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WIEN / Scala: TROILUS UND CRESSIDA

11.01.2019 | KRITIKEN, Theater


Foto: Bettina Frenzel

WIEN / Scala:
TROILUS UND CRESSIDA von William Shakespeare
Premiere: 10. Jänner 2019

Bruno Max, Intendant des Theaters Scala und oftmals sein eigener Regisseur, vermerkt im Programmheft richtig, dass „Troilus und Cressida“ zu den am wenigsten gespielten Shakespeare-Stücken zählt. Und das ist eigentlich auch verständlich – denn im Grunde ist es ziemlich reizlos. Es ist ein Stück vom Krieg, der das Geschehen gänzlich dominiert, wobei es schon bei Shakespeare um Helden-Demaskierung mit starkem Verhöhnungsfaktor geht. Und mitten drin blüht kurz eine Liebesgeschichte, die sich bald als entsetzlich traurig herausstellt. Kurz, ein Werk, das es niemandem leicht macht.

Bruno Max stellt es in die Scala, und er drückt sich vor gar nichts, auch nicht vor der Personenfülle: zwei Damen und 14 Herren, viele von ihnen in mehreren Rollen, füllen den verhältnismäßig kleinen Spielraum total, den Bruno Max und Marcus Ganser diesmal sogar mit einer Drehbühne ausgestattet haben. Das ermöglicht nicht nur schnellen Schauplatzwechsel, sondern erleichtert dem Betrachter die nicht ganz einfache Orientierung durch die herumwurlenden Menschenmassen hier und dort – ist man vor einer großen Wand, dann befindet man sich im Palast von Troja, dreht sich eine freie Fläche herbei, dann ist man bei den Griechen, die Troja schon das siebente Jahr belagern… Gekleidet wurden die Herrschaften von Alexandra Fitzinger in Kampfanzüge von heute.

Krieg, wie gesagt, und Bruno Max wagt auch (mit Hilfe von Licht und Rauch) die Schlachtenszenen, ohne dass sie ihm lächerlich würden, und das ist gar nicht so einfach. Denn wenn zuvor auch an den „Helden“ herumgezupft wurde und Achill und Ajax etwa als lächerlich-eitle Popanze erschienen, so wird das Stück doch ganz ernst, wenn es ans Sterben geht, zumal Shakespeare wenigstens dem Trojaner-Prinzen Hector seinen Heldenumriß belassen hat. Und auch seine Brüder Paris und Troilus sowie Held Aeneas (ja, jener, der aus Troja entkam und Rom gründete und dazwischen in der „Trojaner“-Oper von Berlioz gelandet ist…) sind eigentlich ganz vernünftige, anständige Leute. Es sind eher die Griechen, die Shakespeare durch Sonne und Mond jagt… und die Aufführung tut es auch.

Wobei Bruno Max kein entfesseltes Blödeltheater anzettelt (wie es etwa Stefan Bachmann bei den Salzburger Festspielen 1998 getan hat oder, auf andere Art exzessiv, Luc Perceval in den Münchner Kammerspielen, bei uns 2008 zu den Festwochen zu sehen), sondern die Parodie im Zaum hält. Immerhin, Georg Kusztrich (der auch einen müden Priamus spielt) ist ein hinreichend alberner Agamemnon, Max Spielmann der dümmliche Ajax, Jürgen Hirsch Achilles als beleidigte Primadonna (und der Odysseus des Alexander Rossi hätte schon in ein paar Farben mehr schillern können). Als Thersites fährt Leonhard Srajer beinlos im Rollstuhl herum und veranstaltet Heckmeck (und darf dann, nicht zu erkennen, auch Prinz Paris sein).

Bessere Figur machen die Trojaner, voran der hier geradlinig stark gezeichnete Hector des András Sosko, der aufrechte Aeneas des Leopold Selinger. Der Kuppler Pandarus ist alles andere als ein Edelcharakter, aber eine Prachtrolle, die Hermann J. Kogler entsprechend nützt.

Ja, und Prinz Troilus – der kann, wenn er Pech hat, blaß im Geschehen untergehen. Keine Spur bei dem so nachdrücklich präsenten, jungen, zugleich schüchternen und starken Thomas Marchart, der sich mit seiner Cressida eine hinreißende, stellenweise atemberaubende Liebesszene liefert, bevor er ihr dabei zusieht, wie sie ihn bei erster Gelegenheit betrügt. Es wurde immer wieder moniert (zu Recht), dass Shakespeare diese schwankende Frauengestalt nicht ausreichend motiviert hat – wie konnte sie ihn nur betrügen?

Samantha Steppan ist die persönlichkeitsstarke, innerlich unsichere und später so berechnende Cressida, und sie spielt auch – im Stil einer Halbverrückten – die Cassandra. Wüsste man es nicht, man würde zwei Darstellerinnen vermuten. Das stimmt auch in noch höherem Ausmaß für die brillante Johanna Rehm – die stets leicht beschickerte schöne Helena da (die Peinlichkeit am trojanischen Königshof), die so sehr um ihren Gatten Hector bangende Andromache dort: Wie gesagt, zwei gänzlich verschiedene Frauen, als würden sie nicht von einer Schauspielerin verkörpert.

Am Ende ist viel Krieg und traurige Liebe, ist grimmiger Humor und menschliches Elend so packend geworden, dass man wieder weiß: Shakespeare lohnt sich immer, auch in seinen – vielleicht? – schwächeren Stücken.

Renate Wagner

 

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