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WIEN / Scala: TSCHECHOW IN JALTA

06.05.2017 | KRITIKEN, Theater

Tschechow-in-Jalta-Szene alle~1
Fotos: Bettina Frenzel

WIEN / Scala:
TSCHECHOW IN JALTA von John Driver und Jeffrey Haddow
Österreichische Erstaufführung
Premiere: Samstag, 22. April 2017,
besucht wurde die Vorstellung am 5. Mai 2017

Das Theater Scala in der Wiedner Hauptstraße hat im Februar eine besonders schöne Aufführung von Anton Tschechows „Onkel Wanja“ gezeigt. Quasi zum Drüberstreuen durfte dasselbe Leading Team mit dreien der Darsteller von damals und einer weiteren Handvoll exzellenter Schauspieler nun ein sehr schönes Stück über Tschechow realisieren, das – so weit man biographisch informiert ist – der realen Situation in den Jahren vor seinem Tod sehr nahe kommt. Und seiner Person vielleicht auch.

Geschrieben wurde „Tschechow in Jalta“ (übrigens schon vor Jahrzehnten) von John Driver und Jeffrey Haddow, ursprünglich zwei Schauspieler, die sich zu einem erfolgreichen Autorenteam zusammen fanden. Sie haben nicht nur penibel historisch, sondern auch sensibel im Sinn des Dichters gearbeitet: Einerseits wird die Situation im Jahre 1900 in Jalta nachgezeichnet, als die Mitglieder des Moskauer Künstlertheaters auf Tournee in Tschechows Haus am Meer „einfielen“, andererseits werden immer wieder Szenen und Situationen aus Tschechows Stücken paraphrasiert. Das ist ein liebevolles Stück Theater, das den Dichter ehrt, aber nicht nur bierernst biographisch korrekt, sondern quasi mit einem Lächeln verfährt – ganz in seinem Sinn.

Denn auch Tschechow bestand bekanntlich darauf, dass seine Stücke, die man nur als Tragödien empfinden kann, als Komödien verstanden werden sollten (gegen die Aufführungen von Stanislawski hat er immer protestiert) – und wenn man hier weiß, dass er in diesem Jahr 1900 noch gerade vier Lebensjahre vor sich hattre, dann endet der Abend doch mit dem Hoffnungsschimmer persönlichen Glücks: Wie man weiß, hat Tschechow die Schauspielerin Olga Knipper ja doch geheiratet, und sie war, wie versprochen, bei ihm, als er am 15. Juli 1904 in Badenweiler starb…

1900 in Jalta war Tschechow, der bereits über ein Jahrzehnt an der Familienkrankheit Tuberkulose litt, bereits sehr krank. Immerhin hatte er noch sein Stück „Drei Schwestern“ geschrieben, auf das sowohl der große Regie-und Darstellerstar des Moskauer Künstlertheaters, Konstantin Stanislawski, wie auch sein geschäftlicher Direktor Wladimir Nemirowitsch-Dantschenko dringend warteten. Bevor diese beiden aber mit vier Schauspielern auftauchen, wird die Situation in Jalta humorvoll ausgemalt – mit einem nicht sehr eifrigen Dienstmädchen (aus dessen Schauspielerinnen-Ambitionen später einige Pointen geschlagen werden), mit der geplagten, um Anton eifersüchtig besorgten Schwester sowie den Dichterkollegen Maxim Gorki und Iwan Bunin (heute am wenigsten bekannt, und doch bekam er 1933 – und noch dazu als erster Russe – für seine sozialkritische Prosa den Nobelpreis für Literatur).

Tschechow-in-Jalta~ Drei Dichter
Gorki, Tschechow, Bunin…

Ja, und dann kommen sie – Stanislawski, der eitle, selbstbezogene Pfau, der gelassene Nemirowitsch, der dennoch nebenbei eine Romanze mit Stanislawskis vernachlässigter Gattin Lilina pflegt, die beiden Schauspieler Luschki und Moskvin – und Olga Knipper, der Star des Hauses, Tschechows Geliebte, der es bei diesem Aufenthalt gelingt, die Beziehung endlich auf definitive Füße zu stellen.

Es sind humorvolle Charakterstudien, die hier entwickelt werden, es gibt nicht allzu viel Handlung (was man im allgemeinen ja auch Tschechows Stücken nachsagt, obwohl es nicht stimmt), aber viel Gefühl für die Stimmung dieser Tage – Tschechows Welt eben.

Er selbst steht locker und distanziert im Mittelpunkt der ungemein theatergerechten Inszenierung von Rüdiger Hentzschel (der sich auch ein stimmiges, atmosphärisches Bühnenbild „mit Meerblick“ geschaffen hat): Dirk Warme, der schon ein idealer Onkel Wanja war, ist ebenso der ideale Tschechow, Meisterverdränger der eigenen Todeskrankheit, milder Beobachter einer Mitwelt, die ihm durchaus auch auf die Nerven geht – was er dann doch auch immer wieder merken lässt.

Monica Anna Cammerlander spielt die liebende Olga Knipper quasi als Traumgeschöpf, während Birgit Linauer als seine hektische Schwester Mascha stärkere Akzente setzen darf, gleicherweise in ihrer unglücklichen Liebe zu Bunin wie in ihren Positionskämpfen als Frau des Hauses und Hüterin des Bruders. Sonja Kreibich, fast versteckt unter einer Riesenperücke, spielt amüsant eine vernachlässigte Gattin, die dann auch vom Liebhaber enttäuscht wird, Samantha Steppan ist das Komödien-Dienstmädchen aus dem Bilderbuch.

Rainer Doppler, in der „Onkel Wanja“-Aufführung der Astrow, verströmt als Theaterdirektor Nemirowitsch angenehme Souveränität (vermutlich kann man nur mit Gelassenheit einen Theaterbetrieb managen), neben dem Kollege Stanislawski in Gestalt von Randolf Destaller seine vergnüglichen Eitelkeits-Orgien abzieht.

Erstaunlich gut ist Florian Graf die optische Ähnlichkeit mit Maxim Gorki gelungen, der den nicht ganz ehrlichen Salonkommunisten zelebriert, während Hendrik Winkler als Bunin ein von Kopf bis Fuß sympathischer Gentleman ist. Florian Lebek und Max G. Fischnaller setzen als Schauspieler des Moskauer Ensembles immer wieder kleine amüsante Farbtupfen.

Es ist ein wohl ausgewogener Abend, der allen anempfohlen wird, die Tschechow lieben. Und wer würde das nicht?

Renate Wagner

Weitere Vorstellungen: 06.05., 09.03.-13.05., 16.05.-18.05.2017, jeweils um 19:45 Uhr

 

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