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WIEN / Staatsoper: ANDREA CHÈNIER

30.04.2018 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
ANDREA CHÈNIER von Umberto Giordano
110.
Aufführung in dieser Inszenierung
29.
April 2018

Ruhm. Erwartung. Leistung.

Zuerst ist da der Ruhm. Zweifellos hart erarbeitet (umsonst gibt es ihn nicht) und dann von den Medien bestärkt, von den Fans zementiert.
Daran knüpft sich die Erwartung. Man merkt es dem Publikum genau an. Zu „normalen“ Vorstellungen mag es sich routiniert, sogar lustlos zu schleppen. Wenn Jonas Kaufmann, der sich in Wien so rar macht, den Chenier singt, dann brodelt es geradezu unter den Zuschauern, die Spannung ist spürbar. Wer hier dabei ist, will es sein, hat womöglich viel Mühe und Geld aufgewendet. Dass es schon die dritte (und vorletzte) Aufführung der Serie ist, merkte man nur daran, dass es kurz vor Beginn noch Balkon- und Galeriestehplätze gab. Oder vielleicht hat es mancher bequemer gefunden, die „Nahversion“ per Stream oder Fernsehen zu genießen. Auch vor dem Haus, „am Platz“, war man sehr gut besucht (war ja auch ein milder Abend).
Letztendlich geht es um die Leistung, wobei man sich nur wundern kann, wie die A-Klasse-Künstler die Spannung, die sich an ihre Auftreten knüpfen, überhaupt bewältigen können. Und was geschieht, wenn sie nicht ihren besten Abend haben wie Jonas Kaufmann diesmal? Keine der vier Tenor-Arien zündete, und interessanterweise ist auch ein Wiener Fan-Publikum versiert genug, um wahre Erfolge (die Gerard-Arie, die Maddalena-Arie) weit mehr und ehrlich stürmisch zu beklatschen als den Tenor, um dessentwegen man gekommen ist. Und dennoch – der Jubel, Jubel, Jubel am Ende. Weil man sich die Freude an „seinem“ Star auch von einer schlechteren Abendverfassung nicht vergällen lassen will… Wie viele Widersprüche doch im Kopf von Opernbesuchern Platz haben!

Aber im Detail. Auf Umwegen – die Londoner Aufführung im Kino oder auf DVD, die Münchner Aufführung im Stream – hat man den Andrea Chénier des Jonas Kaufmann ja schon gesehen und weiß, dass das eine sehr gute Rolle für ihn ist, nicht zuletzt, weil seine Technik mit allen Ansprüchen zurecht kommt. Vielleicht hätte er sich „ansagen“ lassen, hätte das nicht schon die Kollegin getan – zwei angeschlagene Sänger wären zu viel gewesen (man stelle sich das Raunen des Publikums vor). Aber Kaufmann war nicht sein oft so strahlendes Selbst: Keine Sekunde lang klang er wie ein Tenor, der aus dem Vollen schöpfen kann, immer hörte man die schwere Arbeit, die hinter dem Abliefern seines Parts stand. Da gab es Lücken und Schwächen. Allerdings kann er sich (wenn er auch kein so gnadenloser „Höhenkönig“ ist wie Florez) auf seine Spitzentöne verlassen – und die sind es, die dann (allerdings war es im Duett mit Maddalena) den krönenden Effekt setzen. Dennoch: Die gesangliche Leistung entsprach weder dem Ruhm noch der Erwartung.

Der Mann, der da auf der Bühne stand, überzeugte jedoch – nicht nur durch die Disziplin, mit bald 50 noch so auszusehen (in optischen Zeiten nicht unwichtig). Er kennt sich aus mit dem Dichter, den er darstellt, der gelangweilt und leicht ennuyiert im Salon der Reichen gar nicht zuhause ist, der dann durchaus von der Revolution enttäuscht ist, dem man die Liebe zu Maddalena di Coigny jede Sekunde glaubt, der vor dem Revolutionstribunal empört seine Ehre verteidigt – und mit stürmischen Umarmungen (da spürt man, wie zwischen diesen beiden Sängern die Chemie stimmt) in den gemeinsamen Liebestod geht. Kurz, dieser Sänger weiß als Schauspieler, was er tut, und weil „Andrea Chenier“ eine verdammt gute Oper ist und Kaufmann in seiner „Traumpaar“-Partnerin Anja Harteros die ideale Mitspielerin hatte, konnte er einen Teil des Jubels zurecht einheimsen.

Anja Harteros ließ sich entschuldigen, und nach ihren ersten Tönen musste man fürchten, dass es nicht klug war, trotz schwerer Verkühlung und Kreislaufproblemen zu singen. Es dauerte auch einige Zeit, bis sie stimmlich auf gleich kam, aber schon das erste Duett mit Chenier und gar dann die Arie zeigten die Sängerin auf der vollen, uneingeschränkten Höhe ihrer Fähigkeiten. Das ist eine blühende, des innigsten Ausdrucks fähige Stimme, wie Kaufmann technisch hervorragend – und wenn die beiden zusammen ihre Spitzentöne schmetterten, dann war das ein Begeisterungsfanal. Wenn man es genau bedenkt, singt sich (außer Aida und Radames) wohl kein Liebespaar der Opernliteratur unisono schöner in den Tod.

Auch ist Anja Harteros (wer redet immer wieder von ihrer „Distanziertheit“ und sie „berühre“ nicht?), obwohl eine reife Frau, schon als die junge Maddalena des ersten Akts bezaubernd und wandelt sich großartig zur Verzweifelten (für Aristokraten war das Leben in der Französischen Revolution ja nicht gerade lustig), zur Kämpfenden Gerard gegenüber, zur Liebenden, die den Tod nicht fürchtet. Ja, sie und Kaufmann – ein Traumpaar, sie haben es oft genug bewiesen, so auch hier.

Der Carlo Gérard ist immer eine große Rolle, wenn man ihn halbwegs interpretiert, zuerst der Empörer gegen ein feudales System, das er verachtet, dann als „Funktionär“ der Revolution ein Mann, der selbst nicht begreift (und sich verzeihen kann), wo sein Idealismus geblieben ist, wenn er seine Hände an den Todesurteilen blutig macht – und der von seiner Liebe zu Maddalena und seinem Anstand hin und her gerissen wird. Roberto Frontali singt das stark, überzeugend, die große Arie nicht nur ein Bariton-Virtuosenstück, sondern Ausdruck einer gequälten Seele: Da reagierte das Publikum zu Recht stürmisch.

„Andrea Chenier“ überbordet an Nebenrollen, das Ensemble bewältigt sie mehr oder weniger gut, und dass Zoryana Kushpler als alte Madelon herausragte, überrascht nicht, diese Szene ist einfach zu großartig, die geht immer unter die Haut. Der Chor zeigte wieder einmal, was er kann.

Auch der Mann des Abends war Marco Armiliato, der seine Italiener im kleinen Finger hat, um ihre Finessen ebenso weißt wie um ihre Wirkungen – so, wie er das Finale steigerte, forderte er den Jubel des Publikums, der sich prompt einstellte, nur so heraus.

Die Inszenierung von Otto Schenk, deren 110. Aufführung man sah, stammt vom 30. April 1981, ist also fast auf den Tag genau 37 Jahre alt. Placido Domingo sang bei der Premiere die Titelrolle, später hörte man Carreras, Pavarotti (auch er hatte damals nicht den besten Abend), auch Bonisolli, Cura, Botha in der Rolle. Regietheaterfreunde werden Schenks Arbeit als Plunder bezeichnen – tatsächlich bietet sie einen intelligenten „Spiel-Raum“, in dem sowohl ein Werk sich ungestört entfalten kann wie Sänger ihren „Mittelpunkt“ zugestanden bekommen, um ihre bestmögliche Wirkung zu erzielen. So freundlich ist man zu den armen Interpreten nur noch selten.

Und so, wie (nach Nestroy) man sich den Aberglauben von keiner Aufklärung rauben lässt, so wollen die Fans (und viele sind herbeigereist!) einen großen Kaufmann-Abend gesehen haben. Ja, und bei allen Einwänden – ein schöner, spannender „Andrea Chenier“ war es allemale. Man darf nicht unbescheiden sein.

Renate Wagner

 

 

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