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WIEN / Ronacher: EVITA

10.03.2016 | KRITIKEN, Operette/Musical

Evita Plakat

WIEN / Ronacher:
EVITA von Tim Rice / Andrew Lloyd Webber
Premiere: 9. März 2016

Musiktheaterhäuser, die ihre Spielpläne auf Musicals abgestellt haben, haben es schwer. Selbst wenn neue Werke geschrieben werden, ja, selbst wenn Altmeister Andrew Lloyd Webber von Zeit zu Zeit solche verfasst, sind es nicht mehr wie einst die unleugbaren Meisterwerke, die in Windeseile zwischen Broadway und London hin und her springen und die Welt erobern. In Wien ist man immer wieder dazu übergegangen, entlang der großen Figuren der Geschichte, von Elisabeth bis Mozart, eigene „Musicals“ herzustellen. Aber Tatsache bleibt es doch: So sehr sich die Vereinigten Bühnen Wien auf der Suche nach Neuem drehen und wenden, es kommt schon seit längerem nichts Gescheites dabei heraus.

Da scheint es gewissermaßen logisch, sich nach den ganz großen Erfolgen von einst umzuwenden, und besagter Andrew Lloyd Webber war diesbezüglich der letzte Großmeister seines Fachs. Und „Evita“ ist immer noch ein Begriff, auch wenn die Uraufführung 1978 nun schon fast vier Jahrzehnte her ist. Das Theater an der Wien war damals übrigens der dritte Ort, an dem man das Werk spielte, die deutschsprachige Erstaufführung fand im Jänner 1981 in der Regie von Harold Prince statt. Diesmal im Publikum – Isabel Weicken, Wiens erste und unvergessene Evita. Wie mochte sie sich in der Erinnerung fühlen, hat sie doch damals der Liebhaber der Zweitbesetzung bald nach der Premiere zusammenschlagen und ihr schwere Gesichtsverletzungen zufügen lassen?

Selbst Musical-König Andrew Lloyd Webber hat nicht so überwältigend viele, nachhaltige Welterfolge zu verzeichnen – „Jesus Christ Superstar“, „Evita“, „Cats“ (die Wiener Laufzeit von neun Jahren war der Sensationserfolg von Peter Weck im Theater an der Wien) und „Phantom der Oper“, das war es auch schon, denn „Sunset Boulevard“ will man gar nicht dazurechnen. Was danach kam, hat es nie weit gebracht. Also kehrt man zu den „Klassikern“ zurück. Nicht ohne Bangen. Wie wirkt „Evita“ heute? Im Ronacher hat man es versucht.

Also, ganz taufrisch ist die Sache nicht mehr. Nach wie vor geschickt gemacht, denn Tim Rice hat in einem Bilderbogen, der von Begräbnis zu Begräbnis reicht und dazwischen in Rückblenden die Geschichte der Evita Peron (1919–1952) erzählt, punktuell das Geschehen so vorangetrieben, dass die Karriere einsichtig wird: Argentinien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das Mädchen vom Land, das die Menschen benützt, das in Buenos Aires zum Filmstar und zur Sängerin wird, den Politiker Juan Peron kennen lernt, heiratet und zur „Signatur-Persönlichkeit“ des Landes mutiert, als er zum Staatschef aufsteigt.

Evita   Szene x
Fotos: Barbara Zeininger

Diese Eva Duarte verwandelte sich in einem perfekten Styling zur Ikone „Evita Peron“, die dem armen Volk des Landes jenes glamouröse Strahlen schenkte, wie es später auch Prinzessin Diana verströmte. Damit man sie nicht nur positiv sieht, hat Tim Rice als „Erzähler“ die Figur des späteren Revolutionärs Che Guevara eingeführt, der Evita dauernd in Frage stellt – und ihren grenzenlosen Ehrgeiz, ihre Eitelkeit, ihre Egozentrik, ihre Skrupellosigkeit (Geld aus ihren Spendenorganisationen ging an Schweizer Banken) aufzeigt. Dennoch, indem Evita Peron 33jährig „jung und schön“ gestorben ist, stand ihrer Verklärung nichts im Weg.

Hört man heute genau hin, ist Andrew Lloyd Webber damals schon mit einem einzigen Hit ausgekommen, mit dem „Don’t cry for me, Argentina“, den er leitmotivartig immer wieder perfekt einsetzt und variiert, der Ohrwurm, den man sich ewig merken wird und der vielleicht ausreicht, das Überleben des Werks zu sichern. Der Rest der Musik bewegt sich gekonnt auf hohem Niveau (nicht das leere Rhythmisieren mit schmalzigem Sound, ohne Melodie und ohne Einfall, wie die meisten aktuellen Musicals), bietet aber auch nicht viel mehr. Den zweieinhalbstündigen Abend im Ronacher trägt die Musik allemale, von Koen Schoots mit jener Lautstärke in die Welt gestoßen, die bei Musicals üblich ist.

Täuscht die Erinnerung an die Wiener und Londoner Aufführung, wenn sie einem viel prächtiger und spektakulärer vorkommt als das, was man nun im Ronacher sieht? Was Vincent Paterson als Regisseur und Choreograph im Bühnenbild von Stephan Prattes zeigt, wirkt ein wenig wie eine Sparversion für Arme, und besonders flott schleppt sich die Sache auch nicht von Szene zu Szene. Ein wenig schwerfällig ist sie geworden, diese „Evita“, ohne den Reiz des Neuen, nicht besonders interessant. Dass alle Szenen, wo man das Möglichkeit hat, Militär und Waffen zu zeigen, dick ausgereizt werden (und sei es als bedrohliche Schattenspiele), passt in unsere Welt politischer Korrektheit, wo man auf die Bösen mit den Fingern zeigt, aber dem Abend selbst bringt diese moralische Entrüstung nicht viel.

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Angesichts der überschwänglichen Berichterstattung, die Katharine Mehrling aus Berlin voraus eilte, war das Ergebnis ihrer Evita dann leise enttäuschend: Diese Stimme funktioniert nur in der Mittellage angenehm, in der Höhe (und die Rolle liegt leider ziemlich hoch) wird sie schmal und schrill und angestrengt, nicht die überwältigende, tragende „Röhre“, die man dafür braucht. (Interessanterweise war im Film Madonna die vielleicht beste Evita, die man je gesehen hat.) Natürlich macht das „Design“ über einem bewundernswert schlanken Körper einer kleinen Frau (die Männer überragten sie wie Riesen) viel aus – das kunstvoll frisierte Blondhaar, der Kleidungs-Chic der vierziger und fünfziger Jahre (Kostüme: Robert Schwaighofer), das gibt, wenn man nicht genau hinschaut, schon das äußere Abbild einer Evita. Aber der Glanz, den diese Frau gehabt haben muss, der seltsame Reiz, der sogar noch von den historischen Fotos herabwirkt, all das ist bei Katharine Mehrling nicht zu erkennen. Nein, diese Frau würde wohl kaum ganz Argentinien (und damals noch einen Teil der restlichen Welt) verzaubern… Die wird nur immer überzeugender, je näher das Sterben rückt.

Die zweite große Rolle des Abends gehört dem Che des Drew Sarich, der sich bemühte, mit seinem immer wieder falsettierten Tenor über das Orchester zu bekommen, was ihm nur bedingt gelang. Auch war er höchstens teilweise wortverständlich, und das schadete seiner Wirkung doch sehr.

Thomas Borchert war wohl die stärkste Persönlichkeit des Abends, hatte als Peron aber leider eine nur verhältnismäßig kleine Rolle. Das Ensemble sang, spielte und tanzte sich durch seine im allgemeinen selten solistischen Aufgaben.

Premieren bei den Vereinigten Bühnen funktionieren immer, es gab schon während der Vorstellung viel Beifall für einzelne Nummern, viel Beifall auch am Ende. Ob man „Evita“ allerdings über das Saisonende hinaus programmieren muss, bleibt abzuwarten. Glanz und Gloria von einst sind im Lauf der Jahre, im Lauf der Welt und auch im Lauf einer nicht eben überwältigenden Aufführung verloren gegangen.

Renate Wagner

 

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