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WIEN / Scala: KASIMIR UND KAROLINE

05.10.2012 | Theater

WIEN / Scala:
KASIMIR UND KAROLINE von Ödön von Horváth
Premiere: 29. September 2012,
besucht wurde die Vorstellung am 5. Oktober 2012

Die Theaterstadt Wien hat zwar mit der tätigen Hilfe von Herrschaften wie Herr Mailath-Pokorny ihr Angebot einigermaßen abgebaut, dennoch ist es immer noch größer als in den meisten vergleichbaren Großstädten. In den Opernhäusern kommt es – seit die Direktoren der Volksoper seltsamen Ehrgeiz hegen – zu allerlei Doubletten, ob Tosca oder Salome, beide Häuser spielen das Werk. In den Theatern passiert das selten, aber es gibt Präzedenzfälle. In der vorigen Saison hatten Burgtheater und Josefstadt Schnitzlers „Das weite Land“ zur gleichen Zeit am Spielplan. Heuer eröffnete die Josefstadt mit Horvaths „Kasimir und Karoline“. Wenig später brachte dieScala Horvaths „Kasimir und Karoline“ heraus. Wer gerne vergleicht (aber das ist wohl eher Kritiker-Gewohnheit als die des „normalen“ Theaterbesuchers), kann hier zwei grundsätzlich verschiedene Zugänge zu dem Dichter festmachen.

Scala-Hausherr Bruno Max, diesmal nur Ausstatter, hat optisch zugeschlagen: Die Bühne ist mit Schotterboden weit in den Zuschauerraum hinein gezogen, überall jene Holztische, die man beim Oktoberfest kennt, ein Teil der Zuschauer darf auch hier Platz nehmen. Eine Kellnerin schleppt die riesigen Bierhumpen herum, und Leopold Selinger steht an einem Keyboard und sorgt mit billigen, schlüpfrigen Liedern für „Unterhaltung“ – es ist nicht die volle Süffigkeit des Oktoberfests, die hier beschworen und ausgespielt wird, aber die „Wies’n“ ist das Ambiente, wie bei Horvath vorgesehen. So schlicht und spartanisch wie die Holztische läuft auch das Geschehen ab – und es geht in der Inszenierung von Peter M. Preissler um echte Menschen, nicht um künstliche Marionetten. Wie viele Möglichkeiten sie zu sehen und sie zu betrachten den Horvath’schen Gestalten innewohnt, ermißt man an den Nuancen, die der Abend ihnen abgewinnt. Dafür verzichtet die auf eineinhalb pausenlose Stunden scharf gekürzte Aufführung auf vieles, nicht nur auf den Zeppelin: Den großen Rummel braucht man aber auch nicht, wenn es um die Menschen geht, die übrigens die Kunstsprache des Dichters mit aller Selbstverständlichkeit zur Alltagssprache umformen.

Da ist der sehr junge Kasimir von Abraham Thill: Es ist nicht der große Zorn, der ihm innewohnt, sondern eher eine Hoffnungslosigkeit, die in ihrer Traurigkeit berührt. Keine Arbeit, kein Geld – die Folge ist: keine Frau, keine Aussicht auf die Zukunft, null Bock. Auf stille Art störrisch und schon vom Leben sehr verletzt.

Da ist die Karoline von Sandra Knoll, die nicht wie sonst vor hektischer Lebenserwartung platzt und daher von einer Fehlentscheidung in die nächste taumelt: Auch sie ist ein Opfer der traurigen, aussichtslosen Welt, in der sie lebt, und wenn sie am Ende von dem penetrant entschlossenen Schürzinger (Florian Graf) abgeschleppt wird, so hat man volles Mitleid mit ihr (während die schrille Karoline der Katharina Straßer in der Josefstadt die Anteilnahme des Publikums vergeblich gesucht hat).

Die oft so verschüchterte Erna des Merkl Franz ist in dieser Inszenierung älter und entschlossener besetzt: Christina Saginth ist absolut kein Opfer, sie lässt den Merkl Franz (heftig, aber am Rande bleibend: Clemens Berndorff) ohne besondere Emotion gehen und angelt sich umweglos, als bewussten Akt, den Kasimir: Mann ist Mann, und da herrscht gar keine Poesie. Eine entschieden ungewöhnliche psychologische Gewichtung.

Glänzend die alten Lebemänner, Franz Weichenberger und vor allem Peter Faerber: Allerdings überdrehen sie die sexuelle Gier und finanzielle Überheblichkeit nicht (wie es in Inszenierungen im allgemeinen gern ausgestellt wird), und trotzdem ist der Egoismus der Reichen, die alles zu kaufen gewöhnt sind, in seiner ganzen Hässlichkeit präsent. Exzellent zwei dürre, zappelnde Nutten, die kleine Schicksale haben (Nina Twerdy und Isabella Mach), und Birgit Wolf schafft es, dass man ihr Beachtung schenkt, wenn sie serviert und den Dreck putzt, den andere verursachen.

Am Ende hat man eine Fülle von Menschen gesehen, an denen man Anteil nimmt, und ganz gewiss das Stück von Horvath. In der Josefstadt war es eine grelle Inszenierung mit der festen Entschlossenheit, auf sich aufmerksam zu machen. Die Wahl, was einem selbst eher entspricht, steht jedem Theaterbesucher frei. Horvath allerdings kam in der Scalamit Sicherheit nachdrücklicher zu Wort.

Renate Wagner

 

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