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WIEN / Raimundtheater: SCHIKANEDER

01.10.2016 | KRITIKEN, Operette/Musical

Schikaneder Plakat~1

WIEN / Raimundtheater:
SCHIKANEDER von Stephen Schwartz
Uraufführung. 30. September 2016

Dass die Vereinigten Bühnen Wien nun schon seit langem – 1990 begann es mit „Freudiana“ – ein Kreativ-Pool für die Schaffung neuer Musicals sind, ist bekannt. Dass man sich als österreichische Institution mit österreichischen Themen besonders vertraut fühlt, ist klar, aber sind jene überdimensionalen Persönlichkeiten, die sich von selbst verkaufen, nicht schon abgefeiert? Das waren Kaiserin Elisabeth und ihr Sohn Rudolf, beide musical-tauglich dramatisch unglücklich, und natürlich der ewige Mozart. Wer jetzt? Für Maria Theresia (nächstes Jahr gibt’s den 300. Geburtstag) hätte man sich unter Umständen eine Vermusicalisierung vorstellen können. Aber für 2017 arbeitet Christian Struppeck lieber an einem Musical zu Rainhard-Fendrich-Schlagern…

Überhaupt Christian Struppeck. Er ist seit 2012 Musical-Intendant der Vereinigten Bühnen (der Vertrag läuft vorläufig bis 2020), die seine Spielwiese sind, auch wenn das erste von ihm entwickelte Projekt, das Musical „Der Besuch der alten Dame“, alles andere als überzeugend ausgefallen ist. Nun schrieb er das Buch zur neuen Welturaufführung des Hauses, „Schikaneder“, wobei man ein wenig verwirrt ist: In welcher Sprache schreibt der gebürtige Deutsche eigentlich, wenn Michael Kunze für die „Deutsche Fassung“ des Werks verantwortlich zeichnet?

Die überdimensional großen österreichischen Persönlichkeiten sind, wie erwähnt, ausgelaugt. Schikaneder also. Warum und wieso Schikaneder, der Theatermacher aus dem späten 18. Jahrhundert, den keiner mehr kennte, wäre er nicht der Librettist der „Zauberflöte“? Apropos kennte: Ein Kollege eines Hamburger Musical-Mediums, der bei der Premiere im Raimundtheater neben mir die letzte Reihe drücken durfte, gestand ohne weiteres ein, dass Emanuel Schikaneder ihm kein Begriff gewesen wäre. Und wie viele Österreicher, Wiener werden ihn kennen, auch wenn sein berühmtes Bild als Vogelmensch Papageno immer wieder abgebildet ist? Schließlich gelten Librettisten ja bestenfalls als Hilfsarbeiter der Komponisten, um die man sich nicht kümmert.

Nein, Schikaneder ist kein erster Name. Und er hat auch einen Fehler: Besonders interessant war sein Leben vom theatralischen Standpunkt nicht. Das sah man schon, als Marcus H. Rosenmüller 2011 den durchaus ambitionierten Spielfilm „Sommer der Gaukler“ über ihn drehte. Die Handlung war mindestens so uninteressant wie jene des Musicals nun. Was hat Struppeck zu erzählen (da er das tragische Ende des Erfolgreichen ausspart, der gänzlich verarmt und vergessen in Wien starb)? Von einem ambitionierten, eitlen, dauernd Weiberröcken nachrennenden und nicht sehr erfolgreichen Theatermenschen und dessen Ehefrau – einen dreistündigen Abend lang nichts als eine schwankende, zankende Ehegeschichte, er betrügt sie, Krach und Szene, sie verlässt ihn, Krach und Szene, Wiedervereinigung wider Willen, weil sie eben beide dem Theater so verfallen sind, Krach und Szene… Dass es gelungen ist, daraus einen exzessiven Musical-Abend zu machen, halb große Show, halb große Oper, ist immerhin bemerkenswert.

SCHWARTZ, Schikaneder. Raimund Theater Wien, Premiere am 30 09.2016. Regie Trevor Nunn

Alle Fotos: Barbara Zeininger

Am reizvollsten wird die bis dahin eher monotone Geschichte gegen Ende, wenn es um die Uraufführung der „Zauberflöte“ geht – wie Emanuel und Eleonore das Stück „erfinden“ (den Papageno, weil noch ein Anzug mit Vogelfedern im Fundus ist, die ganze Freimaurerei, weil man noch ein paar Pyramiden unter den Kulissen lagernd hat…), wie die Schauspieler und Sänger sich die Seele aus dem Leib schimpfen über die blöde Geschichte, und wie alle ganz kleinlaut werden, als Mozarts Musik erklingt… Dieser Mozart, den Komponist Stephen Schwartz am Ende reichlich heranzieht und solcherart zu einem strahlenden Musical-Finale kommt, indem das Finale der „Zauberflöte“ gespielt wird… Dass Mozarts Name nur ein einziges Mal fällt, ist klar: Sonst wäre ja die Schikaneder-Geschichte gestorben. Diese treibt ihren Mangel an Ökonomie, der immer wieder auffällt, letztendlich auf die Spitze: Wenn alle schon nach Hause wollen (der Abend nähert sich der Drei-Stunden-Marke), muss das Happyend mit schrecklichen Sentimentalitäten endlos aufgeputzt werden, die Hauptdarstellerin bekommt Minuten vor dem Ende noch eine Riesenarie, und am Ende hat Frau Eleonore von ihrem ungetreuer Mann Emanuel in jeder Hinsicht – auch als Theaterfrau – Bewunderung und öffentliche Gleichstellung erreicht. Du liebe Güte, ein Emanzenstück auch noch!

Für die Komposition hatte man erstmals den Amerikaner Stephen Schwartz verpflichtet, von dem wir in Wien nur vor langer, langer Zeit „Godspell“ und „Pippin“ gesehen haben. Ein souveräner Musiker, lebendige Melodik, starke Rhythmik, wirkungsvolle (Über)Instrumentierung. Dazu lässt sich singen und tanzen, damit lässt sich der übliche, wie übersteuert klingende Lärm machen. Übrigens, der Song (die „Arie“?) „So viele Fische im Meer“, worin Schikaneder sich ärgert, von Eleonore verlassen worden zu sein, ist eine Paraphrase (Parodie?) auf Higgins in „My Fair Lady“ in derselben Situation (von Eliza scheinbar verlassen). Nur den Unterschied möchte man Klavier spielen können – dass man von einem Musical mehr verlangen darf als nur illustrierenden Filmmusik-Charakter, das hat zuletzt Andrew Lloyd Webber (und vor ihm viele Meister des Fachs) gezeigt.

SCHWARTZ, Schikaneder. Raimund Theater Wien, Premiere am 30 09.2016. Regie Trevor Nunn

Allen Einwänden zum Trotz ist nicht nur von riesigem Publikumsjubel, sondern auch von einem gelungen Musik-Theaterabend zu berichten. Denn man hat nicht nur keine Kosten und Mühen, sondern auch kein Talent gescheut. Es hat sich in hohem Maße bewährt, ein souveränes britisches Team für die Realisierung zu verpflichten. Anthony Ward sorgte für eine äußerlich fulminante, aber tatsächlich sehr ökonomische Ausstattung auf der Drehbühne, mit wechselnden Hintergrundsprospekten, die zusammen mit den Kostümen unverfremdete Üppigkeit und damit den Geist des Musicals atmeten, das von Choreograph Anthony van Laast dauernd in Bewegung gehalten wurde. Vor allem aber sorgte Regisseur Trevor Nunn für fugenlosen Ablauf, witzige Ensemblenummern, exzellente Spielszenen. Da bleiben wenige Wünsche offen.

Auch bei den Darstellern nicht: Schikaneder wurde (man braucht nur die Biographie von Kurt Honolka aus der Mozart-Ecke seines Bücherschranks zaubern) als sehr gut aussehender Mann beschrieben. Nicht nur das hat Mark Seibert zu bieten, sondern auch eine gute Stimme, Selbstironie, Temperament, glaubwürdige Charakterisierung.

SCHWARTZ, Schikaneder. Raimund Theater Wien, Premiere am 30 09.2016. Regie Trevor Nunn

SCHWARTZ, Schikaneder. Raimund Theater Wien, Premiere am 30 09.2016. Regie Trevor Nunn

Gegen ihn kämpft sich Milica Jovanovic als seine Gattin Eleonore unverdrossen durch den Abend, bis
zum finalen Sieg, und sie macht das sehr sympathisch. Noch drei Damen kommen zur Wirkung, vor allem (mit Sonderapplaus) Katie Hall als stürmisch übersprudelnde, Koloraturen in die Lüfte jagende Geliebte Schikaneders, eine Funktion, die später auch Katja Reichert innehat (ebenso Koloraturen-gefordert), während Franziska Schuster eine entschlossene gute Freundin auf die Bühne stellt.

Bei den männlichen Nebenrollen bekommen Florian Peters als lieber, schüchterner Anbeter Leonores und Reinwald Kranner als skrupellos agierender Theaterkonkurrent Karl Marinelli ihre Möglichkeiten, Hardy Rudolz und Armin Kahl ergänzen.

Koen Schoots entfesselte am Pult des hauseigenen Orchesters jenen Lärm, der augenscheinlich zum Musical gehört, und das Publikum brach am Ende in jene begeisterten Jubel- und Brüllstürme aus, die gleichfalls hier Tradition sind. Jetzt müssen nur noch viele, viele Leute das Bedürfnis haben, das zu sehen.

Renate Wagner

Schikaneder Schlussapplaus 1
Schlussapplaus. Foto: Renate Wagner

 

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