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WIEN / Scala: ORLANDO

17.05.2014 | Theater

orlando-und die Queen
Alle Fotos © Bettina Frenzel

WIEN / Scala:
ORLANDO nach dem Roman von Virginia Woolf
Für die Bühne nacherzählt von Marcus Ganser
Premiere: 17. Mai 2014

„Orlando“ von Virginia Woolf, 1928 veröffentlicht, gilt als funkelndes Stück Literatur, das die Geschlechterrolle hinterfragt und, wie man als biographischen Hinweis immer wieder erfährt, ihrer höchst geliebten Freundin Vita Sackville-West gewidmet war, einer androgynen Lesbe, mit der auch die Woolf eine Beziehung unterhielt. Das ist für die Nachwelt nicht mehr so sonderlich relevant.

Nimmt man „Orlando“ heute in die Hand, hat es den Anschein, die Woolf habe hier ein Stück „Fantasy“ geschrieben, die weder erklären muss, warum ihre Heldin von der Elisabethanischen Zeit bis in die Gegenwart in unzerstörbarer Jugendlichkeit lebt, noch für die seltsame Tatsache rational einstehen muss, dass der junge Mann Orlando eines Tages (in Konstantinopel übrigens) als Frau erwacht.

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Dass ein Mann, der sich plötzlich als Frau in der Welt findet, sich über das Rollenverhalten des anderen Geschlechts nur wundern kann, zählt zu den kostbarsten Reflexikonen dieses Buches, das mit Ironie so viel bringt – von der Kontinuität des englischen Adels über den Wandel der Gesellschaft (und des Wetters) bis zur Satire auf die Welt der Literatur.

„Orlando“ ist für viele, die lieber nicht lesen (und Virginia Woolf ist nie einfache Lektüre), durch den Film von Sally Potter bekannt geworden, in dem Tilda Swinton 1992 die Hauptrolle spielte. Aber auch im Wiener Theaterleben war „Orlando“ mehrfach zu Gast, 1994 bei Helga David, 2005 im Vestibül des Burgtheaters, wo Sylvia Haider die Geschichte als Beinahe-Monolog präsentierte.

Marcus Ganser hingegen hat für die Scala ein „echtes“ Theaterstück daraus gemacht, und das ist eine kunstvolle Leistung. Rund um Orlando (die schlechtweg brillante, souveräne Johanna Withalm) agieren fünf Darsteller, vier Herren, eine Dame, nicht nur in allen benötigten Rollen, sondern verweisen auch als gleichsam „choreographisch“ geführtes Kollektiv auf eine Theaterkunst, die wir einst von den Tschechen gelernt haben. Dazu braucht es einen neutralen Bühnenraum (Walter Vogelweider), der mit einer geschwungenen Wand im Hintergrund den Herrschaften auch Kletter- und Rutschkünste abverlangt, die sie geradezu geschmeidig absolvieren (und sind doch nicht durchwegs die Jüngsten).

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Jeder von ihnen hat seinen „Sonderauftritt“, Hermann J. Kogler als Queen Elizabeth I. oder auch als Poet Pope, Matthias Kofler als der Mann, der Orlando schließlich die Liebe lehrt, Christian Kainradl in der vernichtenden Studie des Dichters Mr. Green und Randolf Destaller als köstliche Parodie einer Erzherzogin. Johanna Rehn macht die russische Adelige Sascha zu einem ebenso reizvollen wie hintergründigen Geschöpf, und, wie gesagt, im übrigen ist jeder jeder, wie man sie halt benötigt.

Dabei ist es Ganser gelungen, den Abend nicht nur höchst unterhaltend ablaufen zu lassen, sondern immer punktgenau zu den wesentlichen Elementen des Romans vorzudringen. Das ist ein „Readers Digest“, wie es selten gelingt, und wenn die Geschichte am Ende zu holpern beginnt, ist es nicht seine Schuld – man weiß, dass Virginia Woolf, die sich am Hof von Elizabeth I. so wohl fühlte, zum 18. Jahrhundert so viel zu sagen hatte, zum 19. auch noch (dessen Stickigkeit sie brillant schildert), ihrerseits immer unsicherer wurde, je näher das Buch in die Gegenwart kommt. Zwischen Buchseiten und auf der Bühne stehen Orlando die historischen Gewänder besser als das Kleiderfähnchen von heute…

Das Publikum war gespannt, interessiert, über die Maßen angetan. Tatsächlich wird man von Regie und Interpreten her derzeit in Wien nicht viele ähnlich gelungene Theaterabende finden.

Renate Wagner

Termine: 20.-24., 27.-30. Mai 2014 jeweils um 19:45

 

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