

Julius Drake am Klavier ist ein souveräner Partner, seine Vor- und Nachspiele sind fabelhaft moderiert; auch wenn er „nur begleitet“, tut er dies mit größtem Einfühlungsvermögen und arbeitet in jedem Stück die jeweils eigewillige Gestalt des Klavierparts vortrefflich heraus. Dass er dabei manchmal die Sängerin zuzudecken droht, liegt nicht an ihm, sondern ist allein der ungenügenden Stimmgebung der Gesangsstimme zuzuschreiben. Der Applaus war freundlich und nach vier Minuten aus. Viele Fragen blieben offen.

Was bleibt: Die Hoffnung, Schuberts Winterreise mit der Kirchschlager demnächst an einem guten Tag erleben zu können. Das wird dann ein wahres Fest sein!

12.10.2018

 

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