Foto: Bettina Frenzel
WIEN / Scala:
DER FALL FURTWÄNGLER von Ronald Harwood
Premiere: 31. Oktober 2013,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 5. November 2013
Der Fall der „Nazi-Künstler“ lässt uns nicht ruhen, läuft uns immer wieder vor die Beine, hat auch im Alltag von heute noch Folgen, wie beispielsweise der eben erfolgte Rücktritt von Tobias Natter im Leopold Museum im Zusammenhang mit Klimt-Sohn Gustav Ucicky, der einer der führenden Filmregisseure der NS-Zeit war – oder wie anlässlich der gegenwärtigen Nolde-Ausstellung des Belvederes der Blick auf den Künstler durch seine Nazi-Sympathien getrübt wird. Und für uns liegt das Dritte Reich bald sieben Jahrzehnte zurück.
Wie sich die Deutschen, zumal die großen Künstler des Regimes, unmittelbar nach dem Krieg verantworten mussten, das zeigt der Autor Ronald Harwood in einem seiner besten und berühmtesten Stücke, „Der Fall Furtwängler“ (in Wien haben wir es 1997 mit Sieghardt Rupp als Furtwängler und August Zirner als Major Arnold als Josefstädter Aufführung im Rabenhof gesehen, den Film von 2001 inszenierte István Szabó mit Stellan Skarsgård als Furtwängler und Harvey Keitel als Arnold; für Österreich war interessant, dass Birgit Minichmayr die mitfühlende Sekretärin spielte).
Nun wäre es zwar interessanter gewesen, Harwoods neuestes Stück zu Deutschlands unbewältigter Vergangenheit zu spielen, denn „Kollaboration“ über die Zusammenarbeit von „Staatskünstler“ Richard Strauss mit dem Juden Stefan Zweig an der „Schweigsamen Frau“ kennen wir noch nicht – aber der „Fall Furtwängler“, der im Original so richtig „Taking Sides“ (Partei ergreifen, Stellung beziehen) heißt, ist auch beim Wiedersehen spannend.
Denn da ist auf der einen Seite der amerikanische Major, der bei der Befreiung Buchenwalds dabei war, die Bilder, die er dort gesehen hat, nicht mehr los wird, und blindwütigen Haß auf die Nazis empfindet, den er an einem von deren Parade-Vorzeigekünstlern, besagtem Wilhelm Furtwängler, auslässt. Und da ist auf der anderen Seite Furtwängler, der versuchte, so gut er konnte mit geschlossenen Augen durch die schlimme Zeit zu gehen und Musik zu machen – der Ideologie des Grauens die Ideologie einer alles versöhnenden Kunst entgegensetzend, die die Menschen auch in größter Not in höhere Sphären entführt…
Das Duell ist spannend, wird aber in der Aufführung der Scala (Hausherr Bruno Max steuerte das passend-schlichte Bühnenbild bei) ein wenig einseitig. Zu sehr muss Daniel Keberle den amerikanischen Major – zweifellos auf Anweisung von Regisseur Rüdiger Hentzschel – ausschließlich als mieses, sadistisches, auch peinlich dummes Arschloch darstellen, dem man keine ehrlichen Motive zutraut. Damit wird Furtwängler, für den der Autor zweifellos eine Menge Verständnis hatte (und die Frage: „Was hätte er denn tun können?“ kommt jedem hoch, der in einem ähnlichen Fall nicht zum Helden getaugt hätte) zur noch positiveren Figur. Zumal ihm Jörg Stelling die selbstverständliche Würde des großen Herren gibt, der nur in Erregung gerät, wenn er sich über die mangelnden emotionalen Dirigierkünste von Rivalen Herbert von Karajan erregt…
Die Stärke des Stücks liegt auch in den Nebenfiguren, weniger in der Frau des verschleppten Juden (Monika Pallua), das wirkt ja doch nur künstlich und auch peinlich, aber in den drei anderen: Wunderbar ist Natalie Ananda Assmann als braves deutsches Mädchen, das gar nicht gern für den Major arbeitet und dem es das Herz zerreißt, wie Furtwängler von Arnold behandelt wird. Denn ebenso wie der in Deutschland gebürtige, jüdische, nunmehrige Leutnant der Amerikaner Davis Wills (sehr nobel: Florian Graf) weiß sie, welch großer Künstler er ist, und der Mangel an Respekt und anständigem Umgang mit ihm schmerzt beide zutiefst. (Die Retourkutsche: Frag nicht, wie die Deutschen die Juden behandelt haben, bietet der Regisseur durch knappe Bilderfolgen aus der NS-Zeit zwischen den Szenen.)
Am stärksten der immer manipulierte Schwache: glänzend ist Hermann J. Kogler als Helmuth Rode, ehemaliger Zweiter Geiger bei den Berliner Philharmonikern, von den Nazis ebenso als Spitzel und Verräter missbraucht wie später von Leutnant Arnold, der ihn so lange bedroht, bis er wieder zu allen Schmutzereien bereit ist. Hier bringt Harwood anhand seiner Figuren nicht nur Haltungen, sondern auch Verhaltensmechanismen ewiger Art zum Ausdruck, und die Inszenierung macht das in vielen richtig gesehenen Details klar.
Ein starkes Stück, ein starkes Ensemble, sehr starker, beeindruckter Applaus.
Renate Wagner