Wien/ Staatsoper: 09.05.2014 – ANDREA CHENIER
Wenn ein Láng zum „Ansagen“ vor den Vorhang tritt, bedeutet das üblicherweise nichts Gutes. Gestern erlebten wir erstmals eine erfreuliche Ansage: „Norma Fantini sei wieder gesund und im Vollbesitz ihrer Kräfte – sie werde ohne Schonung die dritte und letzte Vorstellung der Serie wie geplant singen“ – und das tat sie dann auch!
Der warme und trotzdem leuchtende Sopran, die liebevoll gestalteten Bögen und und die absolut authentische Darstellung zeigen, dass die Maddalena di Coigny eine Paraderolle „der Fantini“ ist. Kleine Ungenauigkeiten in der Höhe wollen wir – weil sonst unüblich – auf die zu kurze Regeneration zurückführen.
Keinerlei Erklärungsversuche dieser Art sind beim „Stimmkraftwerk“ Johan Botha nötig. Die Souveränität, die Schönheit und die Ausdruckskraft, mit der er den Andrea Chenier singt, sind einzigartig und prägen den Opernabend. Der frenetische Jubel nach den Arien und am Schluß war hochverdient und zeigte die Begeisterungsfähigkeit des Wiener Publikums bei herausragenden Leistungen. Es ist zu befürchten, dass die gleiche Euphorie bei der nächsten „Andrea Chenier Serie“ nicht erreicht wird!
Ähnliche Begeisterungsstürme kann Anthony Michaels-Moore als Carlo Gerard nicht entfachen – sein vibratoreicher Bariton klingt angestrengt und uninspiriert: richtig aber nicht wirklich schön.
Der warme, gut entwickelte Bariton von Boaz Daniel verkörpert als Roucher das genaue Gegenteil – es wurden Spekulationen laut, ob ein Austausch der Baritone nicht zu einem besseren Gesamtergebnis führte?
Die Contessa di Coigny ist bei Aura Twarowska in besten Händen. Gesanglich problemlos meistert sie auch darstellerisch die etwas zwiespältige Figur der Gräfin, die ernsthaft und ohne Zynismus meint, dass ihr mit der Bestellung etwas schlichterer Garderobe eine menschliche Großtat gelungen sei. Am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala steht die alte Madelon, die von Monika Bohinec ausdrucksvoll und schön gesungen wurde – dass ihre Stimme zu jung wirkt, stört etwas – kann man ihr aber natürlich nicht zum Vorwurf machen.
Sehr erfreulich klingt Norbert Ernst als Incroyable. Diese Partie liegt ihm – im Gegensatz zum „Rosenkavalier – Sänger“ sehr gut in der Kehle und lässt seinen klaren, technisch guten Tenor viel besser zur Geltung kommen.
Das neue Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper singt und spielte wieder den „Sramek“. Wenn in ferner Zukunft ein anderer den Mathieu spielt, werden wir die Rolle wahrscheinlich nicht mehr wiedererkennen – und das ist nicht etwas, worauf wir uns freuen.
Dass die kleinen, aus dem Ensemble besetzten Rollen pauschal gelobt werden können, war in den letzten Wochen nicht immer möglich. Deshalb ist es erfreulich, dass scheinbar diesbezüglich wieder Normalität = Qualität einkehrt. Das ist Alisa Kolosova (Bersi), Mihail Dogotari (Pietro Fleville), Alexandru Moisiuc (Frouquier Tinville), Peter Jelosits (Abbe), Marcus Pelz (Haushofmeister), Il Hong (Dumas) und Janusz Monarcha (Schmidt) zu danken.
Paolo Carignani führte das Staatsopernorchester zu einem temperamentvollen, veristischen Klang mit perfekten Soli und guter Sängerbegleitung. Der Staatsopernchor (diesmal besonders die Damen) setzte wieder hörenswerte Höhepunkte.
Die Otto Schenk Inszenierung, die auf uns heute schon etwas „zu realistisch“ wirkt, beweist, dass sie immer noch sehr gut funktioniert und sollte – im Lichte der letzten „Erneuerungen“ – mit Zähnen und Klauen verteidigt werden.
Maria und Johann Jahnas