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WIEN / Scala: TARTUFFE

07.04.2018 | KRITIKEN, Theater


Foto: Bettina Frenzel

WIEN / Scala:
TARTUFFE von Molière
Premiere: 7. April 2018

Der „Tartuffe“ des Molière ist eine der berühmtesten Komödien der Weltliteratur, und das zu Recht: Man muss nur bedenken, von wie vielen Seiten man an das alte Stück (sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts!) herangehen kann. Da ist der Titelheld selbst, der sich in Guru-Pose an Menschen heranschleicht und ihnen den Verstand vernebelt – soll vorkommen, aller Orten und zu allen Zeiten. Aber ist Orgon, der „Besessene“, nicht noch interessanter, einer, der so von seiner neuen Überzeugung durchdrungen ist, dass Vernunft einfach nicht mehr greift? Auch das soll es geben. Gestrig ist das gar nicht.

Aber – ist das nicht einfach auch eine tolle Posse? Eben. Und so legt Marcus Ganser in der Scala das Stück an. Nicht, dass die Psychologie zu kurz käme, wenn sie sich auch vor allem auf Orgon zuspitzt, während die anderen auf die schrillen Typen zurückgeführt werden, die sie ja auch sind. Vor allem lässt der Regisseur entfesseltes Theater machen, wobei er auf eine (nicht genannte – darf man das?) Übersetzung in gereimten Alexandrinern zurückgreift (sie ist zu gut, um Laien-Arbeit zu sein) und schon damit die wunderbare Künstlichkeit der Geschichte zelebriert. Da wird der Text genussvoll und dennoch blitzschnell abgeliefert, ob die dumme alte Madame Pernelle ihre Pointen bekommt oder das immer dominierende Dienstmädchen Dorine. Das funkelt.

Und es hat von Ganser eine heutige Nonsense-Dekoration bekommen, denn warum sollte man Tartuffe in einem (auf die Bühne gebauten) Zuschauerraum mit Klappsessel-Reihen spielen, durch den ein gelber Steg führt??? Macht anfangs gar keinen Sinn, lässt sich aber, wie sich zeigt, blendend bespielen. Für den Jux, den sie sich machen. Ganz heutig in überzogenen Kostümen (Alexandra Fitzinger), mit Handys, Motorrad und Joints. Als „Aussage“ ist das allerdings nicht gemeint – nur als Freude am Theater.

Immerhin, da ist ja noch Georg Kusztrich: Der ist ein viel zu guter Schauspieler, um sich den Orgon entgehen zu lassen. Das Problem, vor das Molière den Darsteller und die Zuschauer stellt, besteht darin, dass dieser – als fait accompli – schon von Tartuffe besessen ist, wenn er auftritt, wir wissen nicht, wie es dazu gekommen ist. Aber damit muss man leben. Unser letzter Wiener Orgon war 2013 im Akademietheater (in der Regie von Luc Bondy und neben einem überraschend blassen Joachim Meyerhoff als Tartuffe) Gert Voss – ein verhaltener Mann, von tiefer Liebe zu dem Schurken erfüllt, bis zuletzt. Eine Tragödie inmitten der Komödie. Georg Kusztrich spielt ganz wunderbar die Komödie – den Sturen, den Verbohrten, den Dummen auch, am Ende dann den Entfesselten. Das ist Komödiantik und doch eine Charakterstudie.

Mit dem Tartuffe tut man sich schwer. Bondy hatte dessen Macht damals auf Religion gepolt. Hier weiß man nicht recht, wie Alexander Rossi es macht, weil er ein gar so braver Bürger ist – nichts bringt ihn von dieser Ausstrahlung ab, selbst wenn er in Unterwäsche dasteht oder sich (mäßig) darauf freut, zwischen den Beinen von Orgons Frau zu landen. Der Mann ist zu solide. Ein bisschen schillern müsste er schon, damit man ihm den (ja, letztlich diabolischen) Einfluß glaubt, den er auf Menschen hat…

Wie immer beeindruckt die Scala durch ihr Ensemble, aus dem wieder einmal Fixstern Christina Saginth herausragt: Aber die immer gescheite, immer wortgewandte Dorine ist eine zu gute Rolle, die verführt geradezu zur Brillanz (wenn man es kann). Margot Ganser-Skofic als Tartuffe verfallene Mutter Orgons zankt und zankt und zankt, was es das Zeug hält. Und Eszter Hollósi als Gattin, die diesen Heuchler endlich zu Fall bringen will, ist sehr witzig dabei. Ebenso wie alle anderen.

Am Ende hat einst der König als Deus ex machina für Ordnung gesorgt. Ganser glaubt – er lässt das Stück ja doch in der Gegenwart spielen – nicht an das Happyend. Da ist es dann gut, wenn Tartuffe wie ein total glatter Politiker wirkt – wenn er zwar abgeführt wurde, aber ganz schnell wiederkommt. Und die anderen, die wie paralysiert dasitzen, schon wieder in die Tasche steckt.

Renate Wagner

 

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